„Haben zu viel liegen gelassen“
Renault bleibt der Formel 1 treu und kämpft weiter um Platz drei im Konstrukteurspokal. Wir haben uns mit Teamchef Cyril Abiteboul über die schwankenden Ergebnisse, Fernando Alonso, die Kostensenkungen und den Racing Point Streit unterhalten.
Wo steht Renault wirklich?
Abiteboul: Das würde ich selbst gerne wissen. Für uns ergibt sich das gleiche Bild wie für Sie von außen. Wir schwanken in unseren Leistungen. Einige Strecken liegen dem Auto, andere nicht. Das ist ein Punkt, an dem wir arbeiten. Parallel dazu feilen wir an der Aerodynamik, versuchen einen stabileren Abtrieb in schnellen Kurven zu produzieren. Das ist unser Schwachpunkt. Bis Mugello war es so: Wir haben die Zeit zusammengezählt, die wir auf einer Strecke in schnellen Kurven verbracht haben. Dieser Wert hat bestimmt, wo wir im Verfolgerfeld stehen. Je mehr, desto weiter hinten. Diese Rechnung ging in Mugello zum ersten Mal nicht auf. Wir waren besser als erwartet. Das müssen wir aufklären. Wahrscheinlich steckt mehr in dem Auto. Wir müssen es nur immer herausholen.
Also Ihr Auto besser verstehen?
Abiteboul: Genau. Das ist gerade unser Fokus. Wir stellen da am Beispiel Barcelona und Spa alles auf den Kopf. Wir waren nirgendwo in Barcelona und voll wettbewerbsfähig in Spa. Vielleicht liegt es gar nicht am Streckentyp. Vielleicht funktioniert unser Auto in ganz kleinen Fenstern genau an seinem Potenzial, und wenn wir dieses Fenster nur ein bisschen verlassen, verlieren wir überproportional viel Zeit. Es gab da Verdachtsmomente. Deshalb haben wir in Mugello eine Reihe unterschiedlicher Fahrzeugabstimmungen durchgespielt, und einige davon scheinen unsere Theorie zu bestätigen. Wir treiben natürlich auch die Entwicklung des Autos voran. Das ist bis jetzt mit einer Ausnahme positiv verlaufen. In einem Bereich hatten wir Korrelationsprobleme mit dem Windkanal. Wir sind da allerdings nicht die einzigen. Alle scheinen irgendwann irgendwie mal ein Korrelationsproblem zu haben. Das abzustellen wird wichtig für die Entwicklung des nächstjährigen Autos sein.
Sind Sie zufrieden wie das Team auf die Probleme reagiert?
Abiteboul: Auf jeden Fall. Wir sehen erste Resultate der Umstrukturierung unseres Technikbüros in Enstone. Pat Fry und Dirk de Beer haben sich unter der Führung von Marcin Budkowski gut eingearbeitet. Wir sind viel mehr ein Team als vorher.
Und Sie sind immer noch mittendrin im Kampf um Platz drei?
Abiteboul: Wir sind es, und wir sollten es auch sein. McLaren und Racing Point liegen nicht uneinholbar weit weg. Viel wird davon abhängen, wie oft wir im zweiten Teil der Saison das Potenzial unseres Autos durch das richtige Setup maximal ausschöpfen können und wie gut wir an der Strecke mit der Strategie operieren. Da haben wir im ersten Teil der Saison noch zu viel liegen gelassen.
Seit Monza sind die neuen Motor-Regeln in Kraft. Hat sich nach Ihren GPS-Messungen irgendetwas an der Hackordnung geändert?
Abiteboul: Die Hackordnung ist immer noch die gleiche. Ich sehe eigentlich nur einen Unterschied, und das sind die Startrunde und die Runden nach Re-Starts. Da gibt es nicht mehr so große Unterschiede.
Esteban Ocon hat noch Mühe gegen Daniel Ricciardo. Ist Ricciardo so gut oder sucht Ocon noch seinen Weg im Team?
Abiteboul: Daniel ist ein sehr starker Fahrer. Das muss man keinem erklären. Er ist in diesem Jahr noch stärker geworden. Weil das Auto besser geworden ist und sich die Zusammenarbeit mit den Ingenieuren besser eingespielt hat. Das Heck des Autos ist stabiler geworden, und das gibt Daniel mehr Vertrauen. Esteban kommt langsam zurück nach einem Jahr Pause. Aber er ist nicht so weit weg von Daniel wie es vielleicht aussieht. Er muss akzeptieren, dass Daniel eine echte Messlatte ist, und er muss sich realistische Ziele setzen. Okay, er hat in der Qualifikation in Mugello einen Fehler gemacht. Aber den verzeihe ich ihm. Es zeigt mir, dass er attackiert, dass er mehr will. Mir ist das lieber als ein Fahrer, der den Status quo und die Hierarchie im Team einfach so hinnimmt. Ich glaube, das Ende der Saison wird noch ein heißer Kampf zwischen unseren beiden Fahrern.
