F1-Teams leben in einer Blase
In Corona-Zeiten ist alles anders. Einschränkungen hier und Vorschriften da. Die Teams müssen in Blasen reisen und leben. Jede Aktion wird hinterfragt. Wir geben einen Überblick über das Sicherheitskonzept der Formel 1 und der FIA.
Das ist keine normale Formel 1-Saison, die da am 5. und 12. Juli in Österreich mit einem Doppelschlag und 112 Tagen Verspätung beginnt. Noch nie ist die Königsklasse so spät in eine Saison gestartet. Noch nie hat sich der Kalender vor dem ersten Rennen so stark verändert. Noch nie wurden zehn Grand Prix abgesagt oder verschoben, und noch nie wusste man im Juni nicht, wie es nach der ersten Saisonhälfte weitergeht. Auch neu: Das Reglement vor dem Saisonstart in Spielberg ist ein völlig anderes als das vor dem ausgefallenen Auftakt in Melbourne.
Auch der Kalender hat ein neues Gesicht. Zunächst einmal existiert er nur zur Hälfte. Es gibt einen Grand Prix der Steiermark und einen zum 70. Geburtstag der Formel 1. Doch nichts erinnert an eine rauschende Geburtstags-Party. Stattdessen ist Disziplin gefragt. Und ein Leben in der Blase. Das klingt eher nach Gefängnis als nach grenzenloser Freiheit.
Corona stellt alles auf den Kopf. Zum Einstieg in die 71. Saison der Formel 1 kann es nur Geisterrennen geben. Doch auch im Fahrerlager und der Boxengasse ist nichts mehr wie es war. Das Leben im Mikrokosmos Formel 1 regelt ein 73-seitiges Protokoll der FIA.
Handbuch mit Titel "Return to Racing"
Zunächst einmal verbreitet der Covid-19-Plan Optimismus. Motorsport ist eine Outdoor-Aktivität, dazu noch kontaktlos. Und es ist möglich, Autorennen ohne Publikum zu veranstalten. Damit sind alle Voraussetzungen geschaffen, trotz Pandemie Rennen zu veranstalten.
Trotzdem hat die Formel 1 im Gegensatz zum Fußball einige Hürden zu überspringen. Bei einem Grand Prix sind viel mehr Leute involviert. Zehn Teams statt zwei, mit 80 statt 30 Leuten. Dazu viel mehr Personal, um den Laden am Laufen zu halten. Streckenposten, Rennleitung, Sportkommissare, Technikdelegierte, Ärzte, Ordner, Zulieferer, Verwaltung. Mit Rahmenrennen zur Formel 2, Formel 3 und dem Porsche-Supercup halst man sich noch zusätzliche Hindernisse auf.
Außerdem findet die Formel 1 rund um den Globus statt. Der Einfachheit halber erst einmal nur in Europa, da aber bereits in sechs Ländern mit sechs unterschiedlichen Corona-Fallzahlen, Risikostufen und nationalen Gesetzen. Grundsätzlich muss sich der GP-Tross zunächst einmal nach den Corona-Verordnungen des jeweiligen Landes richten. Dazu kommen die Auflagen der FIA. Und die sind in einem Handbuch mit dem Titel "Return to Racing" niedergeschrieben. Alles ist darauf ausgerichtet, dass sich keiner aus der Gemeinschaft ansteckt. Und wenn doch, wie man trotzdem die Veranstaltung über die Bühne bringt. Notfalls mit einem Team weniger.
Die Teams sind dabei wie Inseln. Sie müssen ihre Reise- und Übernachtungspläne der FIA und dem Veranstalter mitteilen und jeden Verdachtsfall sofort melden. Für Tests, Notfallmaßnahmen, Isolation und Quarantäne gibt es genaue Vorschriften. In der Wahl ihrer Anreise sind die Teams frei, solange sie sich untereinander nicht vermischen. Alfa Romeo hat seine Pläne für die ersten acht Grand Prix bereits gemacht. Nach Österreich, Ungarn, Belgien und Italien fahren die Teammitglieder im Auto. Nur nach England und Spanien wird geflogen.
Problem bei mehr als zwei Ausfällen
Für die Dreierpakete zu Beginn der Saison bleibt das Team zusammen. "Es wird also zwischendrin keiner nach Hause gehen, außer in einem Notfall", versichert Alfa Romeo-Teammanager Beat Zehnder. Zu den ersten drei Rennen reist das Team wie üblich mit fünf Trucks an. Die Rennmannschaft reist im Auto nach Spielberg und Budapest. Die Corona-Tests vorab werden am 26. und 29. Juni in der Schweiz erledigt.
Vor Ort wird alle fünf Tage getestet. Das ist eine Lockerung im Vergleich zum ursprünglichen Plan mit Tests alle zwei Tage und ist auch den niedrigen Corona-Zahlen in Österreich geschuldet. Das könnte in Silverstone schon wieder ganz anders aussehen. "Es ist und bleibt eine Momentaufnahme", warnt Zehnder. "Wer heute negativ getestet wurde, kann morgen positiv sein. Deshalb werden die Regeln von Rennen zu Rennen der aktuellen Lage angepasst."
