Der kleine Diktator
Bernie Ecclestone war 40 Jahre lang das Gesicht der Formel 1 und ihr unumstrittener Chef. Er hat die Königsklasse des Motorsports zur drittgrößten Sportveranstaltung nach den Olympischen Spielen und der Fußball-WM gemacht. Mister E herrschte ohne ein offizielles Mandat in seinem Reich.
Es gibt kaum einen Sport, der so mit einem Gesicht in Verbindung gebracht wird wie die Formel 1. Die aktuellen Rechteinhaber aus den USA bieten drei Leute an der Spitze des Sports auf, doch wenn man nach dem 2000. Grand Prix in 50 Jahren Rückschau halten wird, dann wird man sich an einen kleinen Engländer erinnern, der diesen Sport groß gemacht hat. Das tollste dabei. Dieser Charles Bernard Ecclestone hatte noch nicht einmal einen Plan. Nur einen guten Riecher.
Sein Werdegang war unauffällig. Gebrauchtwagenhändler, Casinobetreiber, Finanzberater, Motorradrennfahrer. Mit dem Motorsport kam Bernie Ecclestone zunächst nur sporadisch in Berührung. Als Fahrer, der sich 1958 in einem Connaught nicht für den GP Monaco qualifizieren konnte. Als Berater des britischen Rennfahrer-Talents Stuart Lewis-Evans Ende der 50er Jahre. Als Geschäftspartner von Jochen Rindt, mit dem er ein Formel 2-Team unterhielt. Beide, Lewis-Evans wie Rindt, starben im Rennauto.
Der Aufstieg zum „Paten“
1971 wurde der Kontakt zur Formel 1 enger. Bernie Ecclestone kaufte für 100.000 Pfund den Brabham-Rennstall. „Ein guter Deal“, sagt Bernie zu dem Schnäppchen. Damit war er Teamchef und schon mittendrin im Geschäft. Zunächst mit dem Ziel, das angestaubte Team zu modernisieren und wieder zum Titel zu führen. Lange vor McLaren-Chef Ron Dennis erkannte Ecclestone, dass ein makelloser Auftritt die Eintrittskarten für Sponsoren und Partner war. Seine Brabham glänzten schneeweiß. Die Transporter standen blitzblank geputzt im Fahrerlager. Erst biss Martini an, dann der Lebensmittelkonzern Parmalat.
Für den Aufstieg zum Paten der Formel 1 gibt es keinen Zeitplan. Es ergab sich einfach so. Ecclestone erwies sich als guter Verhandler in einer Zeit, als die Teams mit den Veranstaltern noch individuell um Startgelder feilschten. Er erkannte, dass man gemeinsam mehr Kasse machen konnte. Als Einheit verschoben sich die Machtverhältnisse. Die Teams hatten einen Hebel in der Hand. Die Veranstalter bekamen entweder alle oder keinen.
Schon 1973 begann es mit den ersten Erpressungen. Die Teams mit ihren Verhandlungsführer Bernie Ecclestone und dem Juristen Max Mosley verlangten einen 100-prozentigen Aufschlag auf das 1972 vereinbarte Startgeld von 420.000 Schweizer Franken pro Grand Prix. Ja, damals regierte noch nicht der Dollar. Die Organisatoren boten nur 12,5 Prozent mehr Geld. Es war der Startschuss für die große Geldvermehrungsmaschine. 15 Rennen standen im Kalender, mehr denn je. Mit Brasilien und Schweden kamen zwei neue Länder auf die Landkarte.
Als der GP Kanada 1975 den Aufschlag nicht mehr bezahlen wollte und bis zur letzten Frist zwei Monate vor dem Rennen pokerte, sagte Ecclestone die Veranstaltung kurzerhand ab. Worauf die Kanadier bereitwillig allen Konditionen zustimmten. In einer hitzigen Sitzung der Teamchefs überzeugte Ecclestone seine Mitstreiter, dass es besser sei, hart zu bleiben. Um ein für allemal ein Exempel zu statuieren. Danach wussten alle: Mit Bernie lässt sich nicht spaßen.
Der goldene Schlüssel zum Fahrerlager./strong>
Der Brabham-Chef handelte mit den Veranstaltern globale Verträge aus, er riss sich die TV-Rechte unter den Nagel, pflasterte die Rennstrecken mit Bandenwerbung zu und ließ über seinen Geschäftspartner Paddy McNally einen VIP-Bereich im Fahrerlager und über den Boxen installieren. Der Paddock Club war geboren. Das brachte Geld in die Kasse der Teams, die darauf fanden, dieser Ecclestone mache seine Sache ausgesprochen gut. Auch der mächtige Enzo Ferrari ließ das Pokerface aus London gewähren. Er merkte schnell, dass es auch zu seinem Nutzen war.
