Trainingsanalyse GP Singapur 2016
Der GP Singapur könnte ein spannendes Rennen werden. Auf den Ultrasoft-Reifen liegen Mercedes, Red Bull und Ferrari eng zusammen – sowohl auf einer schnellen Runde als auch im Longrun. Eine wichtige Rolle könnte der Soft-Reifen spielen, den sich Red Bull aufsparte und von dem Ferrari zu wenig hat.
Vor dem zweiten Training hatte Mercedes am meisten Angst. Da begann im letzten Jahr der Abstieg in ein Nirwana, aus dem man nicht mehr herausfand. „Je mehr Gummi auf die Strecke kam, umso mehr sind wir abgerutscht“, verrät ein Ingenieur. Das wird in diesem Jahr nicht passieren. Nico Rosberg fuhr in der Nachtsitzung mit 1.44.152 Minuten die schnellste Zeit. Ferrari lag 0,275 Sekunden zurück, Red Bull 0,380 Sekunden. Teamchef Toto Wolff atmete auf: „Ich glaube, wir sehen diesmal ordentlich aus.“
Trotzdem droht der GP Singapur eine enge Kiste zu werden. Auch in den Longruns lagen die Rundenzeiten eng zusammen. Zumindest auf dem Ultrasoft-Reifen. „Nach unserer Kalkulation war Red Bull 3 Zehntel schneller als wir, Ferrari ein Zehntel“, rechnete Niki Lauda seinem Landsmann Helmut Marko von Red Bull vor. „Ja, aber wie kommen wir an den Mercedes vorbei, wenn Ihr beim Start vor uns steht?“, fragte Marko zurück. „Das ist dein Problem“, grinste Lauda.
Wir haben nachgerechnet. Nach Aussage der Mercedes-Strategen waren die Rennsimulationen von Nico Rosberg, Max Verstappen und Kimi Räikkönen auf dem Supersoft-Reifen gut vergleichbar. Und die haben andere Ergebnisse ergeben, als Lauda berichtete. Vermutlich war sein Rapport von den Ingenieuren um die Runden mit DRS und Verkehr und den Tankinhalt bereinigt.
Red Bull-Piloten mit den besten Longruns
In unserer Tabelle liegt Kimi Räikkönen mit seinem Ultrasoft-Longrun über 10 Runden mit 1.49,898 Minuten in Führung. Knapp vor Daniel Ricciardo, der es auf 1.49,920 Minuten brachte. Max Verstappen legte bei seinem Dauerlauf zu wild los und bezahlte am Ende mit starkem Reifenabbuau. Er kam auf 1.50,167 Minuten.
„Ricciardo ist da ein bisschen gleichmäßiger gefahren“, urteilte Marko. Dafür führte der Holländer die Supersoft-Liste mit einer durchschnittlichen Zeit von 1.49,834 Minuten deutlich an.
Nico Rosberg schaffte mit den Ultrasoft-Sohlen mit 1.50,723 Minuten nur scheinbar einen langsamen Wert. Die Mercedes-Ingenieure beteuerten, dass die Abstände spritbereinigt deutlich enger sind. Auf den Soft-Reifen führte Rosberg die Longrun-Tabelle mit 1.51,012 Sekunden klar vor Felipe Massa an.
Mercerdes nur mit halber Kraft
Mercedes fuhr nur mit halber Kraft. Nico Rosberg spulte 2 Longruns ab, einen mit Ultrasoft-Reifen, den anderen mit den Soft-Sohlen. Ergebnisse auf dem Supersoft-Gummi fehlen. Das wäre die Aufgabe von Lewis Hamilton gewesen, doch der Engländer stand wegen eines Hydrauliklecks für Longruns nicht zur Verfügung. Der Champion spulte in der zweiten Trainingssitzung gerade mal 10 Runden ab und konnte 17 Minuten vor Schluss endgültig duschen gehen.
Andererseits hat Red Bull keine Erkenntnisse über den Soft-Reifen gewonnen. Red Bull fasste die härteste Mischung nicht einmal an. Wenn man die Verteilung der Reifen sieht, wird klar warum. Mercedes hat für seine Fahrer 3, respektive 4 Garnituren Soft geordert. Red Bull nur jeweils 2.
Der Soft-Reifen könnte im Rennen eine strategisch wichtige Option werden, wenn man mit 2 Boxenstopps über die Distanz kommen will. Red Bull hat offenbar auf die Mercedes-Taktik reagiert. Wenn der direkte Gegner der härtesten Mischung so viel Bedeutung beimisst, hält man sich diese Variante besser auch offen.
Ferrari hat die Chance 2 Mal auf Soft zu setzen, bereits mit seiner Reifenwahl vertan. Für Kimi Räikkönen ist ein Satz Soft gemeldet, für Sebastian Vettel zwei. Einen davon hat Vettel bereits im zweiten Training verheizt. Mit ernüchterndem Ergebnis. Vettel war im Schnitt um eine Sekunde langsamer als Rosberg. Ferrari setzt deshalb voll auf die weicheren Mischungen, die man im Überfluss in der Hinterhand hat.
Nur zwei Unfälle in 180 Minuten Training
Im Mittelfeld machte Force India den stärksten Eindruck. „Das war ein guter Start ins Wochenende“, freute sich Nico Hülkenberg nach der sechstschnellsten Rundenzeit. Williams scheint unter Kontrolle, auf eine Runde mehr als in den Rennsimulationen. Im Longrun bekommen es die Force India dafür mit einem längst vergessenen Gegner zu tun. „Die Toro Rosso sehen stark aus. Die Strecke passt dem Auto, und die Power spielt hier keine große Rolle“ , warnt Hülkenberg.
Kurioserweise erwies sich die goldene Mitte am Freitag als der unbrauchbarste Reifen. Der Supersoft ist in der ersten Runde laut Pirelli um 0,9 Sekunden langsamer als der Ultrasoft-Gummi. „Damit wird das Risiko zu groß, mit dem Supersoft das Q2 zu überstehen“, fürchtet Marko. Die mittlere Reifensorte hält auch nicht bedeutend länger als der Ultrasoft-Reifen. Mercedes traut den Ultrasoft-Sohlen 14 Runden zu. Somit könnte die Reifenfolge Ultrasoft-soft-soft am Sonntag eine erfolgreiche Strategie werden.
Die Longruns haben bereits angedeutet, dass das Reifenmanagement im Rennen über Sieg und Niederlage entscheiden können. Der Marina Bay Circuit nimmt die Gummiwalzen bedeutend härter ran als zum Beispiel Monte Carlo. „Wir haben 23 Kurven, einen raueren Asphalt, höhere Temperaturen und viele Passagen, in denen die Traktion zählt. Da kann der Hinterreifen leicht überhitzen“, erklärt Pirelli-Technikchef Mario Isola.
Die so gefürchtete Strecke von Singapur war am ersten Trainingstag ein zahnloser Tiger. Nur zwei Fahrer touchierten nachhaltig die Mauer. Nico Rosberg rutschte in der ersten Sitzung in Kurve 18 frontal in die Bande. Romain Grosjean drehte sich in der Zielkurve. Der Heckflügel des HaasF1 blieb in der Tecpro-Barriere stecken. Beide Unfallpiloten schafften es aus eigener Kraft zurück in die Boxen.