Wie schwach ist Ferrari wirklich?
Mercedes hat die erste Testwoche in Barcelona dominiert. Die Silberpfeile haben mehr Abtrieb, mehr Power und auch mehr Ideen. Ferrari und Red Bull deckten die Karten noch nicht auf. Wie groß der Mercedes-Vorsprung ist, zeigt somit erst die zweite Woche.
Die erste Testwoche von Barcelona hat zwei Dinge gezeigt: Die 2020er Autos sind zuverlässig wie Schweizer Uhren und sie werden auf dem meisten Strecken alle Rekorde brechen. Wahrscheinlich für lange Zeit. Die Teams haben an drei Tagen 18.345 Kilometer abgespult. Es gab nur fünf rote Flaggen, je zwei wegen Motorproblemen (Vettel, Latifi), zwei wegen leeren Tanks (Räikkönen, Ricciardo) und eine wegen eines Unfalls (Magnussen).
Valtteri Bottas unterbot die letztjährige Testbestzeit um 0,489 Sekunden. Nach drei statt acht Testtagen. Damit ist klar, wo die Reise hingeht: zur schnellsten Formel 1 aller Zeiten. Mercedes dominierte die erste Testwoche auf dem Circuit de Catalunya. Der Weltmeister war aber auch das einzige Top-Team, das schon bewusst auf Rundenzeit gefahren ist.
Noch hat man die Hosen nicht ganz runtergelassen, aber die 1.15,732 Minuten von Bottas waren schon eine Ansage: Mit den weichen C5-Reifen, ein bisschen mehr Power vom Motor ein bisschen weniger Sprit im Tank als üblich.
Red Bull hat die beiden weichsten Gummimischungen von Pirelli noch gar nicht angefasst. Der selbsternannte Herausforderer tat alles um seine wahre Stärke zu verschleiern. „Sie sind immer mit der gleichen Benzinmenge aus der Garage gefahren. Das macht es extrem schwierig, die Rundenzeiten zu bewerten. Wenn sie 30 Kilogramm im Tank gehabt haben, wären sie langsam. Bei 60 Kilogramm hätten wir ein Problem“, erzählten Mercedes.Ingenieure.
Ferrari machte beim Testauftakt eine traurige Figur. Die roten Autos waren weder schnell noch zuverlässig. An den Tagesbestzeiten von 1.18,289, 1.18,154 und 1.18,384 Minuten lässt sich ablesen, dass Ferrari seinem Programm der vorsichtigen Gangart treu geblieben ist.
Sebastian Vettel drehte die schnellste Ferrari-Runde auf der C4-Mischung von Pirelli. Die Fahrer durften nur in den unteren Power-Stufen fahren. Experten wunderten sich: „Wenn du deine wahre Stärke nicht zeigen willst, gibt es bessere Methoden. Da fährst du lieber mit viel Sprit herum.“
Red Bull bringt das größte Upgrade
So oder so: Ferrari ist nicht so schlecht, wie es die Rundenzeiten vermuten lassen. Und Mercedes vielleicht nicht so überlegen, wie es jetzt den Anschein hat. „Die Reifen haben sich diesmal ganz anders verhalten als vor einem Jahr. Wir hatten vorne überhaupt kein Körnen. Das hat vielleicht auch den Rundenzeiten geschmeichelt“, hieß es aus dem Mercedes.Camp.
Trotzdem ist Mercedes nach den Hochrechnungen der Konkurrenz wieder das Team, das man schlagen muss. Weder Ferrari-Teamchef Mattia Binotto noch Red Bull.Technikdirektor Adrian Newey glauben, dass man im Moment mit den Silberpfeilen mithalten kann. Und wie sieht der Entwicklungsfahrplan aus? Bei Red Bull kommt bis zum ersten Rennen noch ein großes Aerodynamik-Paket, bei Mercedes ein kleines, bei Ferrari gar keines.