Der kleine Mann, Jahrgang 1930, war plötzlich der große Chef des schnellen Geschäfts. Ohne einen Business Plan, wie man heute sagen würde. Ohne ein offizielles Amt. Ohne eine Ernennung oder eine Wahl. Sein zerknittertes Gesicht und der graue Pilzkopf wurden zum Gesicht dieses Sports. Bernie war auch präsent, wenn er einmal nicht vor Ort war. Sein grauer Bus, das mobile Zentrum der Macht, hatte seinen festen Platz im Fahrerlager. Wenn Bernie persönlich auftauchte, standen andere stramm. Oder sie liefen einen halben Meter hinter ihm her, den Kopf leicht vorne übergebeugt, um den Leisesprecher überhaupt zu verstehen.
Wer Ecclestone um eine Audienz bat, musste warten. Konzernchefs, Politiker, Celebreties. Es kam vor, dass er wegen einer Backgammon-Partie eine halbe Stunde zu spät kam. „Sorry, ein Board Meeting“, grinste Bernie. Sein Humor lebte auch von Zweideutigkeiten. Für die einen war er Bernie, für die anderen Mister E. Für alle aber der Mann mit dem goldenen Schlüssel für das Fahrerlager. Das war sein Druckmittel. Es war schwieriger Zutritt zum Fahrerlager zu bekommen, als Karten für den Wiener Opernball.
Ein riesiger Pokertisch
Ecclestone hat sein Reich auf seine Art regiert. Teile und herrsche. Mit kleinen und großen Taschenspieler-Tricks im Doppelpass mit seinem Kompagnon Max Mosley, der 1991 in das Amt des FIA-Präsidenten aufrückte. Drohe den Widerspenstigen mit dem Schlimmsten, um das weniger Schlimme zu bekommen. Schaffe Fakten, bevor ein Plan zu Tode debattiert wird. Sorge für Unordnung, um dann selbst wieder Ordnung zu schaffen. Für ihn war die kleine Formel 1.Welt ein riesiger Pokertisch, auf dem er alle seine Bluffs und Finten auspacken konnte. Wenn Bernie etwas gut verstand, dann die Psyche seiner Gegenspieler. Er wusste, wie er sie einschüchtern oder in Sicherheit wiegen konnte. Am Ende gab es immer nur einen Sieger.
Als das Geschäft zu groß wurde, hat Ecclestone das Tafelsilber verkauft, aus Angst, die Familie erbe eine Steuerschuld statt eines Vermögens. Ken Tyrrell warf Bernie zeitlebens vor, er habe etwas aus der Hand gegeben, was eigentlich den Teams gehörte. Der Strippenzieher vom Princes Gate gab stets zurücck: „Ken, ich habe euch Anteile angeboten. Ihr wolltet das Risiko nicht mittragen, sondern lieber einen festen Teil vom Gewinn.“ Erst als aus der Formel 1 ein Milliardengeschäft wurde, schwante es den Teams, dass sie da möglicherweise etwas verpasst hatten.
Schneller Dollar ohne langfristige Strategie
Mit dem Verkauf kamen branchenfremde Unternehmen ins Geschäft. Banken, Träumer, Investmentfonds. Ihr einziges Ziel: Der schnelle Dollar ohne langfristige Strategie. Ecclestone wurde Gefangener seines eigenen Systems. Der vorletzte Besitzer CVC belieh drei Mal die Formel 1.Aktie, um mit dem Geld anderswo noch mehr Geld zu machen. Zur Refinanzierung musste Chefbroker Ecclestone die Geldquellen wie eine Zitrone auspressen, nicht immer zum Wohle des Sports. Veranstalter zahlten für das Paket mehr als sie hatten. Rennen drohten aus den Kernmärkten zu verschwinden. Fernsehübertragungen wanderten ins Pay TV ab. Die Rechte-Polizei des Imperiums verfolgte alle Piraten, auch jene, die den Sport in den digitalen Medien einem jüngeren Publikum zugänglich gemacht hätten.
Es war mehr als nur eine glückliche Fügung, dass sein alter Kompagnon Max Mosley 1991 FIA-Präsident wurde. Bernie hat im Hintergrund fleißig mitgeholfen, dass auf der anderen Seite einer seiner Mitspieler stand. Die FIA vermietete prompt die TV-Rechte für 100 Jahre an den jeweiligen Rechteinhaber der Formel 1. Sie hat aber auch das Recht, jeden Käufer, der ihr nicht seriös erscheint, abzulehnen.