Wegen der strengen Corona-Bestimmungen der Formel 1 müssen die Teams mit begrenzter Mannschaftsstärke antreten. Maximal sind 80 Mitarbeiter erlaubt. Alfa Romeo füllt das Kontingent nicht einmal aus. "Aus Hinwil kommen 55 Leute. Dazu stoßen an der Strecke noch zwölf Mitarbeiter von Ferrari. Damit sind wir auf 67. Die zehn Leute von der Aufbautruppe kommen nur für Auf- und Abbau der Garagen und verschwinden dann wieder." Für den Notfall steht für jede Position in Hinwill ein Ersatzmann auf Abruf. "Als kleines Team sind wir da aber begrenzt. Wenn mehr als zwei Mechaniker aussteigen, habe ich ein Problem", betont Zehnder.
Auch das Personal an der Strecke wurde stark reduziert. In der Boxengasse und im Fahrerlager stehen maximal 26 Marshalls bereit. An der Strecke werden pro Posten sechs Helfer eingeteilt, dazu mindestens fünf Sektor-Posten. In der Rennleitung sitzen zusammen mit den Sportkommissaren 21 Fachkräfte und drei Ärzte. Weitere 18 Delegierte arbeiten in unterschiedlichen Funktionen an unterschiedlichen Orten, vom Zeitnehmer bis zu den Aufpassern an der FIA-Waage. Die Zahl der Personen für Feuerwehr und Ambulanzen richtet sich je nach Strecke und Rahmenrennen.
Briefings finden je nach Anzahl der beteiligten Personen entweder in entsprechend großen Räumlichkeiten oder im Freien statt. Notfalls auch digital via Zoom-Konferenz. Für jedes Meeting gibt es eine Checkliste mit 17 Fragen, um Infektionsketten nachforschen zu können. Bei allen Besprechungen ist das Tragen von PPE-Masken Pflicht.
Startaufstellung limitiert
Im Fahrerlager müssen sich die Teams auf neue Arbeitsbedingungen einrichten. Motorhomes und eigene Hospitality sind verboten. Die Teams werden streng getrennt in separaten Räumlichkeiten der Boxenanlage untergebracht. Fahrer und Teamleitung bekommen dazu je einen Container gestellt. Die Verpflegung wird zentral von Do&Co geliefert.
Zehnder verrät: "Wir werden in unserer Blase leben. Immer wenn wir Kontakt zu Leuten außerhalb dieser Blase haben, müssen Gesichtsmasken getragen werden. Zum Beispiel in der Garage, wo auch Leute von Pirelli arbeiten. Die bekommen einen separaten Arbeitsbereich in der Garage. Das gilt für alle Trainingssitzungen und das Rennen. In unserer Gruppe brauchen wir die Masken nicht, außer wir können die Abstandsregeln nicht einhalten."
So zum Beispiel beim Boxenstopp oder am Kommandostand. "Die Mechaniker beim Boxenstopps haben Balaclavas an. Das gilt als Gesichtsmaske. An der Boxenmauer tragen wir medizinische Masken. Wir könnten auch jeden zweiten Sitz frei lassen. Das machen wir aber nicht."
Ein Spezialfall ist auch die Startaufstellung. Es wurde sogar diskutiert, sie komplett zu streichen und aus der Box direkt in die Formationsrunde zu gehen. Dazu Zehnder: "Das haben wir verworfen, weil da erst alle mal die richtige Reihenfolge finden müssten. Die Startaufstellung entspricht ja nicht der Reihenfolge, wie die Boxen angeordnet sind. Es werden jetzt einfach weniger Leute auf die Startaufstellung gelassen. 40 pro Team bis zum Drei-Minuten-Signal, danach nur noch acht pro Auto. Die Prozedur wird von 40 auf 30 Minuten verkürzt."
Auch für nachträgliche Teilelieferung gibt es ein Procedere. "Es wird ein spezieller Bereich eingerichtet, wo diese Teile angeliefert und übergeben werden. Der oder die Fahrer, die die Teile bringen, dürfen nicht in Kontakt mit den Leuten kommen, die die Teile annehmen. Der Lkw wird mit offener Klappe abgestellt und der Fahrer wartet, bis das Rennteam ausgeladen hat. Dann fährt er wieder los."
Gegen Lagerkoller hat Alfa Romeo zwischen den Rennen ein Unterhaltungsprogramm im Angebot. "Je nach Wetter Badminton, Boccia, Fußball-Turniere, Radtouren oder Wanderungen. Solange wir in unserer Gruppe bleiben und die Regeln des jeweiligen Landes befolgt werden, ist alles möglich. In Österreich geht das einfach. Für Budapest überlegen wir uns noch etwas. Silverstone wird wohl etwas heftiger. Da bleibt dann nur noch Kartenspielen", fürchtet Zehnder.