Hamilton Türöffner für Verstappen

Lewis Hamilton und Mercedes sind nicht mehr eine ganz so glückliche Familie, wie sie einmal waren. Wenn die Ehe in eine weitere Verlängerung geht, muss Hamilton von seinem hohen Ross runter. Sonst sitzt Max Verstappen 2022 in seinem Auto, meint Michael Schmidt.
Lewis Hamilton und Mercedes setzen ihre Zusammenarbeit fort. Aber nur für ein Jahr. Das ist doch schon ein alter Hut, werden Sie sagen. Warum biegt der drei Wochen nach der Verkündung mit einer Geschichte um die Ecke, die längst von allen abgegrast wurde? Ganz einfach. Manchmal ist es gut, den Dingen Zeit zu lassen und sich Kommentare Beteiligter und Unbeteiligter anzuhören. Da kommt dann meistens ein schärferes Urteil dabei heraus.
Eines gleich vorweg. Für das, was jetzt folgt, habe ich keine Belege, nur ein paar Indizien. Ich bin mir aber ziemlich sicher, mit meiner Geschichte nah an der Wahrheit zu liegen. Hamilton und Mercedes gehen also in ihr neuntes Jahr. Der späte Abschluss und die Beschränkung auf ein Jahr sind ein klares Zeichen dafür, dass die Verhandlungen nicht so einfach waren, wie man uns das glauben lässt.
Natürlich ging es ums Geld und um Hamiltons Wunsch, Mercedes in seinen Feldzug für mehr Diversität und Inklusion mit einzubinden. Um was denn sonst? Sicher nicht um den Teamkollegen. Der stand ja schon fest. Sicher nicht um einen PR-Tag mehr oder weniger. Da hat man auch in der Vergangenheit immer eine Lösung gefunden.
Auch nicht um die Frage, ob Mercedes für 2022 und danach ein konkurrenzfähiges Auto bauen kann. Da ist Hamilton im Sommer auch nicht schlauer. Das wird er wie alle anderen auch erst erfahren, wenn er im Frühjahr 2022 in so einem Auto sitzt. Und wenn er einem Team vertrauen kann, das die richtige Antwort auf neue Reglements findet, dann ist das Mercedes.
Beide Parteien unzufrieden
Der Einjahresvertrag ist ein klares Indiz dafür, dass keine der beiden Parteien mit dem neuen Vertrag hundertprozentig zufrieden ist. Also gewinnt man erst einmal Zeit, um sich dann wieder zu treffen. Ich will über die Summe, die Hamilton verlangt haben soll, gar nicht spekulieren. Die kennt sowieso nur ein kleiner Kreis. Sicher ist, dass die Summe hoch war. So hoch, dass sie für die aktuell stürmischen Zeiten intern schwer vermittelbar gewesen wäre.
Dann noch die Nummer mit Hamiltons Mitspracherecht bei der Gleichstellungs-Kampagne. Kann ein Angestellter, egal wie gut er ist, einem Weltkonzern die Themen seiner Außendarstellung diktieren? So etwas kann nur auf Freiwilligkeit beruhen, aber nicht Teil einer Forderung sein. Ich fürchte, da hat sich der siebenfache Weltmeister vergaloppiert.
Wie zu hören ist, sehen das auch einige Herren in Stuttgart so. Deshalb ist auch die Idee mit der Stiftung so genial. Wer auch immer sie hatte, man muss seinen Hut davor ziehen. Sie löst den gordischen Knoten. Ich wette, in der Stiftung wird genau die Summe eingezahlt, die zwischen dem liegt, was Hamilton haben wollte und dem, was Mercedes bereit war zu zahlen.
Team und Fahrer geben je 50 Prozent. So kann Hamilton immer noch für sich behaupten, er hat das Geld bekommen, das er gefordert hat. Und Mercedes kann kommunizieren, dass Hamilton nur so viel verdient, wie politisch gerade noch vertretbar ist. Darüber hinaus retten beide Parteien mit ihrer Stiftung noch die Welt.
Alternativen für Mercedes./strong>
Doch dieser Coup funktioniert nur ein Mal. Im Herbst wird die Pandemie nicht verschwunden sein. Es wird weiter politisch unkorrekt sein, irgendwelche Irrsinnssummen aufzurufen. Der achte Titel macht Hamilton nicht teurer, sondern billiger. Weil Sir Lewis dann ganz allein auf dem Podium steht. Weil sich Red Bull dann schwer tun wird, Max Verstappen zu halten. Und damit hätte Mercedes eine Alternative.
Teamchef Christian Horner ließ tief blicken, als er sagte, dass die beste Versicherung für den Verbleib Verstappens ein Siegerauto sei. Der Motorendeal mit Honda könnte ein weiterer Türöffner für Verstappen werden, sich abzusetzen. Der Holländer könnte Zweifel an der Konkurrenzfähigkeit eines Motors, der in Eigenregie betrieben wird, anmelden. Wir wissen alle, was für ein Teufelszeug diese Antriebseinheiten sind. Man hat nie alle Probleme im Griff. Nicht einmal Mercedes, wie das Saisonende 2020 gezeigt hat.
Hamilton muss auch klar sein, dass er George Russell als Teamkollege 2022 nicht ablehnen kann. Mercedes muss den Engländer ins Boot holen. Der Beinahe-Sieger von Bahrain wird sich nicht länger mit zweit- oder drittklassigen Teams abspeisen lassen. Mercedes würde sein Juwel verlieren, wenn er nicht ins A-Team aufsteigen darf.
Nicht dass Hamilton vor irgendeinem Fahrer im Feld Angst haben müsste. Aber gegen einen Russell kann er nichts gewinnen. Wenn er ihn schlägt, wird man das mit der Unerfahrenheit des jungen Kollegen erklären. Wenn er verliert, würde ihm ein Zacken aus der Krone brechen.
Das beste für eine Weiterführung der Ehe über 2021 hinaus wäre, wenn Mercedes und Hamilton ausnahmsweise mal nicht Weltmeister werden. Dann brauchen sich die beiden Parteien vielleicht doch noch einmal. Hamilton, weil er den achten Titel will. Mercedes, weil Hamilton im Duett mit Russell die bestmögliche Fahrerpaarung für die neue Ära wäre.