Ferrari künstlich verlängert
Formel-1-Autos sind in den vergangenen Jahren immer länger geworden. Neue Fotos des "nackten" Ferrari aus Mugello zeigen nun, wie die Ingenieure den Radstand künstlich verlängerten. Ein Ende des Stretch-Limo-Trends ist aber schon abzusehen.
Vielen Fans wird es wahrscheinlich noch gar nicht aufgefallen sein. Doch stellt man einen Formel-1-Renner der aktuellen Generation neben ein zehn Jahre altes Modell, dann könnte man fast glauben, dass es sich um unterschiedliche Maßstäbe handelt. Frühere Rennwagen wirken im direkten Vergleich fast wie Spielzeugautos.
Dass die moderne F1-Generation so viel größer ist, liegt unter anderem an den fetteren Reifen und den breiteren Flügeln, die zur Saison 2017 eingeführt wurden. Um 20 Zentimeter wuchsen die Autos damals in die Breite. Der Eingriff war nötig, um die Proportionen wieder etwas ins Gleichgewicht zu bringen.
Doch das Verhältnis von Länge und Breite drohte zuletzt schon wieder aus dem Ruder zu laufen. Der Abstand zwischen den beiden Achsen wuchs immer weiter an. Auf alten Strecken mit enger Boxengasse, wie zum Beispiel in Melbourne oder auch jetzt in Mugello, können die Piloten kaum noch unfallfrei aus ihren Garagen rollen, ohne irgendwo hängen zu bleiben.
Mehr Länge gleich mehr Abtrieb
Vorreiter für diesen Trend war Mercedes. Die Design-Abteilung des Weltmeister-Teams hatte als erstes erkannt, dass die Verlängerung der Autos eine effizientere Aerodynamik im Heck ermöglicht. Ziel der Ingenieure ist es, die Luft möglichst enganliegend um die Seitenkästen herum und ohne Verwirbelungen über den Diffusor zu führen. Die saubere Anströmung sorgt im Idealfall für deutlich höhere Abtriebswerte im Heck.
Ganz unproblematisch ist ein langer Radstand aber nicht. In der Theorie macht sich der Kunstgriff vor allem auf eng verwinkelten Kursen negativ bemerkbar. Die Stabilität in schnellen Kurven erkauften sich die Techniker lange mit einem weniger agilen Einlenkverhalten in langsamen Ecken. Doch dank moderner Aufhängungstechnik ließ sich das Problem lindern. Mittlerweile fliegen die mehr als fünf Meter langen F1-Raketen auch problemlos durch das Leitplanken-Labyrinth von Monaco.
Bilder, die unsere Fotografen in Mugello aufgenommen haben, zeigen nun erstmals, auf welche Art die Ingenieure die Autos so extrem in die Länge ziehen. Während einer der beiden Rennunterbrechungen hatte Ferrari den Dienstwagen von Sebastian Vettel freundlicherweise ohne Carbon-Haube in der Boxengasse abgestellt. Die Paparazzi ließen sich natürlich nicht lange bitten.
Ein Meter Platz zwischen Motor und Hinterachse
Selbst wenn man keine Ahnung von Technik hat, dürfte einem sofort das ewig lange Auspuffrohr ins Auge springen, das vom Motor bis ganz nach hinten unter den Heck.lügel ragt. Man erkennt also gut, wo ungefähr das V6-Aggregat aufhört. Dahinter sollte eigentlich nur noch das Getriebe mit dem Differential folgen, was dank kompakter Bauweise kaum mehr als einen halben Meter Bauraum einnehmen sollte.
Selbst ohne genaue Messungen zeigen die Bilder aber klar, dass zwischen Motor und Hinterachse deutlich mehr als nur ein halber Meter liegt. Offenbar befindet sich im Getriebegehäuse, an dem vorne der Motor und hinten die Aufhängungen befestigt sind, noch jede Menge Luft. Vorsichtigen Schätzungen nach wurde der Carbon-Kasten künstlich fast um einen halben Meter gestreckt.
Auf den faszinierenden Bildern lassen sich auch gut die gestaffelten Kühler in den Seitenkasten erkennen. Die Anordnung in mehreren Stufen soll für eine kompaktere Unterbringung und eine effizientere Hitzeableitung sorgen. In der Lücke zwischen den Kühlern und dem Unterboden sieht man jede Menge Elektronik-Elemente, die zur besseren Balance weit unten und weit vorne im Chassis platziert sind.
Moderate Reduzierung des Radstands
Den Ästhetikern unter den Fans sind die künstlich verlängerten Autos schon lange ein Dorn im Auge. Die Rennwagen wirken dadurch im Stand behäbig und wenig aggressiv. Kein Vergleich zu den deutlich knackigeren F1-Modellen der 80er und 90er Jahre. Deshalb sollten die Radstände mit der neuen Generation, deren Einführung durch die Corona-Krise mittlerweile auf 2022 verschoben wurde, deutlich reduziert werden.
Doch ganz so einfach, wie sich das die Technik-Abteilung um F1-Sportchef Ross Brawn vorgestellt hatte, war die Schönheitsoperation am Ende nicht. Die modernen V6-Turbo-Hybrid-Triebwerke brauchen unter der Haube deutlich mehr Platz als die alten Sauger. Vor allem Ladeluftkühler und Batterien lassen sich nicht so einfach verkleinern.
Nach langen Diskussionen mit den Ingenieuren der Teams fiel das neu eingeführte Radstand-Limit mit 3,60 Metern bei weitem nicht so restriktiv aus wie verhofft. Zum Vergleich: Aktuell beträgt der Abstand zwischen den beiden Achsen knapp 3,70 Meter. Also wären nur ca. 10 Zentimeter gewonnen. Die Fünf-Meter-Marke in der Gesamtlänge würden die Autos damit nicht unterschreiten.
Welche Aero-Philosophie hat Zukunft?
Noch ist unklar, wie sich die Reduzierung des Radstands auf die Anstellung der Autos auswirkt. Beim "High-Rake"-Prinzip wird viel Abtrieb über das größere Luftvolumen unter dem Diffusor gewonnen. Hier schränkt das neue Reglement allerdings die Möglichkeiten ein, die Luft mit künstlichen Wirbeln unter dem Auto einzusperren.
Weniger stark angestellte Autos gewinnen den Abtrieb zu einem größeren Teil auf der Oberseite. Sie profitieren in der Theorie also mehr vom zusätzlichen Platz, der eine saubere und stabile Anströmung der Flügelelemente garantiert. Ob 10 Zentimeter weniger Spielraum aber einen großen Unterschied machen, lässt sich nur schwer abschätzen.
In der Galerie zeigen wir Ihnen, welche Philosophien die Ingenieure bei den aktuellen Autos verfolgen.