Rennanalyse GP Russland 2018
Valtteri Bottas war der schnellste Mann in Sotschi. Der Finne lag bis zur 25. Runde auf Siegkurs. Doch dann griff Mercedes zur Stallregie, die Lewis Hamilton den achten Saisonsieg schenkte. Sebastian Vettel hatte seine Möglichkeiten, konnte sie aber nicht nutzen.
Der Sieg ging an Lewis Hamilton. Doch es war ein geschenkter. Die Mercedes.Teamführung ordnete einen Platztausch zwischen den Teamkollegen an. Wir gehen in unserer Rennanalyse auf die Stallregie und viele weitere wichtige Aspekte des Rennens ein.
Wieso entschied sich Mercedes für Stallregie?
Lewis Hamilton und Valtteri Bottas schnauften schwer auf dem Podest. Keiner der beiden freute sich. Obwohl sie gerade einen Doppelsieg für Mercedes errungen hatten. Den Sieg machten die Fahrer allerdings nicht unter sich aus in einem fairen Zweikampf, sondern der Kommandostand bestimmte den Ausgang. In der 25. Runde fuhr Bottas für den Teamkapitän zur Seite. Die Mercedes.Teamführung um Toto Wolff entschied sich zur Stallregie, weil sie den zweiten Platz von Hamilton durch WM-Rivale Sebastian Vettel gefährdet sah.
Max Verstappen führte zu diesem Zeitpunkt das Rennen ohne Boxenstopp vor Bottas und Hamilton an. Der heißeste WM-Anwärter lag zum Ende der 24. Runde 1,3 Sekunden vor Vettel, sein linker Hinterreifen zog eine Blase. „In diesem Moment gab es zwei Szenarien, wie das Rennen ausgeht. Entweder wir fahren einen Doppelsieg ein oder Sebastian fällt über Lewis her“, führte Teamchef Wolff aus. „ Lewis hätte sich verteidigt. Dadurch hätten die Reifen noch mehr gelitten. Im schlimmsten Fall hätte er wie Räikkönen in Monza ein zweites Mal stoppen müssen. Das hätte bedeuten können, dass er nur Fünfter oder Sechster wird. Wir mussten reagieren, auch wenn uns das Herz geblutet hat.“
Red Bull-Teamchef Christian Horner zeigte Verständnis für die Entscheidung von Mercedes. „Man vergisst häufig, dass die Formel 1 ein Teamsport ist. Die WM kann sich schnell drehen. Es reichen ein paar Ausfälle und unglückliche Umstände. Mercedes will den Fahrer- und Teamtitel. Von daher haben sie eine rationale Entscheidung getroffen.“
Wie verteidigte sich Mercedes am Start?
1029,5 Meter lang ist der Sprint vom ersten Startplatz bis zur zweiten Kurve. Deshalb fürchtete Mercedes, Vettel könne wie Bottas 2017 vom dritten Platz an die Spitze schießen. Deshalb überlegte man sich am Sonntagvormittag eine Taktik, wie man Vettel abwehrt. Bottas und Hamilton setzten sie perfekt um.
Vettel startete zwar sehr gut, war bereits mit der Nase vorbei an Hamilton, erwischte aber keinen Windschatten. Das lag daran, dass Bottas von außen nach innen zog, damit sich sein Teamkollege hinter ihn klemmen konnte. Hamilton saugte sich an und entwischte Vettels Fängen. „Das war clever. Sie haben mich verhungern lassen“, erkannte der Heppenheimer an. „Wir haben besprochen, dass der vordere den hinteren zieht. Das hat perfekt geklappt. In der zweiten Kurve haben sich Valtteri und Lewis genug Luft gelassen. Besser hätten sie es nicht machen können“, lobte Wolff.
Wie kam Hamilton an Vettel vorbei?
Mercedes stellte sich nach dem gewonnen Start selbst ein Bein. Teamführung, Ingenieure und Fahrer hatten sich vor dem Rennen darauf geeinigt, dass Bottas unter bestimmten Umständen gewinnen darf. Die Führung nach dem Start war so ein Szenario. Allerdings ließ sich Vettel nicht abhängen. In der 12. Runde holten die Strategen Bottas zum Reifenwechsel. Die Mechaniker steckten um von Ultrasoft auf Soft. Diese Reifenfolge wählten auch Hamilton und Vettel. Es sollte der einzige Boxenstopp bleiben. Mercedes verpennte es in der folgenden Runde, Hamilton an die Box zu bitten. „Das war meine Schuld. Ich sprach zu James Vowles am Funk. Das hat ihn abgelenkt“, entschuldigte der Teamchef. Vowles ist der Chefstratege von Mercedes. Ferrari dankte, fertigte Vettel ab und überflügelte Hamilton durch den Undercut. „Wir haben die Wirkung der frischen Reifen unterschätzt. Wir dachten, dass der Vorteil halb so klein ausfällt“, berichteten die Mercedes.Ingenieure.