Sie bekommen nächstes Jahr mit Fernando Alonso den bestmöglichen Ersatz für Ricciardo. Ist Ihnen auch bewusst, dass Alonso ein fordernder Fahrer und schwieriger Charakter ist?
Abiteboul: Wir sind darauf vorbereitet. Ich gehe davon aus, dass unser Auto im nächsten Jahr noch besser dastehen wird. Wenn Fernando den Fortschritt erkennt, dann wird das den Racer in ihm wecken. Wo wir uns sicher steigern müssen, ist die Exekution an der Strecke. Von Fernando wissen wir, dass er keine Fehler macht. Wir haben also keine Ausreden.
Renault galt lange als der erste Kandidat im Feld, der die Formel 1 verlässt. Nun geht es weiter. Was gab den Ausschlag?
Abiteboul: Es ist eine Kombination von vielen Dingen. Die gerechtere Geldverteilung. Die Wertsteigerung unserer Formel-1-Lizenz. Die Budgetdeckelung. Klarere Entscheidungsprozesse. Dazu haben wir bei Renault einen neuen Vorstand. Der hat einen klaren Plan, wie die Formel 1 unserem Geschäft und dem Marken-Image von Alpine hilft. Das alles zusammen war die perfekte Startbasis für unsere Formel-1-Aktivitäten. Dieses positive Signal gibt uns auch die Motivation alles zu geben, um wieder vorne mitzufahren.
Mit der neuen Ausschüttung für die Plätze drei bis fünf sollte es für Renault einfach sein, das Team unter dem neuen Kostendeckel zu refinanzieren. Nimmt das eine große Last von Ihren Schultern?
Abiteboul: Wenn die Formel-1-Umsätze wieder ihre frühere Größenordnung erreichen, sind wir nach dem neuen Ausschüttungsmodus zusammen mit den Sponsoren sehr nah an der Summe, die wir für das Team ausgeben. Es gibt aber auch noch die Motorabteilung. Und das ist immer noch ein großes Kosten-Center. Und dabei geben wir immer noch bei weitem das wenigste Geld von allen Herstellern aus. Trotzdem ist mir dieser Kostenfaktor immer noch zu hoch. Da muss sich etwas tun. Das wird das nächste Schlachtfeld, das die Formel 1 bearbeiten muss.
Hätten Sie lieber eine eigene Budgetdeckelung für den Motor oder noch schärfere Entwicklungsrestriktionen?
Abiteboul: Das wird von der Architektur des künftigen Antriebs abhängen. Es ist schön mit Prüftstandsbeschränkungen und dem Einfrieren der Entwicklung der aktuellen Motoren Geld zu sparen. Aber schon sehr bald werden wir das Geld an anderer Stelle wieder ausgeben. Dann, wenn feststeht, wie der Motor für 2026 aussieht. Wenn wir auf der aktuellen Motorarchitektur aufbauen, wäre das mit überschaubaren Kosten möglich. Gibt es etwas völlig Neues, Wasserstoff oder voll elektrisch, kann das sehr schnell sehr teuer werden. Da bräuchte es dann zwingend einen Budget-Deckel.
Kommen wir zum Budget-Deckel für die Teams. Da gibt es viele Ausnahmen. Jean Todt behauptet, die Teams werden doppelt so viel ausgeben wie die 145 Millionen Dollar. Um wie viel höher wird Ihr tatsächliches Budget liegen?
Abiteboul: Bei uns wird das nicht so viel sein. Der größte Kostenfaktor unter den Ausnahmen sind die Fahrergehälter. Mit unserem Fahrerwechsel wird dieser Posten sicher etwas beeinflusst. Auf der anderen Seite liegen wir bei der Bezahlung der teuersten Angestellten und dem Marketing auf einem sehr konservativen Niveau. Das ist alles in einem sehr vernünftigen Rahmen. Viele Leute wären überrascht, wie gering unsere Ausgaben in der Chassisabteilung sind, im Vergleich besser als Teams wie Alpha Tauri oder Alfa Romeo. Wir sind sehr effizient. Wir müssen uns technisch noch steigern, aber aus finanzieller Sicht sind wir schon sehr stark. Und das wird uns bei der Budgetdeckelung helfen.
Renault sucht ein Partner-Team und keinen Kunden. Gibt es da in absehbarer Zukunft einen Kandidaten?
Abiteboul: Die Formel 1 ist voller Überraschungen. Wir haben jetzt einen sehr guten Plan, was wir in Zukunft wollen. Vielleicht war es das, was McLaren und Daniel Ricciardo in der Zusammenarbeit mit uns gefehlt hat. Jetzt, wo es ein klares Bekenntnis des Konzerns zur Formel 1 gibt, habe ich das Gefühl, dass die Leute wieder interessiert sind mit uns zu sprechen. Stabilität zieht mögliche Partner an.
