"Moonlight": Der Oscar-Gewinner und die große Frage der Identität
Das Drama "Moonlight" ist seit dem Oscar-Fiasko in aller Munde. Hat der Film von Regisseur Barry Jenkins die Auszeichnung als "Bester Film" verdient?
"An einem bestimmten Punkt musst du dich entscheiden, wer du sein willst. Und niemand kann dir diese Entscheidung abnehmen." Es ist nur eine kurze Sequenz im Film, doch wohl kein anderes Zitat aus "Moonlight" fasst das Drama besser zusammen als diese beiden Sätze aus dem Mund von Oscar-Preisträger Mahershala Ali (43, "House of Cards"). Darum drehen sich letztendlich die 111 Minuten des preisgekrönten Streifens: Um die Frage nach der eigenen Identität. Wer bin ich? Wo komme ich her? Und wohin führt mein Weg? Darum hat der Ausnahmefilm dem Musical "La La Land" den Oscar als "Bester Film" weggeschnappt.
Drei Kapitel mit prägnanten Momenten
"Moonlight" erzählt in drei Episoden die bewegende Geschichte von Chiron, der in schwierigen Verhältnissen aufwächst. Seine Mutter (Naomie Harris) ist drogensüchtig und der introvertierte Junge, den alle nur "Little" (Alex Hibbert) nennen, wird von seinen Mitschülern schikaniert. Er lernt den Drogendealer Juan (Mahershala Ali) kennen, der die Rolle seines Ziehvaters einnimmt. In der zweiten Episode wird aus Little schließlich Chiron (Ashton Sanders). Als Jugendlicher kommt es für ihn zu einem einschneidenden Erlebnis, als er seine Homosexualität entdeckt. Das dritte Kapitel dreht sich um den erwachsenen Chiron, der sich fortan Black (Trevante Sanders) nennt und mit Drogen dealt.
Zahlreiche Auszeichnungen
"Der beste Film des Jahres" - so darf sich der preisgekrönte Streifen seit den 89. Academy Awards nennen. Das kann auch das Fiasko bei der Preisverleihung mit dem vertauschten Umschlag nicht schmällern. Neben "Bester Film" gab es zudem die Oscars für das "Beste adaptierte Drehbuch" und den "Besten Nebendarsteller". Über 170 weitere Auszeichnungen sprechen für sich. Die seltene Themenkombination hätte vermutlich gereicht, um das Drama an die Spitze zu bringen. Es gibt nicht allzu oft Filme, die von einem homosexuellen schwarzen Drogendealer handeln. Doch es gibt mehr, das die vielen Preise rechtfertigt.
Der Film von Barry Jenkins (37, "Medicine for Melancholy") basiert auf dem Theaterstück "In Moonlight Black Boys Look Blue" ("Im Mondlicht sehen schwarze Jungen blau aus") von Tarell McCraney (36, "Choir Boy"). Eine berührende und zweifelsohne erzählenswerte Geschichte, nicht zuletzt, da sie einen persönlichen Hintergrund hat. Jenkins und McCraney wuchsen in derselben zwielichtigen Gegend Miamis auf, in der auch der Großteil des Films spielt. Und ihre Mütter hatten beide mit Drogen zu kämpfen. Diese Parallelen lassen den Film besonders authentisch wirken. Miami wird zum wunderschönen Albtraum, der realistischer nicht sein könnte.
Drei Schauspieler, ein Leben
Der hochkarätige und präzise gewählte Cast sorgt dafür, dass das Drehbuch so ehrlich auf die Leinwand transportiert wird. Angefangen bei den drei Hauptdarstellern Alex Hibbert, Ashton Sanders (21, "Straight Outta Compton") und Trevante Rhodes (27, "Burning Sands"), die die Hauptfigur in ihren unterschiedlichen Lebensphasen prägnant darstellen. Jeder einzelne trägt auf seine eigene Weise dazu bei, dass Chiron die Herzen der Zuschauer erobert. Vor allem die Augen scheinen dabei die Tür zu seiner Seele zu sein. Alle drei gewähren tiefe Einblicke in sein Inneres und nehmen einen ungeschönt mit auf dem Weg seines Heranwachsens.
