Renault greift Red Bull an
Mercedes ist auch in der Hitze schnell. Weil man schnell sein muss. Diesmal ist es nötig, denn die Temperaturen werden drei Tage lang um die 30 Grad-Marke pendeln. Die Überraschung des ersten Trainingstages waren die Renault, die auf dem Niveau von Red Bull unterwegs waren.
Mercedes beherrscht weiter die Formel 1. Doppelsieg in der ersten Sitzung, Doppelsieg in der zweiten. Valtteri Bottas und Lewis Hamilton teilten sich die Bestzeiten paritätisch auf. Die Tagesbestzeit ging mit 1.25,606 Minuten an Hamilton. Damit lagen die Rundenzeiten bereits 1,6 Sekunden unter dem Freitag der vergangenen Woche. Das hat drei Gründe. Die Teams haben sich bei der Abstimmung der Autos mittlerweile eingeschossen. Die Temperaturen sind etwas niedriger und die Reifen eine Stufe weicher als vor einer Woche. Und die Fahrer haben für einen Freitag etwas mehr Gas gegeben, um herauszufinden, wo das Limit der Reifen liegt.
Im ersten Training drehte sich alles um die Reifenfrage. Alle Teams probierten ausschließlich die C4-Mischung aus, die in dieser Woche der Soft-Reifen ist. Es wurde schnell klar, dass dieser Reifentyp bestenfalls für eine schnelle Runde in der Qualifikation taugt. Vorne und hinten links zeigten sich schon nach wenigen Runden schwere Verwundungen in Form von Blasen oder Körnen. Nach fünf Runden ist ein Wechsel angeraten, weil man zu viel Zeit verliert. Die Soft-Longruns der McLaren-Piloten waren bei kürzerer Laufzeit um 1,5 Sekunden langsamer als die Medium-Dauerläufe der restlichen Teams. Der Medium-Gummi hält nach Schätzungen der Teams auch nur zehn Runden durch. Somit könnte die populärste Reifenfolge am Sonntag lauten: Medium-hart-hart.
Hinter Mercedes präsentierte sich bei der Vorbereitung zum Jubiläums-Grand Prix ein neues Bild. Red Bull war nicht mehr allein auf weiter Flur. Renault knüpfte an die gute Form des Renntages an und setzte sich mit Daniel Ricciardo sogar vor Max Verstappen. Die Franzosen machten auch in den Dauerläufen eine gute Figur, auch wenn hier Red Bull noch außer Reichweite ist. Racing Point hat sich nach der Pleite der letzten Woche konsolidiert, während McLaren im Clinch mit Ferrari um den fünften Platz der Freitagwertung kämpfte.
Die heikle Reifenwahl sprach eigentlich dafür, dass alle Teams mit ähnlichen Programmen am Freitag operieren. Trotzdem gab es zwei Ausreißer. McLaren konzentrierte sich voll auf den Soft-Reifen, um sich das maximale Kontingent der härteren Mischungen für den Samstag und Sonntag aufzuheben. Renault unterzog je eine Garnitur der harten Reifen einem Longrun, was bei den Gegnern Verwunderung auslöste.
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen
1) Kann die Hitze Mercedes ein Bein stellen?
Mercedes hat genug aus dem Hitzetraining letzte Woche in Silverstone gelernt und die Erfahrungen entsprechend umgesetzt. So wie man das von dem Weltmeister erwartet. Hamilton und Bottas markierten klare Bestzeiten, sowohl auf eine Runde als auch bei den Dauerläufen. Nur Max Verstappen fuhr mit seinem Medium-Longrun in die Nähe der Mercedes. GPS-Messungen lassen jedoch vermuten, dass Honda den Motor wieder stärker aufgedreht hat als Mercedes.
Chefingenieur Andrew Shovlin erklärte den Marschplan: "Wir haben Kilometer gespart, statt bereits geleistete Arbeit zwei Mal zu machen. Das Setup stand nach letzter Woche bereits fest. Deshalb haben wir die Zeit für Experimente genutzt." Valtteri Bottas bestätigte: "Keine Probleme mit der Balance. Das Auto war von Beginn an gut aussortiert. Das Heck klebt besser auf der Straße als vor einer Woche."
