Eiszeit beim Iceman

Die auto motor und sport Formel 1-Reporter berichten in ihren F1-Tagebüchern von ihren persönlichen Erlebnissen bei den 19 Grand Prix-Rennen der Saison 2014. Im siebten Teil berichtet Tobias Grüner vom GP Kanada.
Vor der Abfahrt zum Flughafen herrscht Ungewissheit. Kollegen, die schon am Vortag nach Montreal geflogen waren, berichten uns, dass ein Gewitter stundenlang über dem Flughafen hing. Viele Maschinen landeten mit Verspätung oder wurden umgeleitet. Das Personal weigerte sich wegen Blitzschlag-Gefahr das Gepäck auszuladen.
So musste zum Beispiel Nico Hülkenberg 2 Stunden auf seinen Koffer warten. Kollege Kimi Räikkönen wartete nicht. Er wies einem Mitarbeiter der Fluggesellschaft einfach an, das Gepäck ins Hotel zu schicken. Doch unsere Sorge, dass die Maschinen auch verspätetet Deutschland verlassen würden, erwies sich als unbegründet. Der Air Canada-Flieger steht schon in Frankfurt bereit, als ich mit Kollege Schmidt am Flughafen ankomme. Bei der Landung empfängt uns Montreal mit bestem Frühsommer-Wetter.
Formel 1-Party in Kanada./strong>
Montreal ist immer eine Reise wert. Zur Formel 1 lohnt sich der Trip nach Kanada aber ganz besonders. Montreal zelebriert den Grand Prix regelrecht. Die ganze Stadt verwandelt sich ein Wochenende lang in eine riesige Party. Straßen werden gesperrt. An vielen Ecken sind Bühnen aufgebaut, auf denen Musiker Gratis-Konzerte geben. Die Schaufenster der Geschäfte sind mit Motorsport-Utensilien dekoriert. Überall hängen Plakate, die auf das Rennen hinweisen. Und an den Fanmeilen können die Besucher alte Rennwagen aus der Nähe betrachten.
Auf einer Pressekonferenz am Donnerstag erklären die Veranstalter, dass der Grand Prix das größte Einzelsportereignis in ganz Kanada ist. So ist es auch keine Überraschung, dass der Vertrag mit Bernie Ecclestone für weitere 10 Jahre bis 2024 verlängert wird. 25 Millionen wolle man in die Boxenanlage, das Fahrerlager und neue Tribünen investieren, um die Anlage zu modernisieren. Da Kanada definitiv einer der coolsten Grands Prix des Jahres ist, freuen wir uns über diese Nachricht.
Dass die Touristen scharenweise in die Stadt strömen, ist natürlich eine gute Sache, allerdings könnten es manchmal auch gerne etwas weniger sein. Die Restaurants sind am Abend stets überfüllt. Da wir nie genau wissen, wann wir von der Strecke wegkommen, können wir nicht reservieren. Der dichte Verkehr auf den Straßen fordert ebenfalls Geduld.
Shuttle-Chaos auf dem Weg ins Fahrerlager./strong>
Mangels Parkplätzen an der Strecke wird die Journalisten-Meute stets per Shuttle von Downtown zur Ile Notre Dame gekarrt. In diesem Jahr fahren die Mercedes-Sprinter aber plötzlich nicht mehr wie sonst am Delta-Hotel in der Nähe des Flusses ab. Das Luxus-Hochhaus wurde im Oktober 2013 geschlossen und in ein Studentenwohnheim umgewandelt. Die Organisatoren entschieden sich daraufhin, die Haltestelle kurzerhand noch tiefer in die Innenstadt zu verlegen. Die Entscheidung zieht wie erwartet Chaos nach sich.
Der Fahrplan ist schnell makulatur. Eine halbe Stunde warten wir zusammen mit 2 Dutzend anderen Journalisten an dem vorgegebenen Treffpunkt. Dann ist endlich ein Shuttle in Sichtweite. Doch der Chauffeur parkt sein Gefährt 300 Meter entfernt am Straßenrand. Die ganze Pressemeute rennt natürlich los, doch der Fahrer denkt gar nicht daran seine Türen zu öffnen. Er habe einen anderen Auftrag, lässt er uns wissen.
Wir sind kurz davor den Bus einfach zu kapern, als noch 2 weitere Transporter um die Ecke biegen. Der Fahrer entschuldigt sich für das Chaos und erzählt etwas von Baustellen und Straßensperren. Im Fahrerlager beklagen wir uns gemeinsam bei den Organisatoren. Die Aktion wirkt. An den nächsten Tagen kommen die Shuttles wieder einigermaßen pünktlich.
