„Mercedes ist der Favorit“
Red Bull geht zum ersten Mal in der Hybrid-Ära mit einem Sieg im letzten Rennen des Vorjahres in die neue Saison. Der WM-Zweite sagt Mercedes mit Verstappen und Perez den Kampf an. Trotzdem gibt Teamchef Christian Horner die Favoritenrolle an den WM-Gegner ab.
Von Red Bull ist man große Ansagen vor der Saison gewohnt. Grenzenloser Optimismus und unerschütterliches Selbstbewusstsein sind Teil der DNA dieses Rennstalls. Auch wenn man dem WM-Titel seit 2013 hinterherfährt. Trotzdem haben die Red-Bull-Chefs jedes Jahr Mercedes den Kampf angesagt. Das machen sie auch diesmal, doch in einem moderateren Tonfall. Dabei hat der Herausforderer die alte Saison so gut abgeschlossen wie nie zuvor in der Hybrid-Ära. Red Bull hat Mercedes beim Finale auf einer Mercedes.Strecke im offenen Kampf geschlagen. Max Verstappen gewann in Abu Dhabi ohne Geschenke.
Red-Bull-Teamchef Christian Horner bleibt trotzdem auf dem Boden. "Die Frage lautet, wie weit Mercedes dort unter seinem Niveau gefahren ist und wie es sich ausgewirkt hat, dass sie wegen der Zuverlässigkeitsprobleme Leistung zurücknehmen mussten. Trotzdem musst du sie immer noch schlagen. Der Sieg hat uns gut getan, aber ich fürchte, er hat auch dazu beigetragen, Mercedes noch mehr zu motivieren."
Zwei Team., zwei Konzepte
Horner warnt den großen Gegner zu unterschätzen, nur weil er beim letzten Rennen des Jahres geschwächelt hat. "Sie sind immer noch die Favoriten. Sie hatten ein unglaubliches Auto letztes Jahr, das in seinen Grundzügen auch dieses Jahr am Start sein wird."
Die beiden WM-Kandidaten gehen mit völlig unterschiedlichen Ansätzen in das letzte Jahr der alten Fahrzeug-Generation. Mercedes stellte die Entwicklung am 2020er Auto schon nach dem GP Belgien ein. Red Bull brachte noch nach Bahrain neue Teile. Damit konnte Mercedes sich zwei Monate länger voll auf das 2021er Auto konzentrieren. Was Horner aber nicht stört: "Wir haben eine andere Philosophie. Wir haben das Auto auch deshalb so lange entwickelt, weil so viele Teile von 2020 übernommen werden. Und wir wollten daraus für 2021 lernen."
Trotz der Homologation warten auf die Team. zwei Aufgaben, deren Folgen schwer abschätzbar sind. Pirelli bringt Reifen mit einer neuen Konstruktion und vorne auch einem geänderten Profil. Die Einschnitte am Unterboden, den hinteren Bremsbelüftungen und am Diffusor sind gravierender als sie aussehen. Mercedes investierte in Bahrain und Abu Dhabi mehr Zeit in die neuen Reifen als jedes andere Team. Dafür verzichtete der Titelverteidiger darauf, einen auf 2021 getrimmten Unterboden zu testen. Red Bull dagegen probierte im Freitagstraining zum GP Abu Dhabi einen 2021er Boden bereits aus.
Der unterschiedliche Ansatz hat historische Gründe. Mercedes brauchte lange, ein repräsentatives Reifenmodell für die heiklen Pirelli-Reifen zu entwickeln. Red Bull dagegen wird regelmäßig von Korrelationsprobleme mit dem Windkanal genarrt. Horner gibt zu: "Wir waren der Meinung, dass wir mehr Verständnis über den gekappten Unterboden bekommen, wenn wir ihn mal fahren. Auch weil wir Korrelationsprobleme wie in den Jahren davor ausschließen wollten."
Das Problem der langen Pause
Nicht belastbare Windkanaldaten haben Red Bull auch 2020 beim Saisonstart derart ins Hintertreffen gebracht, dass Mercedes mit dem Titel auf und davon fuhr. Bis der RB16 endlich seine Kinderkrankheiten abgelegt hatte, war die halbe Saison schon vorbei. Erst als die Ingenieure dem Auto seine Unberechenbarkeit ausgetrieben hatten, konnten sie sich daran machen Rundenzeit zu finden.