Sind Sie mit den neuen Regeln zum Schutz der Konstrukteure zufrieden?
Abiteboul: Es ist besser als vorher. Die Regeln werden allerdings nicht mehr diese Weltmeisterschaft beeinflussen, weil Racing Point weiter mit dem Auto fahren darf, das sie auf die Räder gestellt haben. Und sie werden bis zum Ende des Jahres wahrscheinlich weiter von Mercedes kopieren, weil es noch erlaubt ist. Aber es gibt jetzt wenigstens eine klare Linie für die Zukunft. Racing Point hat da einen Präzedenzfall geschaffen, und wir haben uns das nicht gefallen lassen. Ich bin stolz, dass wir eine Reaktion gezeigt haben, die zu einer Lösung geführt hat. Alle haben darüber geredet, aber nur wir hatten den Mut, etwas dagegen zu tun. Wir haben nicht nur Kritik geübt, sondern auch konstruktive Vorschläge eingebracht. Das wird in die Regeln einfließen, und es wird eine detaillierte Technische Direktive geben, die klarstellt, was in der Zusammenarbeit zwischen Teams erlaubt ist und was nicht. Vergessen Sie nicht, dass es um zwei Dinge geht. Einmal um das Kopieren, und zum zweiten das, was hinter verschlossenen Türen stattfindet. Da muss es strengere Rahmenbedingungen geben. Die FIA wird in Zukunft sowieso mehr hinter die Kulissen der Teams schauen, schon allein, weil sie die Budgetdeckelung überwachen müssen.
Wäre es sinnvoll, wenn die FIA in jedes Team einen Aufpasser schickt?
Abiteboul: Wir gehen in diese Richtung. Es macht auch Sinn. Wenn wir alles, was auf der Strecke passiert, überwachen, dann sollten wir das gleiche mit dem machen, was in der Fabrik passiert. Die FIA ist der Schiedsrichter. Sie ist nicht nur dafür da, dass die Autos den Regeln entsprechen. Sie sollten auch darauf schauen, dass sich die Teams an die Regeln und die Grundprinzipien des Sports halten.
Wo stehen Sie im Token-Streit um Racing Point?
Abiteboul: Racing Point wird wohl damit davonkommen. Das ist frustrierend. Ich verstehe es immer noch nicht. Wir haben vor diesem Punkt schon gewarnt, da lag erst der Entwurf der ganzen Regelanpassungen in der Corona-Pause vor. Ich verstehe die Notwendigkeit dieser Regel nicht. In jedem Meeting haben wir den Punkt angesprochen, aber immer gesagt bekommen, dass es Teil eines Pakets sei. Das Paket war so wichtig, dass wir das nicht an einem einzelnen Punkt scheitern lassen wollten. Wäre über die Token-Regelung einzeln abgestimmt worden, hätten wir nie zugestimmt. Wir hatten keine andere Wahl als das zu akzeptieren. Erst danach haben viele Leute realisiert, was das bedeutet. Aber dann war es schon zu spät, etwas für nächstes Jahr zu ändern. Das ist meine größte Enttäuschung. Ich finde mich damit ab, weil es eine Spezialregel ist, die nur für das nächste Jahr gilt.
Fühlen Sie sich mit der Token-Regel und dem Auto, das Sie haben, eingeschränkt? Würden Sie mehr an dem R.S.20 ändern, wenn Sie könnten?
Abiteboul: Natürlich. Wir würden viel mehr ändern, wenn es erlaubt wäre. Racing Point darf viel mehr ändern als wir. Das ist für Kunden, die dieses Modell mit der Übernahme ein Jahre alter Teile anwenden, ein klarer Vorteil.
Präsident Luca de Meo hat Sie zum Architekten des gesamten Sportprogramms von Renault befördert. Brauchen Sie da an der Spitze des Formel-1-Teams Unterstützung?
Abiteboul: Darum kümmere ich mich gerade. Wir werden unsere Organisationsstruktur umstellen. Unter Alpine werden vier Sportprogramme laufen. Es ist meine Aufgabe, das Beste aus allen vier Programmen rauszuholen und sie zu koordinieren.
Wenn Renault nach Le Mans zurückkehrt, wird das mit einem Hypercar oder einem LMDH-Auto sein?
Abiteboul: Nächstes Jahr gibt es eine spezielle Regelung. 2021 müssen wir uns nicht entscheiden. Der Fokus liegt jetzt darauf, diese Spezialregel möglichst gut auszunützen. Für die weitere Zukunft schauen wir uns die LMDH-Lösung an. Es ist aber noch nichts entschieden.