Trainingsanalyse GP Belgien 2019
Ferrari ist eine Macht in Spa. Die roten Autos fahren alle anderen davon. Aber nur auf eine Runde. In den Longruns teilen sich Mercedes und Red Bull die Spitze. Max Verstappen ist auf dem Medium-Reifen der König, Valtteri Bottas auf den Soft-Gummis.
Ferrari feierte am ersten Trainingstag für den GP Belgien zwei Doppelsiege. Am Vormittag lag Sebastian Vettel vor Charles Leclerc. Am Nachmittag war es umgekehrt. Allerdings mit einem beachtlichen Zeitunterschied. Vettel fehlten 0,630 Sekunden auf Leclercs Tagesbestzeit, die mit 1.44,123 Minuten noch ziemlich langsam ausfällt. Im letzten Jahr fuhr Vettel im Q2 mit 1.41,501 Minuten die schnellste Runde des Wochenendes. Der große Unterschied zwischen den Ferrari.Piloten sucht noch nach einer Erklärung. Vettel verliert seine Zeit in den Sektoren 1 und 3, wo es hauptsächlich auf Topspeed ankommt. Bei den Longruns ist es mit der Ferrari.Herrlichkeit vorbei. Beide Fahrer klagten über starke Reifenabnutzung. Die Ferrari rutschen noch zu viel in Sektor 2.
Bei den Dauerläufen hatten Mercedes und Red Bull die Nase vorne. Die Silberpfeile waren auf den Soft-Reifen schneller, Max Verstappen auf der härteren Mischung. Als große Überraschung profilierten sich die beiden Racing Point. Das Aero-Upgrade zeigte Wirkung. Sergio Perez fuhr nicht nur die fünftschnellste Zeit des Tages, er legte auch den schnellsten Longrun auf den Medium-Reifen auf die Bahn. Nach vier Runden war Schluss. Weil der Öldruck zusammenbrach, schaltete sich der Motor automatisch ab. Die rote Flagge stoppte alle anderen Fahrer, die gerade auf ihren Medium-Dauerläufen unterwegs waren. Die Durchschnittszeiten auf Pirellis mittlerer Mischung sind deshalb nur bedingt repräsentativ. Der harte Reifen kam überhaupt nicht zum Einsatz. Ein klares Zeichen dafür, dass Pirelli zu harte Reifen mit nach Spa gebracht hat.
Den Teams steht viel Rechenarbeit bevor. Das Wetter soll sich im Verlauf des Wochenendes jeden Tag ändern. Im zweiten Training wurden 24 Grad Lufttemperatur und 40 Grad auf dem Asphalt gemessen. Am Samstag soll das Wetter noch wärmer werden, während für den Renntag ein Temperatursturz von 10 Grad vorhergesagt ist. „Da stellt sich die Frage, was die Longrun-Zeiten von heute wert sind“, zweifelte Sauber-Teammanager Beat Zehnder. Helmut Marko von Red Bull ärgerte sich: „Uns wäre wärmeres Wetter lieber. Dann könnten wir unsere Stärken besser ausspielen.“
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen
1) Wo verliert Vettel Zeit auf Leclerc?
Im Kampf um die besten Startplätze wird Ferrari konkurrenzlos sein. Wie erwartet fahren die Ferrari auf den Geraden allen auf und davon. Charles Leclerc gewinnt auf die Mercedes allein im ersten Sektor acht Zehntel. Im letzten Streckenteil sind es noch einmal 0,2 Sekunden. Dafür verlieren die Ferrari im Mittelsektor vier Zehntel auf die Mercedes und zweieinhalb Zehntel auf Red Bull. Auf den Longruns sieht es weniger rosig für die Freitags-Könige aus. Da kann der Zeitgewinn in den Vollgaspassagen die Schwäche in den Kurven nicht mehr kompensieren.