Aus sportlicher Sicht ist immer noch der hausgemachte Streit im Mercedes-Lager das große Thema. Nico Rosberg hatte Lewis Hamilton im Monaco-Qualfiying 2 Wochen zuvor ausgebremst und das Rennen anschließend gewonnen. Danach gab es Stunk. Mercedes versucht alles, die Wogen wieder zu glätten. Ein gemeinsames Mittagsessen der beiden Piloten vor dem Teampavillon soll zeigen, dass das Verhältnis nicht so gestört ist, wie alle behaupten. Hinter den Kulissen hört man allerdings, dass zwischen den beiden Titelkandidaten Funkstille herrscht. Der Tiefpunkt der Beziehung sollte aber erst 3 Monate später in Belgien folgen.
Räikkönen-Tweet sorgt für Missverständnisse
Auch Kimi Räikkönen gerät in Montreal in die Schlagzeilen. Am Donnerstag kursieren Gerüchte im Fahrerlager, dass der Finne schon nach der Saison rausgeschmissen werden soll. Da ich mir nicht vorstellen kann, dass Ferrari den Iceman trotz Vertrag zum zweiten Mal einfach vor die Tür setzt, twittere ich: "Gerüchte über Kimi-Rauswurf im Fahrerlager. Aber Räikkönen besitzt nach unseren Infos noch einen Vertrag für 2015."
Eigentlich will ich Räikkönen nur helfen. Aber irgendwie reagieren alle Kimi-Fans komplett panisch und lesen nur heraus, dass ihr Idol rausgeschmissen werden soll. Um die Sache klarzustellen, twittere ich direkt hinterher: "Ich wollte damit nur sagen, dass der Kimi-Rauswurf wegen seines Vertrags sehr unwahrscheinlich ist." Doch da war es bereits zu spät. Finnische Zeitungen spekulieren über die Kündigung nach der Saison und verweisen auf mich als Quelle.
Doch es kommt noch schlimmer: Am Sonntag nach dem Rennen spricht mich Kimi in seiner Presserunde vor allen anderen Journalisten an und fragt, was ich denn für einen Quatsch schreibe. Natürlich hatte er meine Tweets nie persönlich gelesen. Dass die ganze Nummer ein riesiges Missverständnis war, wollte er auch nicht kapieren.
Ich kann es verkraften, dass Kimi sauer ist und nicht mehr mit mir reden will. Er spricht ja auch sonst nicht freiwillig mit Journalisten, selbst wenn er sie aus irgendeinem Grund gut leiden kann. Trotzdem ist es irgendwie schade. Ich hatte seine distanzierte Einstellung zu dem verrückten Formel 1-Zirkus immer respektiert und geschätzt. Jetzt hält sich mein Mitleid in Grenzen, dass Kimi wieder einmal deutlich von Teamkollege Alonso abgeledert wird. 40 Sekunden trennen die Ferrari-Piloten im Ziel. Auf Rang 10 nimmt der Iceman ein mageres Pünktchen mit.
Erster Nicht-Mercedes-Sieg des Jahres
Die großen Storys des Rennens schreiben allerdings andere: Daniel Ricciardo sorgt für den ersten Nicht-Mercedes-Sieg des Jahres. Die Silberpfeile leiden unter einer überhitzten MGU-K. Hamilton fällt komplett aus. Rosberg fährt mit 160 PS weniger als die Konkurrenz immerhin noch auf Rang 2. Für den großen Knalleffekt am Ende des Rennens sorgen Felipe Massa und Sergio Perez. In Kurve 1 krachen beide nach einer Kollision in die Mauer. Anschließend geht es per Helikopter in die Klinik.
Zusätzlich zur Startplatzstrafe für das nächste Rennen gibt es für Perez noch ein paar unerwünschte Ratschläge vom Crashgegner. Noch am Montag tragen die beiden Südamerikaner ihre Fehde öffentlich über Twitter aus. Keiner von beiden will seine Schuld einsehen. Erst die Bilder der Helikopter-Kamera zeigen, dass Perez seine Linie geändert hatte und Massa deshalb in ihn reingekracht war. Es gibt also genügend Stories für die nächsten Wochen. Montreal war wieder einmal eine Reise wert.
In unserer Bildergalerie nehmen wir Sie mit hinter die Kulissen des GP Kanada.