Vettel steuerte seinen Teil bei. Der WM-Zweite, der vor dem Stopp 1,7 Sekunden hinter Hamilton lag, fuhr eine sehr schnelle Outlap. In 1:57.762 Minuten war er eine Sekunde schneller als Bottas auf dessen Outlap. Ferrari ging volles Risiko. Vettel durfte die Batterie komplett leer saugen. Das rächte sich in der 16. Runde. Da konterte Hamilton auf der Strecke. Wieder unterstützte ihn der Teamkollege. „Ich habe stark verlangsamt, um Sebastian aufzuhalten“, erklärte Bottas. „Im letzten Sektor gab ich wieder Gas, damit er auf der Zielgerade nicht in den Genuss von DRS kommt.“ Vettel fehlten etwa drei Zehntel, um den Flügel umklappen zu dürfen. „Wieder ein cleverer Zug von Mercedes., fand Vettel. „In den Turbulenzen verlor ich Anpressdruck und blockierte einmal kurz die Reifen. Schon war Lewis dran.“
Hamilton kreuzte sechseinhalb Zehntel nach Vettel den Zielstrich. Er hatte DRS, Vettel eine leere Batterie. Die Attacke am Ende der Zielgerade wehrte der Ferrari-Star mit harten Bandagen ab. Hamilton klagte am Funk über zwei Spurwechsel. Erlaubt ist bei Verteidigung nur einer. Die Rennkommissare untersuchten Vettels Manöver, sprachen ihn aber schnell frei von jeder Schuld. „Es war ein Spurwechsel mit Verzögerung“, erklärte Rennleiter Charlie Whiting. In Kurve vier fiel Hamilton ein weiteres Mal über Vettel her, stach innen hinein und war wieder Zweiter. „Ich habe ihn aus den Augen verloren. Ich wusste, dass er irgendwo auf der Außenseite war, aber nicht wo. Er hat mich dann auf der Bremse gepackt“, sagte Vettel. Hamilton bezahlte die Attacke mit einer Blase. Dieses Problem löste die Strategiebabteilung.
Hätte Red Bull gewinnen können?
Die Frage darf erlaubt sein, wenn ein Fahrer nach einer Motorenstrafe vom 19. Startplatz innerhalb weniger Runden bis in die Top 5 fährt, und zwischen Runde 19 und 42 sogar das Rennen anführt. Max Verstappen brannte an seinem 21. Geburtstag ein Feuerwerk ab. Die Gegner wurden zu Pappfiguren. In der ersten Runde schnappte sich „Mad Max“ sechs Autos. In der zweiten schnupfte er die beiden Renaults. In der dritten Romain Grosjean und Marcus Ericsson. In der vierten Sergio Perez. In der fünften Esteban Ocon. In der sechsten Kevin Magnussen und in der achten schließlich Charles Leclerc. Seine Lieblingsstelle lag am Ende der Gegengerade. Bei all den Überholmanövern pflegte Verstappen auch noch seine Reifen.
Trotz der starken Vorstellung glaubt Red Bull nicht, dass man auf einem vorderen Startplatz hätte gewonnen. „Wir hatten ein sehr gutes Rennauto, aber ein Sieg wäre schwer geworden“, meinte Christian Horner. „Wir wären vor Ferrari gelandet“, glaubt Red Bulls Motorsportlenker Helmut Marko. Ein Indiz dafür, dass Mercedes auch im Rennen besser war als Red Bull sind die schnellsten Rennrunden. Bottas fuhr im 50. Umlauf 1:35.861 Minuten. Hamilton war nur ein halbes Zehntel langsamer und Vettel etwas mehr als ein Zehntel. Verstappen drehte seine schnellste Rennrunde fünf Umläufe zuvor in 1:36.283 Minuten. Jedoch auf frischen Ultrasofts und nicht auf gebrauchten Softs wie die Spitze.
Daniel Ricciardo kämpfte sich mit einem angeschlagenen Frontflügel nach der ersten Runde nicht ganz so schnell durch das Feld. „Die Aero-Balance war im Eimer“, berichtete Horner. Red Bull zögerte mit beiden Fahrern die Boxenstopps so weit wie möglich hinaus. „In der Hoffnung auf ein Safety Car. Dann hätten wir mit frischen Reifen den Ferraris in der Schlussphase einheizen können.“ Doch wieso überhaupt ist der RB14 wieder ein so schnelles Auto? Zwischenzeitlich hinkte man in dieser Saison Mercedes und Ferrari deutlich hinterher. Und in Russland kamen keine sichtbaren Updates an das dunkelblaue Auto. „Wir haben einige unserer jüngsten Aerodynamik-Modifikationen revidiert. Da lagen wir auf dem falschen Weg“, erklärt der Doktor. „Jetzt reisen wir mit einem richtig guten Gefühl nach Suzuka und Mexiko. Dort sollten wir wieder stark sein.“
Wieso ging Renaults Taktik schief?
Mit den Softs am Start wähnte sich Renault im Vorteil gegenüber HaasF1, Sauber und Force India, die auf gebrauchten Hypersofts begannen. Doch die Strategie ging nicht auf, obwohl Nico Hülkenberg zwischenzeitlich an siebter Stelle lag. Es hatte einen einfachen Grund: Der Renault R.S.18 war in Russland einfach zu langsam. Eine Entscheidung konnte man nicht nachvollziehen: Warum Renault Hülkenberg schon in der 35. Runde an die Box holte. Zu diesem Zeitpunkt befand der Rheinländer seine Reifen noch als gut. Ein Safety Car hätte Renault einen Platz in den Punkten gebracht.
Der Sauber C37 schonte den Hypersoft und war auch mit dem Soft schnell. Der HaasF1 verschleißte die Reifen mehr. Doch Kevin Magnussen machte sich breit und hielt die beiden Force Indias hinter sich. Egal, ob Esteban Ocon oder Sergio Perez anlief.