Ein Grand Prix mit zwei Siegern
George Russell fuhr wie von einem anderen Stern. Doch Mercedes verwehrte mit einer unerklärlichen Boxenpanne seinem pfeilschnellen Aushilfsfahrer den ersten Sieg. Den eroberte dafür Sergio Perez, der nach einer Runde fast aussichtslos Letzter war.
Zwei Fahrer haben dem Grand Prix von Sakhir, der Premiere auf dem Outer Track, ihren Stempel aufgedrückt. George Russell, der in einem Auto, das er nicht kennt, wie entfesselt fuhr. Und Sergio Perez, der zur Stelle war, als es den Sieg abzuräumen galt. Wir gehen in unserer Rennananalyse auf die wichtigsten Fragen ein.
Warum verpatzte Mercedes die Boxenstopps?
Bis zum Missgeschick seiner Mannschaft führte George Russell den Großen Preis von Sakhir souverän an. In einem Auto, das er in drei Trainings und einer Qualifikation auf rund 500 Kilometern kennenlernte, dominierte der Ersatz von Lewis Hamilton den Teamkollegen fast nach Belieben. Russell verteilte 57 Ohrfeigen an Valtteri Bottas. In 57 der 61 Runden bis zum Malheur zeigte er seinem finnischen Rivalen, der bis zum Rennen an die 14.000 Kilometer im Mercedes W11 abgespult hat, den Diffusor. Mehr sogar. Er hängte ihn ab.
Russell gewann den Start, obwohl die Lenkradwippen nicht auf seine Hände und Finger, sondern auf die von Hamilton maßgeschneidert sind. Er distanzierte Bottas im ersten Stint auf den Mediumreifen. "Ich hatte zu starkes Untersteuern in den Kurven vier, sieben und acht. Und auf dieser Strecke ist es so, dass du in der verwirbelten Luft bis zu einem Abstand von drei Sekunden nur driftest", entschuldigte sich Bottas. Russell ließ sich nicht mal von einem Schluckauf am Motor nach dem ersten Reifen.echsel aus der Ruhe bringen. "Es fühlte sich komisch an. Die Leistung war kurz weg. Ich musste ein paar Einstellungen verändern und schon lief die Maschine wieder rund. Ich hatte alles unter Kontrolle." Kurzum: Er fuhr wie Lewis Hamilton.
Bis zur 62. Rennrunde war Russell auf Kurs. Bis die Mercedes.Strategen ihre beiden Fahrer unter Safety Car zu einem Sicherheitsstopp in die Boxengasse lotsten, um Russell und Bottas im Finale mit frischen Reifen abzusichern. Man hatte fünf Sekunden, um Russell zum Reifen.echsel zu holen und weitere fünf bei Bottas. Das war der Abstand zwischen den beiden. Doch nur eine Seite der Garage hörte den Befehl von Teammanager Ron Meadows, einen Satz der Mediumreifen aus den Regalen zu holen. "Die Mechaniker von George haben den Befehl nicht gehört. Deshalb lagen die falschen Reifen parat", erklärte Mercedes.Teamchef Toto Wolff.
Sie hörten es nicht, weil ein Funkspruch des scheinbar sicheren Siegers den von Meadows überlagerte. In der Hektik steckten die Mercedes.Mechaniker dem Auto mit der Startnummer 63 die Reifen an die Vorderachse, die eigentlich Bottas hätte bekommen sollen. Danach wurde Bottas abgefertigt. "Da haben wir den Fehler sofort bemerkt. Wir hatten nicht genug Reifen. Wir mussten ihm deshalb wieder die harten Reifen aufstecken", erklärt Wolff. Die harten Vorderreifen drehten sich ja am anderen Auto. Und die von Russell, die zwei Mechaniker hertrugen, musste man sofort wieder runternehmen. Sonst hätte man das gleiche Vergehen zwei Mal begangen.
Mercedes korrigierte den Fehler mit Russell eine Runde später. Die Sportkommissare untersuchten den Fall und kamen zu dem Entschluss von einer Sportstrafe oder gar einer Disqualifikation abzusehen. Weil Russell und auch Bottas ohnehin genug gestraft waren. Mercedes verlor den Doppelsieg und bezahlte für einen Teamfehler 20.000 Euro. Die Sportrichter merkten auch an, dass so ein Fall noch nie aufgetreten sei.
Hätte Russell ohne Plattfuß noch gewonnen?
Russell ließ sich nicht verunsichern. Auf gebrauchten Mediumreifen entledigte er sich nach dem Restart erst Bottas, dann Lance Stroll und Esteban Ocon. Der schnellste Mann im Feld machte Jagd auf Sergio Perez. "Ich hätte ihn noch schnappen können", glaubt der 22-Jährige.
Der Mercedes holte zwischen zwei bis fünf Zehntelsekunden pro Runde auf. Doch ein schleichender Plattfuß hinten links raubte ihm seine letzte Chance. "George musste so oft neben die Rennlinie, um zu überholen. Dabei muss er über ein Trümmerteil gefahren sein", mutmaßte der Teamchef. Die Mercedes.Strategen waren überzeugt, dass ein Wrackteil des Williams von Jack Aitken der Übeltäter war.
Sie rechneten vor, dass es ohne weiteren Stopp in der vorletzten Runde zum Zusammenschluss gekommen wäre. "DRS hätte ihm vielleicht geholfen, Sergio zu überholen. Doch Sergio ist so ein starkes Rennen gefahren. Deshalb wäre es sehr schwer geworden", meint Wolff. Der Rennsieger ist überzeugt. "Ich hatte genug Saft in den Reifen. Ich hatte Reserven. George hätte acht Zehntel schneller sein müssen als ich. Das war er nicht."
