In Sotschi kein Restart-Chaos
Trotz einer langen Geraden werden Restarts in Sotschi unproblematischer ablaufen als zuletzt in Mugello. Wir erklären warum und blicken noch einmal darauf, was in der Toskana vor zwei Wochen schiefgelaufen ist.
Der Anlauf von der Pole Position bis zum ersten Bremspunkt im Sochi Autodrom ist 891 Meter lang. Das sind 261 Meter mehr als zuletzt in Mugello und 438 Meter mehr als in Monza. Beides Rennstrecken mit Zielgeraden über einen Kilometer Länge.
Sotschi zählt wie Spa-Francorchamps zu den Strecken, auf denen man lieber auf dem zweiten oder dritten Startplatz steht als auf dem ersten. Weil der Fahrer auf der Pole Position so verwundbar ist. Egal, auf welcher Spur er fährt, einer der Hintermänner hängt sich immer an sein Getriebe und profitiert davon.
Ferrari erließ im letzten Jahr sogar eine Stallregie für den Start, um Pole-Mann Charles Leclerc zu schützen. Was natürlich nicht funktionierte. Sebastian Vettel zog am Teamkollegen vorbei und weigerte sich danach, wieder Plätze zu tauschen. Das gleiche Problem sollten die Fahrer theoretisch auch bei einem Safety-Car Restart haben.
Die Kontrolllinie, ab der überholt werden darf, liegt nur 72 Meter hinter der Zielkurve. Das verlängert den Weg in die erste Kurve auf 1.162 Meter. Da will keiner den Gegner direkt im Windschatten haben. Deshalb zog Lewis Hamilton im letzten Jahr den Restart nach einer Safety-Car-Phase schon drei Kurven vor Start und Ziel an, um seine Verfolger bis zum Einbiegen in die Zielgerade abzuschütteln. Der Trick funktionierte.
Muss die Restart-Prozedur geändert werden?
In Mugello lag der Punkt ab dem überholt werden darf, 500 Meter hinter der letzten Kurve. Das Szenario erinnerte eher an Baku. Wer hier den Spurt vorzeitig anzieht, läuft Gefahr seinem Konkurrenten zu früh Windschatten zu geben. Also wartet der Spitzenreiter mit dem Beschleunigen bis zur Kontrolllinie.
Das ist aber keine bahnbrechende Neuigkeit. Die 20 Fahrer im Feld haben es schon vor Mugello gewusst, und sie wurden von ihren Teams auch noch einmal vor dem Start instruiert. Trotzdem kam es im hinteren Feld zu einem Auffahrunfall zwischen vier Fahrzeugen.
Fahrer und Teams waren mit der Kritik schnell zur Hand. Die Freigabe des Rennens sei den Fahrern zu spät mitgeteilt worden. Die Kontrolllinie liege in Mugello zu weit in der Zielgerade. Man unterstellte der Rennleitung den Start der Spannung zuliebe so spät wie möglich freizugeben.
Lewis Hamilton machte sich sogar Sorgen, ob die Show nicht wichtiger geworden ist als der Sport. Die Fahrer aus dem hinteren Feld gaben den Spitzenreitern die Schuld, die vorne den Kollegen weiter hinten. Romain Grosjean schimpfte am Funk, als er das Chaos vor seinen Augen sah: "Wollen die uns alle hier killen?"
Zehn Tage später hat sich der Franzose wieder beruhigt: "Aus Sicht der Bordkameras sieht es so aus, als hätte das ganze Feld zuerst beschleunigt, dann wieder gebremst. So fühlte sich das alles auch im ersten Augenblick an. Wenn man sich das Ganze von außen anschaut, ist es schon weniger klar."
"Bottas ist vorne konstant langsam gefahren. Es sieht so aus, als wollten einige im Feld Schwung holen und als sie begriffen haben, dass es zu früh war, sind sie wieder vom Gas gegangen. Auto für Auto weiter hinten hat sich das Beschleunigen und Bremsen immer mehr aufgeschaukelt. Das hat uns alle etwas überrascht."
"Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie man diesen Unfall vermeiden hätte können. Das einzige, was ich sehe, ist den Restart wie früher auf die Safety-Car-1-Linie zu legen. Dann würde das Beschleunigen früher beginnen." Sein Teamkollege Kevin Magnussen dagegen plädiert dafür die Restart-Prozedur zu ändern. "Der Ziehharmonika-Effekt wird nach hinten immer schlimmer. Irgendwann bist du nicht mehr in der Lage zu reagieren."
Russell ließ als erster eine Lücke
Einige gaben Valtteri Bottas die Schuld, weil er sich im Schneckentempo auf die Startlinie zubewegt hat. FIA-Rennleiter Michael Masi verteidigt den Finnen: "Der Spitzenreiter hat alles Recht dazu, das Tempo zu bestimmen und so lange mit dem Beschleunigen zu warten, wie er will. Und alle anderen müssen sich danach richten. Es musste allen im Feld klar sein, dass der Restart so ablaufen würde."
Der Australier verwehrt sich auch dagegen, dass er Teams und Fahrer zu spät darüber informiert habe, wann die Safety-Car-Phase endet. Bottas erfuhr es in Kurve 11, ungefähr zwei Kilometer vor dem Ziel. Das war in Sotschi 2019 zum Beispiel nicht anders.
Bottas hatte also zwei Kilometer Zeit, Abstand zum Safety-Car zu schaffen, um seinen Spurt früher anzuziehen, wenn er das gewollt hätte. Hat er aber nicht. Es müsste noch geklärt werden, was passiert wäre, hätte er das Tempo schon vor der letzten Kurve angezogen. Wahrscheinlich hätte er so das Überraschungsmoment nutzen können und auch so seine Führung behalten. Gefahr, dass er das Safety-Car vor der entsprechenden Linie an der Boxeneinfahrt überholt, bestand nicht mehr.
Die Bummelei von Bottas hat bei genauer Analyse erst hinter Esteban Ocon auf Platz 11 eine Lücke aufgerissen. George Russell war der erste Fahrer, der eine Lücke aufreißen ließ, dann aber zu früh den Restart antizipierte und wieder vom Gas musste, als er auf Daniil Kvyat und Esteban Ocon auflief. Weil Russell erst sehr spät nach rechts ausscherte, um bessere Sicht nach vorne zu haben, standen alle die ihm blind gefolgt waren, plötzlich vor einer Wand von Autos.
Michael Masi glaubt deshalb, dass es nicht nötig ist, die Restart-Regeln zu ändern. "Die Formel-3-Fahrer haben ihren Neustart unter den gleichen Umständen problemlos geschafft. Das sollte man auch von den besten Fahrern der Welt erwarten können."
Dass die Bedingungen nicht auf jeder Rennstrecke gleich sind, ist laut Masi der Reiz des Geschäfts. "Sonst könnten wir ja gleich immer auf derselben Rennstrecke fahren." In Sotschi wird sich das Restart-Chaos von Mugello kaum wiederholen. Doch in Imola könnte es der Formel 1 wieder drohen. Auch da liegt die Startlinie spät in einem langen Vollgasstück.