Die größte Arbeit investierte Mercedes in die Reifenfrage. Der C4-Reifen von Pirelli gab allen Rätsel auf. Er ist kaum schneller als die C3-Mischung, hält aber bedeutend weniger lang. Bottas ist sich noch nicht sicher, ob der weiche Reifen auch die schnellsten Rundenzeiten ermöglicht: "Im ersten Teil der Runde ist er definitiv schneller. Aber dann wirken so hohe Kräfte auf die Reifen, dass sie schnell nachlassen." Lewis Hamilton unterstreicht diese Einschätzung. "In den letzten Kurven beginnen die Hinterreifen bei der Soft-Mischung zu überhitzen, während die Medium-Reifen stabil bleiben."
Das Bild der Sektorzeiten ähnelt denen vom ersten Silverstone-Rennen. Im ersten und dritten Sektor konnten die Verfolger noch mithalten, im zweiten wurden sie deklassiert. Nico Hülkenberg und Charles Leclerc waren zwischen der Ziellinie und dem Ende der Wellington-Gerade nur 0,15 Sekunden langsamer als die Silberpfeile. Daniel Ricciardo verlor im Schlussabschnitt nur zwei Zehntel auf Lewis Hamilton. Dafür fehlte dem Australier in den schnellen Passagen zwischendrin eine halbe Sekunde. Da war nur Max Verstappen einigermaßen bei der Musik, obwohl der Red Bull nach wie vor Schwierigkeiten in der Luffield-Kurve hat. Sein Rückstand auf Hamilton im Mittelsektor betrug 0,323 Sekunden.
2) Kann Ferrari wieder aufs Podium fahren?
Es wird in dieser Woche deutlich schwieriger. Die Konkurrenz hat aus dem Ferrari-Trick die richtigen Lehren gezogen und nun ebenfalls den Abtrieb reduziert. Racing Point brachte gleich einen ganz neuen Heckflügel mit, der sich in der Fläche und Anstellung deutlich von der Version der Vorwoche unterschied. Die Topspeeds sprachen eine klare Sprache. Während Ferrari letzte Woche noch in den Top Ten rangierte, lagen die roten Autos am Ende der Gerade diesmal wieder in der zweiten Hälfte des Feldes. Nicht, dass Ferrari langsamer geworden wäre. Die Konkurrenz legte an Topspeed zu. Speziell Renault, Alfa Romeo und Williams. Alpha Tauri probierte die entgegengesetzte Richtung und stürzte ab. "Das Auto fühlte sich nicht mehr so gut an wie vor einer Woche", bedauerte Pierre Gasly.
Charles Leclerc deutete am Freitag letzter Woche mit dem 4. Platz bereits an, dass mit Ferrari zu rechnen war. Diesmal landete der Monegasse mittendrin. Vier Zehntel hinter Renault, drei Zehntel hinter Racing Point, praktisch zeitgleich mit McLaren.
3) Kommt Vettel seinem Teamkollegen Leclerc näher?
Die gute Nachricht: Sebastian Vettel hat den Rückstand auf seinen Teamkollegen Charles Leclerc von einer Sekunde auf 0,386 Sekunden verkürzt. Die schlechte: Sieben Minuten vor Trainingsende platzte Vettels Ferrari-Motor in Woodcote Corner kurz nach dem Hochschalten in den achten Gang. Da lag die Drehzahl gerade mal bei 10.000/min. Der starke Ölverlust deutete auf einen kapitalen Schaden hin. Damit ist dieser Motor auch nicht mehr bei Freitagstrainings einsetzbar, was eine Startplatzstrafe im letzten Renndrittel befürchten lässt.