Am Ferrari bauen die Reifen stärker ab als bei Mercedes und Red Bull. Leclerc verliert auf den Soft-Reifen zwei Zehntel auf Valtteri Bottas, fährt aber nur halb so viel Runden. Sebastian Vettel ist bei einer Runde mehr als neun Zehntel langsamer als Bottas. Auf den Medium-Reifen sieht es im Dauerlauf nicht besser aus für Ferrari. Da büßen Leclerc und Vettel sieben, respektive neun Zehntel auf die Konkurrenz ein. Auch das Delta zwischen den Ferrari.Piloten ist ungewöhnlich groß. Leclerc nimmt Vettel 0,630 Sekunden ab. Davon entfallen vier Zehntel auf den ersten Sektor und zwei auf den dritten. Also die Vollgas-Abschnitte. Im kurvenreichen Sektor 2 ist Vettel gleich schnell.
Vettel wusste zunächst selbst keine Antwort: „Das müssen wir noch untersuchen“, erklärte er den TV-Stationen. Nach der Datenanalyse war klar. Die vier Zehntel auf dem Abschnitt von La Source bis Les Combes sind mit einem großen Topspeeed-Unterschied erklärt. Leclerc profitierte auf der ganzen Strecke von einem guten Windschatten, Vettel fuhr alleine. „Die zwei Zehntel zum Schluss der Runde gehen auf mich. Ich habe mich vor der Schikane verbremst“ , gab Vettel zu.
2) Wer fährt die schnellsten Longruns?
Max Verstappen legte den schnellsten Medium-Longrun auf die Bahn. Valtteri Bottas war der Spitzenreiter der Dauerläufe auf den Soft-Gummis. Da Lewis Hamilton mit den weichen Reifen zwei Runden länger unterwegs war, seine Durchschnittszeit aber nur um 48 Tausendstel über der von Bottas lag, ist sein Longrun stärker einzuschätzen. Bei Mercedes hofft man, dass Hamilton und Bottas die Reihenfolge am Sonntag umdrehen können. Auch im Lager der Titelverteidiger geht man von einer ersten Startreihe in Rot aus. Red Bull sieht es ähnlich. „Die Pole Position ist unmöglich, aber im Rennen sind wir mit Max bei der Musik“, kündigt Teamchef Christian Horner an.
Sportdirektor Helmut Marko meinte zufrieden: „Wir sind jetzt auf jeder Strecke mit dabei. Auf eine Runde kann Ferrari keiner schlagen. Aber im Longrun sieht es gut bei uns aus. Ob wir gewinnen können, hängt davon ab, ob wir das Setup noch ein bisschen verfeinern können und ob der Motor morgen runder läuft.“ Verstappen hatte sich mehrmals über Leistungseinbußen beklagt. Honda verordnete wegen Problemen mit der Antriebseinheit einen moderaten Power-Modus. „Das kann auf so einer langen Wunde wie Spa viel Zeit ausmachen“, meinte Verstappen. Mercedes wird für Red Bull im Renntrim eine harte Nuss. Die Silberpfeile dominieren den Mittelsektor. Hamilton gewinnt dort zwei Zehntel auf Verstappen, Bottas ein Zehntel. Im Topspeed fährt Bottas dem Red Bull um 11 km/h davon.
3) Was ist das Geheimnis von Racing Point?
Sergio Perez fuhr sich mit der fünftschnellsten Zeit mitten unter die Topteams. Mit 1.45,117 Minuten war er sogar zwei Zehntel schneller als Max Verstappen. Im Soft-Longrun war der Mexikaner nur drei Zehntel langsamer als Leclerc. Den Medium-Dauerlauf führte er bis zu seinem Motorkollaps an. Das war die bittere Pille, die Racing Point schlucken musste. Der neue Mercedes-Motor muss raus. Kurz bevor die Elektronik den Motor abschalten konnte, war der Öldruck rapide gesunken. Um sich eine Strafe zu ersparen, muss Perez einen alten Motor aus seinem Pool nehmen. Das kostet ein halbes Zehntel.
