Die besten Zweikämpfe aller Zeiten
Es gibt sie immer weniger. Überholmanöver auf der Rennstrecke. Die extreme Aerodynamik der Autos verschärft das Hinterherfahren. Wir erinnern an die großen Überholmanöver der GP-Geschichte.
Heute werden Überholmanöver gezählt. 2016 waren es 998 in 21 Rennen. 2017 kamen die breiten Autos. Die Zahl der Überholmanöver ging auf 516 bei 20 Grand Prix zurück. In der abgelaufenen Saison wurde 686 Mal überholt.
Die Verantwortlichen haben verstanden. Aber haben sie auch das richtige Rezept? Der Frontflügel ist 2019 weniger zerklüftet und breiter. Die vorderen Bremsbelüftungen dürfen nicht mehr als Aerodynamikhilfen missbraucht werden. Luftdurchleitung durch die Vorderachse ist verboten. Die Möglichkeiten, mit Leitblechen die Strömung zu steuern, wurden reduziert.
Die Luft soll nun innerhalb der Vorderräder vorbeigeleitet werden und nicht außen, weil sie dann nämlich in Höhe des Frontflügels auf das hinterherfahrende Auto trifft. Die Ingenieure zweifeln, dass die FIA mit ihrem Maßnahmenpaket den erwünschten Erfolg haben wird. „Wir werden alles versuchen, die schlechte Luft außen am Auto vorbeizuschicken“, bestätigt Racing Point-Technikchef Andy Green.
2009 ist schon einmal ein Versuch fehlgeschlagen, das Überholen zu erleichtern. Eine Expertenkommission bestehend aus Paddy Lowe, Rory Byrne und Pat Symonds glaubte, die Lösung in breiteren Frontflügeln und höheren Heckflügel gefunden zu haben. Tatsächlich wurde das Problem nur verschärft. Die breiten Frontflügel animierten die Aerodynamiker erst dazu, die Luft nach außen zu lenken.
Macht des Windschattens
Wer heute überholen will, braucht je nach Strecke ein Delta von 0,5 bis 1,5 Sekunden zum Vordermann. Oder er muss gleich seine Chance suchen. Je länger man hinter einem Auto herfährt, umso mehr lassen die Reifen nach. Dann ist der Angreifer doppelt gestraft. Er hat weniger Abtrieb und weniger Grip vom Reifen.
Früher hatten die Fahrer bessere Chancen. Da war die Macht des Windschattens noch größer als die des verlorenen Abtriebs. Die meisten Überholmanöver gab es traditionell in Monza, als das Autodrom noch nicht mit Schikanen zugepflastert war. Da wechselte die Führung oft mehrmals pro Runde. In den letzten Jahren vor dem Einbau der Schikanen montierten die Teams den Autos die Flügel ab. Sie waren quasi wie Go-Karts unterwegs. Und damit auch nicht mehr so anfällig gegen Turbulenzen.
Im Gegenteil. In Monza galt damals die Regel: Wer führt, verliert. Weil der Windschatten so mächtig war wie heute DRS. 1969 und 1971 wurde die Binsenweisheit allerdings unterbrochen. Jackie Stewart ging 1969 als Führender ein letztes Mal in die Parabolica und gewann trotzdem: „Weil wir den vierten Gang so ausgelegt hatten, dass ich gerade so über die Ziellinie kam. Mein Gegner Jochen Rindt musste auf dem Weg dorthin noch einmal hochschalten.“ Peter Gethin drängelte sich 1971 beim Anbremsen der Parabolica vor Ronnie Peterson. Er blieb in Führung, weil er seinen B.R.M. Zwölfzylinder über die Schmerzgrenze hinaus drehte und so mit weniger als einem Meter vor dem March-Cosworth über die Ziellinie flog.
Zonta, Häkkinen und Schumacher
Doch reden wir von Überholmanövern, die gelungen sind. Es gibt so viele denkwürdige Zweikämpfe auf der Rennstrecke, dass wir hier gar nicht alle aufzählen können. Und bestimmt viele vergessen haben. Die 50er und 60er Jahre fallen hinten runter, weil es damals noch keine Live-Übertragungen am Fernseher gab. Wer ein Überholmanöver sehen wollte, musste vor Ort sein. Und dann auch noch an der richtigen Stelle.
Das berühmteste Überholmanöver ist wohl das, als Mika Häkkinen und Michael Schumacher in Spa 2000 den BAR von Ricardo Zonta in die Zange nahmen. Häkkinen flog rechts knapp an der Grünfläche vorbei, Schumacher links. Am Ende hatte Häkkinen die Nase vorn. Zonta blieb zum Glück für beide auf seiner Spur. Mindestens genauso spektakulär war Nigel Mansells Angriff auf Gerhard Berger 1990 in der Peraltada-Kurve der Strecke von Mexiko-City. Mansell zackte auf der Gerade davor aufgeregt hinter Bergers McLaren hin und her und entschied sich dann für die Außenbahn. Absolut atemberaubend, wie der Engländer dann seinen Ferrari mit 250 km/h in die leicht überhöhte Zielkurve warf.
A propos Außenbahn. Jacques Villeneuve überraschte 1996 Michael Schumacher in der letzten Kurve von Estoril. Ein Jahr später überrumpelte er seinen WM-Gegner in Jerez mit Feindkontakt. „Ich habe zwei Meter später gebremst als sonst. Michael hat damit nicht gerechnet“, erinnert sich Villeneuve. Das Manöver machte ihn zum Weltmeister. Unvergessen auch die Rallye-Einlage von Nelson Piquet bei der GP-Premiere der Formel 1 in Budapest. Der erste Versuch, Ayrton Senna in der ersten Kurve außen zu überholen, ging noch schief. Senna wischte am Kurvenausgang wieder innen durch. Im zweiten Anlauf stand Piquets Williams so quer, dass Senna gar nicht mehr kontern konnte.