Um die Probleme des ersten Silverstone-Wochenendes zu lokalisieren, wurde Vettel am Morgen mit mehr Abtrieb auf die Strecke geschickt als sein Teamkollege. "Das sollte ihm das Vertrauen ins Auto zurückgeben", erklärte Teamchef Mattia Binotto. Vettel bestätigte reichlich emotionslos: "Wir haben viel probiert und versucht, eine Richtung zu finden. Es fühlt sich ein bisschen besser an, ist aber nicht unbedingt schneller." Da die Differenz zwischen beiden Ferrari-Fahrern am Morgen noch 0,436 Sekunden betrug, war klar, dass Ferrari nur der Weg über weniger Flügel blieb. Vettel sattelte im zweiten Training auch wieder um.
Der Abstand gab dem Ex-Champion sichtlich zu denken. Vor allem, weil er seine Zeit gleich verteilt zu je zwei Zehnteln in den ersten beiden Sektoren verliert. Nur im letzten Abschnitt schaffte Vettel Gleichstand mit Leclerc. In den Topspeeds lag er diesmal leicht vor dem Auto mit der Startnummer 16. Bei den Longruns lief es besser. Vettel nahm Leclerc auf dem Medium-Reifen durchschnittlich 0,743 Sekunden ab. Er war allerdings auch nur sieben Runden am Stück auf dem Reifensatz unterwegs, während Leclerc zwölf Runden drehte. Da auch der Medium-Reifen nach einer gewissen Zeit stark einbrach, verfälscht eine längere Laufzeit im Vergleich das Bild.
4) Warum ist Renault so schnell wie Red Bull?
Renault hat den ersten Testtag dazu benutzt, neue mechanische Entwicklungen zu testen. Was es war, blieb geheim. Die Fahrer räumten aber ein, dass sich die Ingenieure viel davon versprachen. Daniel Ricciardo zeigte nicht nur mit der drittschnellsten Zeit, dass Renault ein Kandidat für die besten fünf Plätze sein kann. Mit Glück sogar für ein Podium. "Wir sind auch mit den Longruns auf einem guten Weg", freute sich Ricciardo.
Renault ging einen anderen Weg als die Konkurrenz. Daniel Ricciardo und Esteban Ocon waren die einzigen Fahrer, die mit den harten Reifen Longruns gefahren sind. Das löste bei der Konkurrenz Kopfschütteln aus, weil die harte Mischung die härteste Währung an diesem Wochenende ist. Und jeder Fahrer hat nur zwei Satz davon. Offensichtlich glaubt Renault mit der Reifenfolge medium-medium-hart über die Distanz zu kommen. Oder man plant gleich mit einem dritten Stopp. Vielleicht war diese Übung nicht so sinnlos, wie sie zunächst aussah. Der harte Reifen wurde letzte Woche als Medium-Gummi bereits im Rennen gefahren und eigentlich müssten damit bereits genügend Daten vorliegen. Renault traute offenbar dem Braten nicht und wollte sich noch einmal über die Haltbarkeit des Reifentyps unter höheren Temperaturen vergewissern.
Max Verstappen zeigte sich weniger über die Form der Mercedes als die der Renault und Racing Point überrascht. "Es war zu erwarten, dass die Mercedes vorneweg blasen. Was soll sich in ein paar Tagen schon groß ändern? Aber dahinter könnte es auf eine Runde ziemlich eng werden. Für den Sonntag erwarte ich wieder ein einsames Rennen." Der Holländer liest das aus den Medium-Longruns. Da lag er im Schnitt über eine halbe Sekunde vor seinen Gegnern von Racing Point und Ferrari. Zu McLaren und Renault fehlte allerdings der direkte Vergleich.
Sein früherer Teamkollege Ricciardo war mit dem ersten Tag inklusive der Rennsimulationen zufrieden. Seine einzige Sorge: "Morgen ändert sich die Windrichtung. Ich hoffe, wir reagieren richtig darauf." Esteban Ocon ging mit der Abstimmung in eine andere Richtung. Der zweite Renault landete gerade so in den Top Ten. "Ich werde jetzt die Daten vergleichen und schaue, was ich übernehmen kann."
5) Hat Hülkenberg den Racing Point im Griff?