Weil die Teams in der ersten Testwoche höchst unterschiedliche Programme gefahren sind, sind Analysen im Moment noch schwierig und mit einer hohen Fehlertoleranz behaftet. Ein paar Anhaltspunkte gibt es dennoch. Zum Beispiel die Top-Speeds am Ende der Zielgerade (S1), vor Kurve 4 (S2) und am Ende der Gegengerade (S3).
Drei Werte stechen heraus. Haas, Ferrari und Mercedes liegen auf der Zielgerade deutlich vor dem Rest. Das spricht für einen guten Windschatten, weil die beiden anderen Speedmessungen diesen Wert nicht untermauern.
Ferrari war ganz offensichtlich mit weniger Power und mehr Luftwiderstand unterwegs. Vergessen wir mal die 329,0 km/h von Vettel vor dem Bremspunkt für Kurve 1. Auf den beiden anderen Geraden lag Ferrari am Ende des Feldes. Alpha Tauri und Racing Point dagegen vorne.
Das spricht dafür, dass Mercedes und Honda ihre Kundenteams schon mal als Testträger an die Front geschickt haben. Auch Mercedes hat auf den Geraden zugelegt. Top-Speed war 2019 die größte Schwachstelle. Dass es jetzt nicht mehr so ist, liegt auch am neuen Motor. Mercedes hat ordentlich Leistung gefunden.
Ferrari verliert in langsamen Kurven
Bei den Sektorzeiten liegt Mercedes logischerweise in allen drei Streckenabschnitten vorn. Red Bull rangiert im ersten Sektor im Mittelfeld, was für moderate Motorleistung und viel Sprit im Tank spricht. Normalerweise sind die ersten drei Kurven das Revier der Red Bull. Ferrari versteckt sich ganz am Ende der Rangliste. Ganz klar ein Power-Thema. So schlecht kann der neue SF1000 nicht sein.
Im zweiten Sektor mit einem Mix aus schnellen und langsamen Kurven machen Renault und Racing Point eine gute Figur. Bei Racing Point kein Wunder. Dahinter verbirgt sich ja der alte Mercedes. Renault überrascht. Dieser Typ Kurven passte dem Auto 2019 nicht so gut.
Alfa Romeo hängt auch noch vorne mit drin. Das kann aber an der Reifenwahl liegen. Kimi Räikkönen und Antonio Giovinazzi waren wie die Mercedes.Piloten als einzige mit den C5-Reifen unterwegs.
Die Rundenzeit wird in Barcelona aber in den letzten sieben Kurven gemacht. Das war letztes Jahr der Paradesektor von Mercedes, und er ist es immer noch. Allerdings fallen im dritten Sektor die Reifenmischung und die Spritmenge an Bord stärker ins Gewicht als anderswo. Und da war Mercedes im Vergleich zur Konkurrenz unter besseren Rahmenbedingungen unterwegs.
Erstaunlich ist auch hier wieder die Zeit von Renault. Esteban Ocon konnte in dieser Passage Max Verstappen um eine Zehntelsekunde abhängen. Der Franzose war allerdings mit weicheren Reifen auf der Strecke als der Red Bull.Pilot.
Ferrari landet da im Mittelfeld. Reduzierte Motorleistung ist keine gute Ausrede. Sie spielt in dem Kurvenlabyrinth eine geringere Rolle als anderswo. GPS-Hochrechnungen entlarven, dass Ferrari seine Zeit immer noch in den langsamen Kurven verliert.
Schön zu sehen: Williams ist in allen drei Sektoren dran am Feld. Die Ingenieure haben ordentlich Abtrieb draufgepackt. Nur der Luftwiderstand ist immer noch zu hoch. Auf den Geraden fehlt weiterhin Top-Speed.
