Hockenheims Chancen steigen
Die Formel 1 bastelt an einem Ersatzkalender. Neben Reisebeschränkungen und Finanzierungshürden machen Quarantänebestimmungen den Planern das Leben schwer. Daran könnte Silverstone scheitern und Hockenheim profitieren.
Der Re-Start der Fußball-Bundesliga war schon eine schwere Geburt. Auch Nascar und IndyCar mussten der US-Regierung ausgefeilte Sicherheitskonzepte vorlegen, um die Saison in Gang zu bringen. Natürlich alles Veranstaltungen ohne Publikum.
Die Formel 1 steht vor einer ungleich schwereren Aufgabe als die Pioniere, die gerade damit angefangen haben, Profisport wieder auf die Bühne zurückzubringen. Bundesliga und Nascar sind nationale Events. Man muss nur eine Regierung überzeugen. Der Tross bleibt im Land. Die Formel 1 muss Grenzen überspringen. Und da beginnen die Schwierigkeiten. Andere Länder, andere Regeln.
England hat verfügt, dass jeder Reisende, der ab dem 1. Juli das Land betritt, 14 Tage in Quarantäne muss. Es gibt keine Extrawurst, auch nicht für die Formel 1. Silverstone kann die geplanten Termine am 26. Juli und 2. August damit vergessen. Die Rennmannschaften, die nach den zwei Österreich-Rennen nach England reisen würden, müssten erst einmal zwei Wochen in Isolation. Da wäre der erste der beiden England-Grand-Prix bereits gelaufen.
Auch eine Verlegung des Rennens auf einen späteren Zeitpunkt ist schwierig, da keiner weiß, wie lange das Königreich seine strengen Einreisebestimmungen aufrechterhalten wird. Solange keine Klarheit besteht, können die Organisatoren in Silverstone nicht planen.
Zwei Europa-Blöcke mit drei Wochen Pause
Die Quarantänebestimmungen in England stellen die Formel 1 aber auch ohne einen Grand Prix von England vor große Hürden. Sieben Teams haben ihre Basis auf der Insel. Die Rennteams wären also nach jeder Rückkehr nach England 14 Tage lang außer Gefecht gesetzt. Das heißt, dass die Rennen des Not-Kalenders in kompakten Blöcke gequetscht werden müssen mit mindestens einer Dreiwochen-Pause dazwischen.
Die Rennteams müssten die Autos in der Fabrik abliefern und dann sofort auf Heimurlaub, um rechtzeitig für den nächsten Rennblock anzureisen. Ursprünglich wollte die Formel 1 diese Woche noch den Rest-Kalender für diese Saison präsentieren. Die Quarantäneverordnung in England zwang Liberty dazu, den Plan noch einmal zu modifizieren.
Die erwähnten Dreiwochen-Pausen bringen die Terminplaner unter gewaltigen Zeitdruck. Und Zeit ist bei einem Saisonbeginn am 5. Juli und dem Ziel mindestens 15 Rennen abzuhalten Mangelware. Am besten wäre es jeweils vier Rennen am Stück zu fahren, wenigstens aber an fünf Wochenenden. Die Teams blieben dann auf Achse auf dem Kontinent.
Das vergrößert die Chancen auf einen Doppelschlag in Hockenheim. Das Motodrom läge geografisch auf dem Rückweg von Spielberg. Die Streckenbetreiber haben der Formel 1 bereits Interesse signalisiert. Hockenheim eignet sich auch wegen seiner Lage gut für ein Rennen ohne Zuschauer. Die Zufahrtsstraßen sind einfach abzusichern.
