Mercedes stoppt Verstappen
Es war der wichtigste Sieg des Jahres für Mercedes. Hätte Max Verstappen erneut gewonnen, wäre der Druck auf den Titelverteidiger gestiegen. Diesmal schaffte es Lewis Hamilton nicht allein. Er brauchte die Hilfe der Strategen.
Im Rückblick auf eine Formel 1-Saison gibt es viele Schlüsselmomente. Am Ende des Jahres wird man sagen: Der GP Ungarn war ganz sicher einer für Mercedes. Das hört sich bei 10 Siegen in 12 Rennen etwas übertrieben an, doch diese Saison nahm gerade Anlauf, eine überraschende Wende zu nehmen. Max Verstappen hatte zwei der letzten drei Rennen gewonnen. Mercedes zwei Wochen zuvor in Hockenheim seine größte Niederlage erlebt. Und jetzt stand Verstappen auf dem Hungaroring auch noch auf der Pole Position. Red Bull hat seinen RB15 flott gemacht. Der Abstand zum Mercedes ist deutlich geschrumpft. Und der Mann im Cockpit des RB15 fährt seit Beginn des Jahres in Hochform.
Noch ein Sieg für Verstappen, und bei Mercedes hätte womöglich das große Nervenflattern begonnen. Und Verstappen hätte die Siegesserie weiter beflügelt. Um so wichtiger war es für Mercedes den Lauf des Gegners zu stoppen. Teil 1 des Planes misslang. Lewis Hamilton und Valtteri Bottas wollten im Doppelpass Verstappen gleich beim Start austricksen und hätten sich dabei fast selbst ausgetrickst. Ausgangs Kurve 3 kam es zu einer Berührung der beiden Mercedes.Piloten. Bottas fing sich erst einen Rempler von seinem Teamkollegen, dann von Charles Leclerc ein. Nach fünf Runden musste er zum Frontflügelwechsel an die Box. Damit hatte Hamilton keinen Verbündeten mehr.
Dem Rennen tat es gut. Zum ersten Mal in dieser Saison kam es zum direkten Aufeinandertreffen der beiden Giganten. Es ist auch ein Duell der Generationen. Hamilton hielt Blickkontakt zu Verstappen. Im ersten Renndrittel ging es nur darum, die Reifen möglichst lange zu schonen. Beide Teams waren auf ein Einstopp-Rennen aus, mit dem Medium-Reifen am Anfang und der harten Mischung zum Schluss. Wegen der reduzierten Trainingszeit am Freitag waren die Datenspeicher nicht so gut gefüllt wie sonst. Red Bull hatte null Erfahrung mit den harten Reifen. Hamilton war den Reifen.yp am Freitag wenigstens ein Mal gefahren. Bei Mercedes wusste man. Bei mehr als 40 Runden auf einem Satz würde es kritisch werden.
In sieben Runden reifte Mercedes.Taktik
Die schlechte Form der Ferrari machte das Schachspiel der Strategen übersichtlich. Schon nach 24 Runden ging für Verstappen das Boxenstopp-Fenster auf. Eine Runde später stand der Holländer an der Box. Red Bull musste sich gegen einen Undercut absichern. Da war es zunächst einmal zweitrangig, dass dem zweiten Reifen.atz eine Restdistanz von 45 Runden bevorstand. „Wenn Max draußen geblieben wäre und für uns eine Runde später das Fenster zu den Ferrari genügend groß gewesen wäre, hätten wir den Undercut versucht. Das Geschenk des Positionsgewinns ist in dem Augenblick größer als das Problem, dass dir später die Reifen eingehen. Es hätte ja auch noch ein SafetyCar kommen können, und dann ärgerst du dich, den Platzgewinn ausgeschlagen zu haben“, erklärten die Mercedes.Strategen.
Nach Verstappens Stopp in der 25. Runde lag der Plan für Hamilton auf der Hand. So lange fahren wie möglich, um das Reifen.elta so groß wie möglich zu gestalten. Hamilton holte sich sechs Runden später die harten Reifen ab. Sein Rückstand von 4,9 Sekunden war innerhalb von drei Runden verdampft. Verstappen fuhr vorne schon mit Blick auf Reifen.anagement. Dass der Holländer im Zweikampf ein harter Knochen ist, weiß man. Hamilton merkte es spätestens in diesem Moment. Verstappen bezog immer wieder geschickt die Überrundeten in seine Verteidigung mit ein, und als sich sein Gegner dann doch mal den Berg hinunter Richtung Kurve 4 neben ihn gesetzt hatte, da schickte er den Mercedes in die Auslaufzone. Hamilton ging in dem 240 km/h schnellen Linksknick schlicht die Straße aus.