Drei wichtige Nebendarsteller und eine hervorragende Kameraarbeit
Begleitet wird Chiron von Kevin, der sich wie ein roter Faden durch sein Leben zieht. Jaden Piner, Jharrel Jerome (19), aber vor allem André Holland (37, "American Horror Story") liefern eine tadellose Performance ab. Naomie Harris (40, "James Bond 007: Spectre") brilliert parallel in ihrer Rolle als drogenabhängige Mutter. Sie schafft es scheinbar mühelos, den Zuschauer gegen sich aufzubringen und gleichzeitig zu berühren. Eine Kunst, die es zu beherrschen gilt und die ihre Oscar-Nominierung als "Beste Nebendarstellerin" mehr als rechtfertigt.
Einer, der ebenfalls nominiert war und den begehrten Goldjungen mit nach Hause nehmen durfte, ist Mahershala Ali. Eine besondere Auszeichnung: Er gewann als erster Muslim und als erst fünfter dunkelhäutiger Schauspieler in der Kategorie "Bester Nebendarsteller". Seine Darbietung im Drama gehört zu den Höhepunkten. Seine Figur Juan ist ein Drogendealer mit Herz. Es gelingt ihm von der ersten Minute an, das Vertrauen des Zuschauers zu gewinnen. Die Ambivalenz aus knallhartem Dealer und fürsorglichem Ziehvater verschwimmt dabei fast nahtlos.
Neben einem starken Skript und dem beeindruckenden Cast macht die geschickte Kameraarbeit "Moonlight" zu einem Highlight. Die ruhigen Schnittfolgen und langen Szenen geben dem Publikum die Chance, den Moment mitzuerleben. Der Zuschauer ist so nahe am Geschehen dran, dass man zwischenzeitlich das unangenehme Gefühl hat, in eine intime Situation geplatzt zu sein. Zeitlupen verleihen prägnanten Sequenzen eine besondere Bedeutung, während die Handlung akustisch schon längst weiterläuft. Ein cleverer Trick, der einen unwillkürlich Teil des Films werden lässt.
Drei (kleine) Kritikpunkte
Sogar ein vielfach ausgezeichneter Film kann kleine Schwächen aufweisen. Zum einen ist "Moonlight" relativ vorhersehbar. Das nimmt der Geschichte an manchen Stellen die Spannung. Zum anderen geben die Macher vielen Szenen die nötige Zeit und Ruhe, damit sie wirken können. Das lässt den Film zwischendurch allerdings etwas zäh erscheinen.
Inhaltlich ist der Übergang von Chiron (zweites Kapitel) zu Black (drittes Kapitel) gewöhnungsbedürftig. Während die Entwicklung von Kapital eins auf zwei verständlich und fließend ist, wird der Zuschauer beim nächsten Wechsel etwas überrumpelt. Dieser Effekt mag ein Teil des großen Ganzen sein, doch dass aus dem schüchternen, schlacksigen Jungen schlagartig ein muskelbepackter Drogendealer mit Grillz wird, muss ein paar Momente verdaut werden.
Fazit
Ja - "Moonlight" ist zu Recht als "Bester Film" ausgezeichnet worden. Die Geschichte verarbeitet neues Material und ist absolut erzählenswert. Der Film zeigt die Identitätssuche eines jungen Mannes, der zwischen Anderssein und Anpassung seinen Platz in der Welt sucht. Etwas, womit sich vermutlich jeder schon einmal auseinandersetzen musste. "Wer bist du?", fragt Kevin den erwachsenen Chiron passenderweise am Ende des Films. "Ich habe lange versucht, mich nicht daran zu erinnern", lautet seine Antwort. Erinnern ist ein gutes Stichwort - diesen Film vergisst man mit Sicherheit nicht so schnell.