Horner blickt zurück: "Den ersten spürbaren Schritt haben wir in Silverstone gemacht. Wir hatten Probleme mit der Aerodynamik. Das, was wir im Windkanal sahen, hat nicht dem entsprochen, was wir uns erwartet hatten. Wir mussten erst einmal erkennen, wo wir uns da verirrt hatten. Dazu kam, dass Mercedes sowohl mit dem Auto und dem Motor einen signifikanten Schritt geschafft hat. Das konnten wir schon von den Wintertestfahrten in Barcelona erkennen."
Die lange Pause nach den Testfahrten bis zum neu angesetzten Saisonstart Anfang Juli in Spielberg war Segen und Fluch zugleich. Red Bull und Honda wussten, dass man bis zum ersten Rennen ein großes Upgrade aus dem Hut zaubern muss, um den Vorsprung von Mercedes einzuholen. Theoretisch hatte die Corona-Krise dem Herausforderer 125 Tage Zeit geschenkt, doch davon durfte wegen des Lockdowns 63 Tage lang nicht gearbeitet werden.
Honda konnte gar nicht reagieren, weil die Motorenentwicklung eingefroren wurde. Damit musste Red Bull auf der Motorseite einen Rückstand von zwei Zehnteln durch die Saison schleppen. Der Nachteil relativierte sich erst in den letzten Rennen, als Mercedes wegen Problemen mit der Standfestigkeit Leistung zurücknahm.
In der Not packte Red Bull alles in ein großes Aerodynamikpaket, das beim Heimspiel in Spielberg debütierte. Es stellte sich jedoch als fatal heraus, dass man in der Vorbereitung ausschließlich auf den Windkanal und die CFD-Simulation beschränkt war, wie Horner ausführt: "Dass die Autos vier Monate lang still standen, hat uns nicht geholfen. Wir waren zu ehrgeizig und zu aggressiv mit unseren Simulationswerkzeugen und haben unterschätzt, dass sie die Rennstrecke noch nicht ersetzen können. Am Ende mussten wir aerodynamisch und mechanisch nachbessern." Horner resümiert: "Unsere wahre Form haben wir erst in der zweiten Saisonhälfte gezeigt."
Einen RB17 wird es nie geben
Das neue Auto heißt mit Bedacht RB16B. "Es ist das erste Mal, dass wir ein Chassis mit in die neue Saison nehmen. Und wegen der Homologationsbestimmungen darüber hinaus auch noch einen hohen Prozentsatz an Teilen. Deshalb ist es ehrlicher, das Auto RB16B zu nennen. Das nächste Modell für 2022 wird RB18 heißen. Einen RB17 wird es deshalb nie geben."
Das führt zu der Frage, ob der 2021er Red Bull dramatisch anders aussehen würde, wenn es die Homologation nicht gäbe? "Sie kennen doch die Ingenieure", seufzt der Team.hef. "Wenn man ihnen erlaubt etwas zu ändern, dann tun sie es. Wahrscheinlich wäre dann jedes Detail noch einmal optimiert. Diesen Prozess haben die Regeln etwas eingeschränkt."
Sollte die Saison 2021 einen ähnlichen Verlauf nehmen wie die letzte, wäre das aus logistischer Sicht das einfachste Szenario. Alle würden sich so schnell wie möglich auf das 2022er Auto einschießen und die laufende Saison abhaken. Viel komplizierter wird es, wenn die ersten Rennen auf ein echtes WM-Duell zwischen Mercedes und Red Bull hindeuten. Wenn ein paar Korrekturen am 2021er Modell vielleicht den entscheidenden Unterschied im Titelrennen ausmachen könnten.
Für Horner ist es eine der schwierigsten Entscheidungen überhaupt, die in den Team.entralen getroffen werden müssen. "Es ist schon so schwierig genug, den Absprung für 2022 zu schaffen. Und es wird noch einmal verschärft durch die Budgetdeckelung, die Mercedes und Ferrari genauso trifft wie uns. Du musst extreme Vorsicht walten lassen, wo du dein Geld investierst. Es gibt nicht mehr den Luxus, sein Geld in zwei Programme zu stecken, parallel für 2021 und 2022 zu arbeiten. Es wird spannend zu beobachten, welche Strategien die Team. da fahren. Der Effekt auf das nächstjährige Auto ist viel größer als sonst, weil wir wirklich bei Null beginnen."