Die starke Vorstellung der Racing Point hat zwei Gründe. „Zum einen das neue Aero-Paket, zum anderen das Streckenlayout. Das hat schon immer für unsere Autos gepasst.“ Renault-Teamchef Cyril Abiteboul will sich im Kampf um Platz 4 noch nicht geschlagen geben. Daniel Ricciardo verlor in seiner schnellsten Runde zu viel Zeit in Kurve 5. Bei Nico Hülkenberg passte das Setup nicht. Grund für Abitebouls Optimismus war der starke Soft-Longrun von Ricciardo. Der Australier war praktisch zeitgleich mit Perez und drehte auch genauso viele Runden wie der Mexikaner. Bei McLaren lief es noch nicht rund. „Wir haben viele neue Sachen probiert, am Frontflügel, am Unterboden und der Kinematik der Vorderachse. Jetzt müssen wir erst einmal alle Ergebnisse zusammenwerfen und schauen, was wir übernehmen. Eigentlich sollten wir in Spa stark sein. Baku hat gezeigt, dass wir für schnelle Strecke ein effizientes Auto haben“, erklärte Teamchef Andreas Seidl.
4) Wer fährt neue Motoren?
Sicher ist nur: Mindestens sechs Fahrer bekommen eine Strafe. Lance Stroll, Alexander Albon und Daniil Kvyat werden an das Ende der Startaufstellung versetzt. Daniel Ricciardo, Nico Hülkenberg und Carlos Sainz verlieren jeweils fünf Plätze. Es könnte noch ein siebter Fahrer dazukommen. Bei Lando Norris wurde noch nicht entschieden, ob ab Samstag der neue Renault-Motor im McLaren seinen Dienst tut. Die Tendenz geht eher Richtung alter Motor. So könnte McLaren die Strafen splitten. Sainz muss auf jeden Fall zurück. Norris würde es dann in Monza treffen. Die Entscheidung, ob Sainz, Ricciardo und Hülkenberg ihre neuen Motoren auch im Rennen fahren, fällt nach dem letzten Technik-Briefing am Freitagabend. „Viel hängt davon ab, welche Position wir uns in der Qualifikation zutrauen“, verriet Renault-Sportchef Cyril Abiteboul.
5) Wie schlagen sich Albon und Gasly?
Bei Alexander Albon lag der Plan für den Freitag auf der Hand. Der neue Red Bull.Pilot bereitete sich ausschließlich auf das Rennen vor. Als einziger begann er seine Longruns auf Medium-Reifen und wechselte erst am Ende auf die weichen Sohlen. Wegen des hohen Spritgewichts am Anfang des Training landete er bei den Medium-Longruns nur an 8. Stelle. Der Motorwechsel verbannt Albon in eine der letzten Startreihen. Da muss man nicht für die Qualifikation üben. Nur in der ersten Trainingssitzung durfte er mal kurz Dampf machen. Die viertschnellste Zeit, nur 77 Tausendstel hinter Verstappen, war für den Anfang beachtlich.
Pierre Gasly tat sich bei seiner Rücckehr zu Toro Rosso schwerer. Der Franzose landete auf Platz 17, verlor aber nur 0,160 Sekunden auf Daniil Kvyat. Auch im Soft-Longrun fehlte ihm ein Zehntel auf den neuen Teamkollegen. „Ich habe den ersten Tag damit verbracht, mein neues Auto und meine Ingenieure kennenzulernen. Die Rundenzeiten sind noch ziemlich enttäuschend. Aber in der Startaufstellung werden wegen der vielen Strafen viele Leute hinter uns stehen.“
6) Ist Kimi Räikkönen fit?
Kimi Räikkönen drehte in den beiden Trainingssitzungen 45 Runden. Nur eine Runde weniger als sein Teamkollege Antonio Giovinazzi. Der finnische Veteran fuhr die siebtschnellste Runde und beklagte sich kein einziges Mal am Funk. Das beantwortet schon die Frage. Kimi Räikkönen wird in Spa am Start stehen. Die lädierte Wade hält. Ersatzmann Marcus Ericsson ist umsonst angereist. Im Longrun muss Alfa Romeo noch zulegen. Der vierfache Spa-Sieger Räikkönen rangierte nur auf Platz 15. Noch schlechter war Antonio Giovinazzi unterwegs. Der Italiener hatte etwas weniger Abtrieb gewählt wie sein Teamkollege.