Mercedes fliegt bei den Longruns allen davon
Longruns sind in der ersten Woche noch kein guter Gradmesser. Echte Rennsimulationen sind bislang nur wenige Teams gefahren: Lewis Hamilton, Sergio Perez, Esteban Ocon und Lando Norris am zweiten Tag, Max Verstappen, Daniel Ricciardo und Antonio Giovinazzi am dritten. Ferrari, Haas, Alpha Tauri und Williams legten nur Pseudo-Dauerläufe auf die Bahn.
König der Longruns war natürlich auch Mercedes. Lewis Hamilton teilte sich an Testtag 2 sein imaginäres Rennen in drei Etappen ein. Mit echten Boxenstopps dazwischen. Es wurden nur Reifen gewechselt, nicht in der Garage nachgetankt. Hier ein Blick auf seine Stints und die durchschnittlichen Rundenzeiten:
- Stint 1 – 1.22,218 min – 16 Runden
- Stint 2 – 1.21,290 min – 17 Runden
- Stint 3 – 1.20,315 min – 29 Runden
Zum direkten Vergleich der Longrun von Max Verstappen einen Tag später. Der Red Bull.Pilot musste seinen zweiten Turn nach zehn Runden wegen einer roten Flagge abbrechen und hängte später noch einmal sieben Runden dran.
Verstappen war in allen drei Phasen der Simulation klar langsamer als Hamilton. Es ist natürlich möglich, dass nach dem erzwungen Stopp in der Garage aufgetankt wurde, um Nebel zu streuen. Red Bull hätte 8.30 Minuten Zeit dazu gehabt. Hier ein Blick auf die Stints des WM-Dritten von 2019:
- Stint 1 – 1.22,821 min – 16 Runden
- Stint 2 – 1.21,881 min – 10 Runden
- Stint 3 – 1.21,214 min – 25 Runden
Daniel Ricciardo ist ein guter Maßstab für das Mittelfeld. Der Australier zeigte einen seltsamen Longrun. Schwach mit viel Benzin an Bord, doch dann immer besser. Ricciardo war mit dem ersten Reifensatz allerdings auch fünf Runden länger unterwegs als Hamilton und Verstappen. Auch bei Renault ging es nach den Reifenwechseln immer gleich weiter. Hier die Zahlen für seinen Dauerlauf:
- Stint 1 – 1.23,940 min – 21 Runden
- Stint 2 – 1.22,784 min – 17 Runden
- Stint 3 – 1.21,391 min – 22 Runden
Die Longruns von Sergio Perez stellen kein richtiges Rennen dar. Dazu sind die Durchschnittszeiten im ersten Stint zu schnell und im dritten zu langsam. Vermutlich wurde der Racing Point des Mexikaners zwischendrin immer wieder aufgetankt. Die langen Standzeiten lassen es vermuten. Der Vollständigkeit halber hier die drei Abschnitte von Perez:
- Stint 1 – 1.22,268 min – 20 Runden
- Stint 2 – 1.22,212 min – 19 Runden
- Stint 3 – 1.22,043 min – 30 Runden
Ferrari verbrachte praktisch die ganze Woche damit Daten zu sammeln und das Auto kennenzulernen. Viele Boxenaufenthalte mit längeren Pausen lassen viele Setup-Wechsel vermuten. Nur ein Mal war Sebastian Vettel länger unterwegs. Am dritten Tag schaffte er 16 Runden am Stück. Zugegeben außergewöhnlich konstant.
Was die Durchschnittszeit von 1.22,281 Minuten bedeutet, ist ohne Wissen der Spritmenge schwer einzuordnen. Wenn er den Tank leer gefahren wäre, waren zu Beginn des Stints mindestens 30 Kilogramm Benzin an Bord gewesen. Doch dazu wäre seine letzte Runde von 1.22,382 Minuten zu langsam. Man muss also von mehr Kraftstoff an Bord ausgehen. Der 16-Runden-Turn wäre aber auch mit 70 Kilogramm im Vergleich zu Mercedes und Red Bull nicht konkurrenzfähig.