Nur im Verbund mit Mosley gelang es den Angriff der Automobilhersteller abzuwenden, die sich zu Beginn der 2000er Jahre einbildeten, das Geschäft gehöre ihnen. Nur weil sie so viel Geld in den Sport pumpten. Als Tabakwerbung verboten wurde, suchten sich Ecclestone und Mosley eine neue Kuh, die sie melken konnten. Die Autokonzerne fanden die Spielwiese Formel 1 sexy und investierten dreistellige Millionensummen. Sie verlangten plötzlich einen Anteil vom Kuchen. „Es war ein aussichtsloses Unterfangen“, urteilte Mosley einmal. „Bernie und ich haben es zu Beginn der 80er Jahre mit einer Piratenserie probiert, und wir sind gescheitert. Wie sollte es da den Herstellern gelingen?“
Nachspiel vor Gericht
Der Krieg ging über fünf Jahre. 2006 war er vorbei. Zuerst sprang Ferrari ab, dann Williams, dann Renault. Bernie hatte sie mit Spezialkonditionen für das neue Concorde Abkommen geködert. Die Transaktionen im Hintergrund gingen aber auch am Impresario der Formel 1 nicht spurlos vorüber. Er stand in London und München vor Gericht. Als er seine Roadshow im Dezember 2005 an CVC verkaufte, da fühlten sich vermeintliche Mitbieter ausgetrickst. Angeblich habe er die Formel 1.Anteile absichtlich zu billig an seinen Wunschpartner CVC Capitals verkauft. Der Kaufpreis betrug damals je nach Sichtweise zwischen 814 und 831 Millionen Dollar. Die Bayerische Landesbank, Constantin Medien und Bluewater zogen vor Gericht. Keiner konnte gegen den Paten punkten. Die Kläger wirkten schon allein deshalb unglaubwürdig, weil sie erst Jahre später damit um die Ecke kamen, vermeintlich verprellt worden zu sein.
Gefährlich wurde Ecclestone nur der Vorwurf, er habe an Gerhard Gribkowsky, den Chefbanker der Bayerischen Landesbank eine Provision von 44 Millionen Dollar bezahlt, damit der den Deal mit CVC durchwinkt. Der Formel 1.Chef wiederum behauptete, bei der gezahlten Summe handele es sich um „Schweigegeld“. Gribkowsky wollte ihn seinerzeit damit erpressen, dass er, Ecclestone, Kontrolle über den Schweizer Bambino Trust hatte, in den 1999 die Formel 1.Anteile steuerfrei übertragen wurden. Hätte Gribkowsky Beweise dafür vorlegen können, wäre Ecclestone in England steuerpflichtig geworden. Es ging dabei um rund eine Milliarde Dollar. Der Prozess in München zog sich über 20 Verhandlungstage und er endete damit, dass Ecclestone sich mit 100 Millionen Dollar freikaufte. Er hätte den Prozess vermutlich auch so gewonnen, da die Beweislage ziemlich dünn war. Doch im Alter von 84 Jahren wollte sich der Engländer einen drohenden Gerichtsmarathon nicht mehr antun.
Der letzte Akt
Unter CVC war Bernie Chef und Angestellter zugleich. Ein fürstlich dotierter mit einem Jahresgehalt von 83 Millionen Dollar. Das bekam er zu spüren, als Liberty Media 2017 für acht Milliarden Dollar die Mehrheit der Stimmrechte kaufte. Da war die Uhr des großen Zampanos abgelaufen. Einfach so, von heute auf morgen. Ein 86-Jähriger spielte in den Plänen der Amerikaner keine Rolle mehr. Er bekam einen Ehrentitel, von dem Ecclestone spöttisch behauptet: „ Ich weiß gar nicht, was der bdeutet.“ Immerhin verabschiedete Ross Brawn seinen Vorgänger mit den versöhnlichen Worten: „Wir stehen alle tief in Bernies Schuld. Er hat das geschaffen, was wir jetzt weiterführen.“
Brawn bildet mit Chase Carey und Sean Bratches das Triumvirat an der Spitze des Sports. Einer allein hätte die Last nicht auf seinen Schultern tragen können. Die neuen Formel 1.Chefs haben einen anderen Führungsstil als ihr Vorgänger. Sie schießen weniger aus der Hüfte, sind damit aber berechenbar. So gestalten sich aber auch dringend notwendige Reformen als schwierig. Mittlerweile läuft Liberty die Zeit davon. Ende 2020 endet das Concorde Abkommen, Bernies inzwischen sechs Mal ratifiziertes Vermächtnis aus dem Jahr 1981. Wird kein neues geschlossen, ist die Formel 1 ein rechtsfreier Raum. Das kann Chance und Risiko zugleich sein.
auto motor und sport feiert das 1.000. Formel-1-Rennen in dieser Saison mit einer großen Serie in 100 Teilen. Wir liefern Ihnen im täglichen Countdown spannende Geschichte und interessante Video-Features aus der Historie der Königsklasse. Alle bisherigen Artikel finden Sie auf unserer >> Übersichtsseite zum großen Jubiläums-Grand-Prix.