Hockenheim hofft auf Wackelkandidaten
Hockenheim-Geschäftsführer Jorn Teske gibt sich entspannt. Man sei unverhofft in dieses Thema hineingerutscht, und wenn es am Ende nicht klappt, dann könne man auch damit leben. "Wir sprechen mit der Formel 1. Nicht täglich, aber doch in einem intensiven Austausch. Wenn die Quarantänebestimmungen in England so Bestand haben, steigen unsere Chancen. Es ist aber auch keine hundertprozentige Garantie für ein Rennen. Aber wir wären auch noch nicht ganz raus, wenn Silverstone doch stattfinden würde. Es gibt ja da im europäischen Restprogramm noch ein paar andere Wackelkandidaten."
Teske legt Wert darauf, dass man nicht Silverstone aus dem Kalender drängen wolle. Hockenheim wäre einfach bereit, wenn Not am Mann ist. Irgendwann brauche man aber auch grünes Licht. Das von der Stadt hat man bereits, und Teske sieht bei entsprechendem Sicherheitskonzept auch positive Signale von der Politik.
"Bei den genannten Daten Ende Juli, Anfang August, sollten wir im Juni wissen, ob wir damit planen können. Nicht nur, um das Event zu organisieren. Das könnte man je nach Aufwand vielleicht in zwei Wochen stemmen. Wir müssen als Hockenheim.ing Geld verdienen, indem wir die Strecke vermieten. Jeder Tag, an dem wir die Strecke nicht nutzen können, weil wir sie für einen anderen Termin freihalten, bedeutet für uns Kosten."
Übersee größeres Problem als Europa
Wenn alles glattläuft soll den ersten vier Rennen eine Pause von mindestens drei Wochen folgen, bevor vier weitere Rennen in Europa stattfinden. Doch damit hören die Probleme nicht auf. Reisen nach Übersee sind eine noch viel größere Herausforderung. In Russland, Brasilien und Mexiko explodieren die Infektionszahlen gerade. Mit diesen Ländern kann im Moment keiner planen.
In den USA sind Motorsportveranstaltungen ohne Zuschauer im Prinzip zwar möglich, doch offenbar nicht überall. Es hängt auch von der Lage der Rennstrecke ab. Austin meldete bereits Bedenken an. Nascar tut sich einfacher. Die Rennen finden meistens auf Ovalkursen statt. Auch IndyCar will seine Saison auf dem Texas Motor Speedway beginnen. Diese stadionähnlichen Anlagen sind leicht abzuschotten.
Möglicherweise müssten sich auch Bahrain und Abu Dhabi am Ende der Saison auf Doppelschläge einrichten, wenn man insgesamt 15 Rennen in den Kalender bringen will. In Japan scheint Corona zwar einigermaßen unter Kontrolle, doch im Moment gilt noch ein Einreiseverbot für Bürger aus insgesamt 100 Staaten. Auch England, Italien, Frankreich und die Schweiz zählen dazu.
Die Formel 1 hat Vietnam und Baku signalisiert, dass sie ihre abgesagten Grand Prix nachholen könnten. Singapur will spätestens im Juni über eine Durchführung des Rennens entscheiden. Die Zeichen stehen schlecht. Der Stadt-Grand Prix kann nur vor Publikum stattfinden. Wer soll sonst die Aufbaukosten von 30 Millionen Dollar finanzieren? Die Stadt würde auf diesen Kosten sitzen bleiben, und für die Formel 1 macht es keinen Sinn, weil dann unter dem Strich die Ausgaben höher wären als die TV-Einnahmen.
Liberty ist jetzt ohnehin auf das Wohlwollen der Streckenbetreiber angewiesen. Die Geschäftsbedingungen haben sich nämlich geändert. Nicht der Veranstalter bezahlt Geld, sondern der Serienbetreiber. Streckenmiete und Organisationskosten müssen von den Rechteinhabern finanziert werden.
Der Preis dafür darf eine bestimmte Summe nicht überschreiten. Sonst lohnt es sich nicht mehr. Genau wegen dieser Diskussion stand das Rennen in Silverstone schon einmal auf der Kippe. Silverstone forderte von der Formel 1 fast so viel Geld, wie man normalerweise selbst bezahlen müsste. Angeblich 15 Millionen Dollar.