Nico Hülkenberg freundet sich mit jeder Runde mehr mit seinem Racing Point an. In den beiden Freitagssitzungen kamen 51 Runden dazu. Der Perez-Ersatz gab sich entspannt. "Das Umfeld ist schon gewohnter. Ich wusste, was mich erwartet. Auch der Nacken ist deutlich stabiler. Das gab mir ein besseres Gefühl für das Auto." Der Sitz, der sich im Verlauf des Trainings von der Cockpitrückwand löste, war laut Hülkenberg nur ein Bagatellschaden, der schnell repariert werden konnte. Auf den Soft-Reifen hatte der Rheinländer im Vergleich zu Stroll knapp die Nase vorn. Auf den Medium-Sohlen setzte sich der Kanadier mit 0,245 Sekunden Vorsprung durch. "Ich hatte keine saubere Runde", entschuldigte sich Hülkenberg.
So eindeutig das Ergebnis an der Spitze wieder einmal ist, so eng geht es im Verfolgerfeld zu. Den Dritten Daniel Ricciardo trennten nur 0,899 Sekunden von George Russell im Williams auf Platz 16. Die Racing Point machten eine gute Figur. Nur Red Bull scheint außer Reichweite, wenn man den Longrun von Verstappen als Maßstab nimmt. Dafür war Hülkenberg in der Rennsimulation schneller als beide Ferrari und der zweite Red Bull von Alexander Albon.
6) Halten die Prelli-Reifen?
Die Longruns waren im Vergleich zur Vorwoche eine Spur schneller, obwohl Pirelli die Reifendrücke aus Sicherheitsgründen um zwei PSI erhöht hat. Die weiche Mischung taugt bestenfalls als Qualifikationsreifen. Und noch nicht einmal das ist sicher. Hamilton fuhr die schnellste Runde des Tages auf den Medium-Gummis. Die Soft-Reifen brachen oft schon vor Ende der schnellen Runde ein.
Max Verstappen glaubt, dass sie höchstens ein Zehntel schneller sind als die Medium-Sohlen. Wer sich im Q2 auf den Soft-Reifen für das Top Ten-Finale qualifiziert, hat am Sonntag ein echtes Problem. Er muss auf ein ganz frühes Safety Car hoffen, damit er seine Startreifen ohne Schaden wieder los wird. Lando Norris berichtete: "Nach fünf Runden waren die Hinterreifen platt." Vermutlich werden wir den Soft-Reifen nach dem dritten Training am Samstag kaum noch sehen.
Da der Unterschied in der Rundenzeit nur marginal ist, werden zunächst alle versuchen, mit den Medium-Sohlen durch das Q2 zu kommen. Der harte Reifen ist für den Start eigentlich keine Option. Laut Hülkenberg kostet er schon beim Losfahren fünf bis sechs Meter. Und man büßt auch im Rest der Runde. "Im Verkehr hast du nicht den vollen Anpressdruck. Dadurch dauert es länger als sonst, dass sich die harte Mischung aufheizt. Da kannst du locker noch einmal ein paar Plätze verlieren."
Für Pirelli-Sportchef Mario Isola steht nach dem ersten Trainingstag jedenfalls fest: "Nach heutigem Stand kommt am Sonntag keiner mit einem Stopp über die Distanz." Für manchen Fahrer könnte es sogar ein Dreistopp-Rennen werden, je nachdem, wie groß sein Bestand an den härteren Reifenmischung für das Rennen noch ist. Und genau da liegt das Problem: Pirelli stellt allen Teams nur je zwei Garnituren hart und drei Medium für das Wochenende zur Verfügung. Von dem Reifen, den keiner fahren will, gibt es acht Sätze. König ist, wer sich die meisten härteren Mischungen aufhebt. McLaren verfeuerte aus diesem Grund am Freitag bereits jeweils vier Soft-Sätze pro Fahrer. Die anderen Reifentypen rührte McLaren gar nicht an, um am Samstag noch das volle Kontingent zur Verfügung zu haben.