Das war der Moment, ab dem am Mercedes.Kommandostand die Köpfe rauchten. „Wir haben sieben Runden lang verschiedene Strategievarianten durchgespielt. Die Ingenieure an der Strecke, daheim in der Fabrik, immer unterstützt von der Software. Am Ende hat sich unser Chefstratege James Vowles dazu entschieden, Lewis ein zweites Mal reinzuholen“, verrät Teamchef Toto Wolff. Es wurde immer unwahrscheinlicher, dass Hamilton seinen Rivalen auf der Strecke niederringt. Und Ferrari war so weit weg, dass Platz nach hinten für einen Extra-Stopp ausreichend vorhanden war. Red Bull waren als Spitzenreiter die Hände gebunden. In solchen Fällen hat der Jäger die besseren Karten als der Gejagte. Hätte Verstappen dem Mercedes.Coup vorgebeugt, wäre Hamilton auf der Strecke geblieben. Er hatte ja frischere Reifen.
Notlüge für die Motivation
In der 48. Runde gab der Mercedes.Kommandostand grünes Licht zu der Zweistopp-Strategie. Hamilton hatte wie Bottas noch einen frischen Satz Medium in der Hinterhand. Es war die letzte Möglichkeit auf Risiko zu spielen. Auf der einen Seite wollte man die Restlaufzeit für die Reifen minimieren, auf der anderen dem Fahrer noch die Chance geben, den auf 19,2 Sekunden angewachsenen Rückstand noch wettzumachen. „Unsere Vorgabe war eine Sekunde pro Runde“, erklärte Wolff.
Der Marschplan geriet schon bald ins Stocken. Zwischen den Runden 53 und 56 gewann Hamilton praktisch keine Zeit. Verstappen drehte die Motorleistung hoch. Am Mercedes waren Bremsen und Kühlung am Limit. Dazu machten Überrundete die Aufholjagd zur Geduldsprobe. „In diesen Runden haben wir an unserem Plan gezweifelt. Und auch Lewis. Als ihm sein Ingenieur die Zeiten von Max vorgebetet hat, glaubte Lewis wir hätten ihm die falsche Taktik gegeben. Wir haben ihm daraufhin immer gesagt, dass er auf Verstappen aufholt.“ Eine Notlüge für die Psyche. Wolff: „Lewis muss man nur einen Köder hinwerfen, dann kannst du sicher sein, dass er darauf anspringt.“
Vier Runden vor Schluss hatte Hamilton seine Beute gestellt. Das Überholmanöver war Formsache, auch wenn es spektakulär aussah. Hamilton täuschte innen an und ging außen vorbei. Verstappen konnte sich nicht wehren. Eine Runde später meldete er seiner Box: „Meine Reifen sind am Ende. So komme ich nicht ins Ziel.“ Der Holländer tröstete sich mit einer Garnitur Soft wenigstens noch mit der schnellsten Runde. Hamilton feierte derweil die Strategen. „Ohne euch hätte ich es heute nicht geschafft.“ James Vowles durfte zur Belohnung mit auf das Podest klettern.
Tatsächlich war es eine Leistung des ganzen Teams. Hamilton zeigte seine Kämpferqualitäten, die Strategen ihre Schlitzohrigkeit und das Auto seinen Speed. Auch Verstappen sah ein: „Mercedes hatte heute das schnellere Auto.“ Das zeigte sich eben auch im Reifen.erschleiß. Hamilton konnte länger am Limit fahren als sein Konkurrent. Und das gab Mercedes die größere Flexibilität bei der Taktik. Für Valtteri Bottas lief der GP Ungarn maximal schlecht. Nach dem frühen Boxenstopp konnte sich der Finne nur noch auf Platz 8 vorarbeiten. Jetzt muss er auf einen Anruf seiner Chefs warten wie es 2020 weitergeht. Toto Wolff gibt zu: „Es wird eine schwere Entscheidung.“