Horner drückt sich um eine klare Antwort, ob im Zwiespalt das Herz des Racers gewinnt oder die Vernunft: "Wir sind Racer von oben bis unten im Team. Die Antwort kann nur lauten: Du musst in diesem Jahr in allem was du tust so effizient wie möglich sein und 2022 als Herausforderung sehen, bei der man nichts herschenken darf. Der Entscheidungsprozess, wie man seine Ressourcen aufteilt, ist eine völlig neue Dimension."
Der Perez-Faktor
Mit Ausnahme des letzten Rennens kämpfte Max Verstappen als einsamer Wolf gegen zwei Mercedes. Dort, wo es eng wurde, konnte Mercedes eine zweigleisige Strategie fahren, um den Verfolger abzuschütteln. Das soll sich in dieser Saison ändern. Mit Sergio Perez hat Red Bull einen Fahrer an Bord genommen, dem man zutraut, dass er die Mercedes.Fahrer so weit beschäftigt, dass die ihre Taktik nicht mehr splitten können. Was Verstappen bessere Chancen eröffnet.
Horner nimmt eher sein Team als seine Neuverpflichtung in die Pflicht: "Sergio hat eine riesige Erfahrung. Er kann ein Auto ins Ziel tragen und die Reifen streicheln. Er ist ein zäher Kämpfer. Wir hoffen, dass er mehr Ausgeglichenheit in das Team bringt, ähnlich wie wir es mal mit Max Verstappen und Daniel Ricciardo hatten. Sergio wird hoffentlich die Chance bekommen in einem guten Auto zu sitzen. Es liegt an uns ihm das zur Verfügung zu stellen."
Der Team.hef sieht die Verpflichtung des Bahrain-Siegers nicht als Misstrauensvotum für Alexander Albon: "Wir alle wollten, dass Alex seinen Sitz behält. Er hat Potenzial, aber ihm fehlte die Konstanz. Deshalb wird er seinen Platz im Team behalten, Reserve- und Simulator-Fahrer sein, und die Reifentests abspulen. Er hat diese Rolle angenommen und wird versuchen, das Beste daraus zu machen. Es war ein ungewöhnliches Geschenk, dass ein Fahrer wie Sergio Perez auf dem Markt war. Wir mussten nicht mal überstürzt zugreifen, sondern konnten die ganze Saison ausloten und unsere Fahrersituation analysieren. Unter dem Strich hat es für uns den meisten Sinn gemacht, Sergio mit Max zusammenzuspannen."
Trefferquote im Juniorprogramm stimmt
Im Prinzip stolperte Albon über ähnliche Probleme wie Pierre Gasly im Jahr davor. Der Red Bull war ein kritisches Auto im Grenzbereich. Verstappen machte das nichts aus. Seinen jungen Team.ollegen schon. "Es ist für einen jungen Fahrer schwer in so eine Situation geworfen zu werden", zeigt Horner Verständnis. "Wir hatten die beiden letzten Jahre ein Auto, das nicht einfach zu fahren war. 2020 mehr noch als 2019. Als Alex 2019 mitten in der Saison in unser Auto stieg, hat er einen guten Job gemacht. Die letzte Saison war dann härter für ihn."
Die Wahl von Perez ist für Horner auch keine Absage an das Talentförderungsprogramm von Red Bull. Der 47-jährige Engländer stärkt Sportdirektor Helmut Marko den Rücken: "Ich glaube unser Juniorprogramm erfüllt seinen Zweck und Helmut wählt auch die richtigen Leute aus. Es ist unrealistisch jede Saison einen neuen Weltmeister oder Sieger zu erwarten. Unsere Trefferquote stimmt. Dass wir jetzt einmal aus der Reihe tanzen und als beste Option einen außerhalb des Kaders nehmen, bedeutet nicht, dass wir an dem System zweifeln. Ich würde eher sagen, dass wir die Größe haben, mit Sergio auch mal eine Ausnahme zu wagen. Pierre Gasly und Alex Albon sind ja weiter feste Mitglieder unseres Kaders. Und es kommen auch viel versprechende Talente nach. An erster Stelle natürlich Yuki Tsunoda. Aber auch Liam Lawson und Jüri Vips machen einen sehr guten Eindruck. Ich mache mir um unseren Nachwuchs keine Sorgen."