Saison 2021 mit 2020er Autos?
Keine Rennen, keine Einnahmen: Die F1-Teams werden demnächst kaum noch Geld aus der Kasse der Rechteinhaber bekommen. Das könnte einige Rennställe in Existenznot bringen. Der Aufschub des neuen Reglements auf 2022 wird längst diskutiert.
Die Corona-Krise ist auch eine Finanzkrise. Weltweit befinden sich die Aktienkurse im freien Fall. Die Formel-1-Aktie von Liberty macht da keine Ausnahme. Sie ist von 46 Dollar (40,80 Euro) am 20. Februar innerhalb von nur 27 Tagen auf einen Tiefststand von 18,30 Dollar (16,60 Euro) am 17. März gefallen. Der Grund liegt auf der Hand: Keine Rennen, kein Geld.
Die Antrittsgebühr für die Grands Prix von Australien, Bahrain, Vietnam und China hätte in Summe rund 150 Millionen Dollar in die Kasse gespült. Jetzt steht dort eine Null. Offenbar hat man mit dem AGPC in Australien folgenden Handel geschlossen. Jede Partei bleibt auf ihren Kosten sitzen. Die Australier auf ihren Organisation- und Aufbaukosten, die Formel 1 auf dem entgangenen Startgeld.
Auch aus Bahrain, Vietnam und China wird erst Geld fließen, wenn die Rennen tatsächlich stattfinden. Deshalb ist keiner der Grands Prix offiziell abgesagt, sondern nur verschoben. In der Hoffnung, ihn irgendwann später noch in den Kalender einzuflicken.
Auch bei den TV-Verträgen muss Liberty Einbußen hinnehmen. Je nach Ausstattung bekommen die TV-Sender Rabatt, wenn es keine Rennen zum Übertragen gibt. Das tut den Rechteinhabern vor allem beim größten Nettozahler Sky England weh. Ohne Rennen gibt es auch keine Einnahmen aus dem Paddock Club und von den Event-Sponsoren.
Liberty muss Ausschüttung korrigieren
Für die Teams sind das ganz schlechte Nachrichten. Sie bekommen von den Rechteinhabern nur von März bis Dezember Geld. Knapp 67 Prozent der Gesamteinnahmen werden ausgeschüttet. Es beginnt im März mit der Endabrechnung für das Jahr davor. Lag die die Schätzung der Jahreserlöse von Liberty zu hoch, fällt die letzte Rate kleiner aus, andernfalls wird nachgezahlt.
Während der Saison fließt jeden Monat eine Abschlagszahlung nach dem 2019er Verteilungsschlüssel, aber auf Basis der für 2020 geschätzten Einnahmen. Und die muss Liberty gerade dramatisch nach unten korrigieren. Bitter für die Rennställe: Auch die eigenen Team-Sponsoren zahlen nur für Grands Prix, die stattfinden.
Den Teams tuen die fehlenden Einnahmen weh. Ihre Kosten laufen wie gehabt weiter. Egal ob man 240 Angestellte hat wie Haas oder 1.000 wie Mercedes. Kleine Teams könnten damit bald in Existenznot geraten, wenn in den nächsten drei, vier Monaten nur kleine Beträge ausbezahlt werden.
Große Teams sind nicht mehr profitabel. Das ist gerade in Zeiten wichtig, in denen auch die Automobilhersteller auf dem Automarkt selbst unter Druck stehen. Mercedes und Renault erwarten von ihren Formel-1-Teams, dass sie wenigstens kein Geld kosten.
90 Prozent der Teams für Reform-Aufschub auf 2022
Je länger der Prozess der Ungewissheit dauert, desto schlimmer wird es. Das Programm in den Technik-Abteilungen läuft gerade ohnehin nur mit gedrosselter Power, weil man geplante Upgrades auf der Strecke nicht ausprobieren kann. Jeder weitere Entwicklungsschritt ist daher mit dem Risiko behaftet, dass er auf der falschen Basis entsteht.
In einer Telefonkonferenz mit Formel-1-Chef Chase Carey erklärten sich nun neun von zehn Teams bereit, die 2020er Chassis, Getriebe und Teile der Aufhängung bis Ende 2021 zu homologieren. Nur die Aerodynamikentwicklung wäre freigestellt. Das würde den Teams viel Geld sparen.
Bei der Umfrage stimmte nur Ferrari nicht zu. Die Italiener baten um Bedenkzeit. Wegen der dramatischen Corona-Lage im Land steht Ferrari derzeit massiv unter Druck. Keiner weiß, wie lange die Fabrik geschlossen bleiben muss, unabhängig von der vorgezogenen Sommerpause. Sicher ist nur: Auch Ferrari wird ordentlich Geld verlieren.
Möglicherweise kommt es schon bei einer weiteren Telefonkonferenz am Donnerstag zu einem Beschluss. Und der könnte so aussehen: Um Teams vor der Pleite zu retten, würde die 2021er Saison mit den 2020er Autos gefahren und das neue Reglement um ein Jahr auf 2022 verschoben.
So würden sich die Teams für eine Saison den Bau neuer Autos sparen und könnten sich voll auf die Aerodynamikentwicklung konzentrieren. Und sie bekämen mehr Zeit, sich für die große Regelreform vorzubereiten, die dann erst 2022 Einzug hält. Racing-Point-Teamchef Otmar Szafnauer antwortete auf Nachfrage: "Angesichts der dramatischen Lage gibt es eigentlich gar keine andere Option mehr."
Mit dieser Lösung wäre man auch flexibler, den Kalender neu zu ordnen. Sollte der Saisonstart nicht wie erhofft in Baku stattfinden sondern später, könnte die 2020er Saison bis in den Januar 2021 reichen. Die ausgefallenen Rennen auf der südlichen Hemisphäre könnte man alle in den Winter packen. Im April 2021 ginge es dann mit der neuen Saison weiter.
Chance Budgetdeckel zu senken
Auf die Budgetdeckelung soll die Verschiebung des technischen Reglements keinen Einfluss haben. Die Ausgabenschranke soll trotzdem schon nächstes Jahr kommen.
Sie muss es sogar. Es könnte für die FIA und die Rechteinhaber die goldene Gelegenheit sein, die Teams davon zu überzeugen, den derzeit auf 175 Millionen Dollar liegenden Kostendeckel mitsamt seinen vielen Ausnahme. dramatisch nach unten zu drücken.
Ein Teamchef aus dem Lager der Kleinen sagt: "Jetzt müssen auch die Großen endlich ihre Arroganz ablegen. Sie sind nämlich selbst unter Druck."