Ist Perez trotzdem ein verdienter Sieger?
Dieses Rennen hat eigentlich zwei Sieger, auch wenn nur einer oben auf dem Podest stand und der andere verzweifelt im Gras zusammen sank. Russell bewies auch in der Niederlage Größe. Wie ein Champion stellte er sich vor seine Mannschaft. "Das ist ein Teamsport. Ich habe auch schon durch Fehler gute Ergebnisse weggeworfen. Zum Beispiel in Imola. Dieses Wochenende hat mir noch einmal vor Augen geführt, wie gut diese Mannschaft ist."
Perez gewann im 190. Rennen seinen ersten Grand Prix. Allein die Art und Weise macht ihn zu einem verdienten Sieger. Perez wurde in der Startrunde von Charles Leclerc von der Bahn gekegelt, raffte sich auf und startete eine fulminante Aufholjagd – inklusive zehn Überholmanövern. Selbst von einem angeschlagenen Reifen ließ er sich nicht aufhalten. Unter Safety Car bremste er sich den linken Vorderreifen eckig beim Versuch, die Pirellis aufzuwärmen. "Die Vibrationen waren so stark, dass ich auf den Geraden manchmal das Lenkrad gar nicht gerade halten konnte."
Racing Point machte strategisch alles richtig. Man ließ den pfeilschnellen Perez bis zur 47. Runde auf der Bahn – trotz des malträtierten Reifen.. Unter dem zweiten Safety Car verzichtete man auf einen dritten Reifen.echsel. Das Team hat aus dem Fehler von Imola gelernt. Damals raubte man Perez mit einem Zusatzstopp das Podest. Diesmal war die Position auf der Strecke wichtiger. Der spätere Sieger erbte zwar die Führung, doch Perez brachte den Sieg im Stil eines Großen ins Ziel. Dieser Perez gehört 2021 in den Red Bull. Das müsste spätestens jetzt allen Verantwortlichen klar sein. Perez ist konstant, schnell, zuverlässig – kurzum ein Punktegarant. Und er wäre der ideale Partner von Verstappen. Der Niederländer braucht gegen die übermächtigen Mercedes einen Unterstützer. Alexander Albon ist das nicht. Ihn kann Red Bull strategisch nicht gegen die Überflieger nutzen.
Warum stoppte McLaren zwei Mal?
Die Podestfahrer Perez, Ocon und Stroll machten alles richtig. Sie brachten sich mit einem Overcut in eine gute Ausgangsposition. McLaren opferte mit Carlos Sainz wie Renault mit Daniel Ricciardo die Position auf der Strecke (Platz drei und vier) für einen neuen Reifen.atz während der späten Neutralisation. "Für uns war ein Zweistopprennen der schnellere Weg ins Ziel. Gegen Perez hätten wir keine Chance gehabt. Der wäre sowieso an uns vorbeigeflogen", sagte McLarens Teamchef Andreas Seidl.
Der Viertplatzierte Carlos Sainz, der nach einer starken Startphase 35 der 87 Rennrunden auf dem dritten Platz verbracht hatte, ärgerte sich über Bottas. Der Finne kam nach dem letzten Restart auf seinen alten harten Reifen nicht vom Fleck – und war für fünf Runden ein Puffer zwischen dem McLaren und Racing Point. Erst in der 77. Runde fand der baldige Ferrari-Pilot einen Weg vorbei am Mercedes. Bis dahin hatte sich Stroll allerdings aus dem DRS-Fenster gefahren. In der turbulenten Luft des Racing Point arbeitete sich Sainz wieder heran. Das Podest verfehlte er um 0,7 Sekunden. "Wir haben eine Runde zu viel hinter Bottas verloren."
Was war mit Sebastian Vettel los?
Ferrari war nach vier Kurven ein Einmannteam. Charles Leclerc hatte sich nach einer Fehleinschätzung selbst aus dem Rennen geboxt. Beinahe hätte er Perez mit seinem Rempler ausgeknockt. Max Verstappen hatte weniger Glück als der Sieger. Er musste dem Racing Point ausweichen und landete in der Streckenbegrenzung.
Die Kommissare identifizierten den Ferrari-Fahrer als eindeutig Schuldigen der Kollision. "Leclerc hat zu spät gebremst, das rechte Vorderrad stand und er kollidierte mit dem Racing Point, der auf der Rennlinie unterwegs war." Die Strafe: Leclerc muss beim Saisonfinale in Abu Dhabi um drei Startpositionen zurück.
Sebastian Vettel erlebte wie in der Vorwoche ein enttäuschendes Rennen. "Ich bin auf keinen grünen Zweig gekommen." Der Heppenheimer war zu keiner Zeit wirklich schnell, sondern Kanonenfutter. "Ich habe mich sehr schwer getan, überhaupt mitzukommen. Ich musste mich die ganze Zeit verteidigen und konnte nie in den Angriffsmodus schalten." Klingt nach Balanceproblemen. Der Motor wurde hinten heraus immer schwächer, weil es sich um ein Uralt-Triebwerk handelt.
Hinzu kam der nächste verpatzte Boxenstopp bei Ferrari. Immer erwischt es Vettel. Der Ex-Champion nahm seine Mannschaft in Schutz. Es hätte ohnehin nicht für Zählbares gereicht. Vettel empfahl seinem baldigen Ex-Arbeitgeber, dringend an seiner Ausrüstung für die Reifen.echsel nachzubessern."Die Jungs tun mir leid. Sie sehen jedes Mal blöd aus, können aber nichts dafür. Unser Auto ist nicht gemacht für Boxenstopps. Da braucht es wahrscheinlich eine Generalüberholung beim Design."