Villeneuve gegen Arnoux
Beim GP England 1987 kam es im Finale zwischen den Williams-Piloten Piquet und Mansell zum Zweikampf. Mansell überraschte den Brasilianer in Stowe Corner. Silverstone stand Kopf. Stefan Bellof quetschte sich beim Regen-Grand Prix 1984 in Monte Carlo in der Mirabeau-Kurve innen an René Arnoux vorbei. Zwischen den Ferrari und die Mauer passte exakt ein Tyrrell. Und sonst nichts. Clay Regazzoni ließ 1975 in Silverstone Carlos Pace in der Woodcote-Schikane aussteigen. Ein Wunder, dass sich der Ferrari und der Brabham nicht berührten.
Die Mutter aller Duelle war natürlich die Schlacht zwischen Gilles Villeneuve und Renault Arnoux in den letzten drei Runden des GP Frankreich 1979. Jedes der gefühlt zehn Überholmanöver hätte es in die Hall of fame verdient. So wie der Zweikampf zwischen Juan Pablo Montoya und Kimi Räikkönen 2002 in Hockenheim. Montoya startete in der Haarnadel einen ersten Angriff auf Räikkönen. BMW erlaubte dem Kolumbianer maximale Drehzahl. Seite an Seite fuhren die beiden einen guten Kilometer bis zur Sachskurve. Dort bremste sich Montoya endgültig vorbei. Ähnlich lange dauerte das Überholmanöver von Lewis Hamilton gegen Fernando Alonso beim GP Mexiko 2017. Ein Duell zweier Ausnahmekönner, wenn auch mit ungleichen Waffen. Hamilton saß in einem Mercedes, Alonso in einem McLaren.
Die berühmte erste Runde von Donington
Überholen auf der Außenbahn war die Spezialität von Juan Pablo Montoya. Damit brachte er Michael Schumacher zur Weißglut. Am Nürburgring 2003 in der Dunlop-Kehre, in Spa 2004 in der neuen Busstop-Schikane. Der Versuch 2004 in Imola ging schief. Schumacher verteidigte sich nach allen Regeln der Kunst.
Der GP Japan 2005 war reich an spektakulären Positionswechseln. Weil Kimi Räikkönen, Fernando Alonso und Michael Schumacher weit hinten in der Startaufstellung standen. Alonso überholte Schumacher in der 130R-Kurve außen. Räikkönen ging an Giancarlo Fisichella auf minimalem Platz am Ende der Zielgerade vorbei. Mark Webber drängte Alonso sogar auf das Gras ab. Alonso blieb unbeirrt auf dem Gas.
Max Verstappen erfand 2016 in Interlagos ganz neue Linien. Er überholte innen, außen, links, rechts. Es war ein Lehrstück für seine älteren Kollegen. Regenrennen haben ihren eigenen Reiz. Weil es plötzlich mehr als nur eine Ideallinie gibt. 1993 fuhr Ayrton Senna in der ersten Runde des GP Europa Slalom durch seine Kollegen. Der Brasilianer überholte innerhalb von vier Kilometern Michael Andretti, Michael Schumacher, Damon Hill und Alain Prost. Es war die berühmteste erste Runde eines Rennfahrers der GP-Geschichte.
Der angeblich so berechnend fahrende Alain Prost hat ebenfalls zwei unvergessene Überholmanöver in seinem Portfolio. Beide in Paul Ricard. 1988 ging er an Teamkollege Senna vorbei. Senna musste sich vor der Signes-Kurve hinter einem Minardi anstellen. Im Windschatten verlor der McLaren Abtrieb. Senna stellte sich quer, konnte aber nicht nach rechts ausscheren, weil Prost mit Überschuss anflog. Klassisch ausgetrickst. 1990 schlich sich Prost ausgangs der 280 km/h schnellen Signes-Kurve an den March von Ivan Capelli an und mogelte sich in der folgenden Le Beuasset-Rechtskurve auf der Innenspur an dem March vorbei zum Sieg.
Nervenkitzel in Eau Rouge und Blanchimont
Michael Schumachers rennentscheidender Angriff auf Jean Alesi beim GP Europa 1995 am Nürburgring war auch eine Last Minute-Aktion. Alesi wehrte sich mit Händen und Füßen, musste sich dann aber in der Veedol-Schikane dem Benetton-Piloten geschlagen geben. Bei seinem ersten Ferrari-Sieg 1996 in Barcelona fuhr Schumacher bei sintflutartigem Regen Kreise um die Konkurrenz. Gerhard Berger, Jean Alesi, Jacques Villeneuve, alle drei in nur sieben Runden.
Eau Rouge ist eine Stelle, bei der man schon in Alleinfahrt alle Hände voll zu tun hat. 2011 ging Mark Webber mit Tempo 300 an Fernando Alonso vorbei. Der Australier erinnert sich: „Das war wirklich sehr eng. Wir sind beide mit aktiviertem KERS auf Eau Rouge zugeflogen. Ich habe versucht, die innere Linie zu bekommen. Fernando und ich sind sehr erfahrene Fahrer und geben beide nicht so leicht nach. Bei so einem Manöver muss man einfach Vertrauen haben, dass der Gegner nichts Dummes macht.“ Im gleichen Rennen flog Sebastian Vettel in der Blanchimont-Kurve außen am Mercedes von Nico Rosberg vorbei. Auch ein Nervenkitzel bei 300 km/h.
Nicht alle Überholmanöver gehen ohne Strafen ab. Max Verstappen überholte 2017 den Ferrari von Räikkönen in Austin auf der Innenbahn einer 250 km/h schnellen Rechtskurve. Die Sportkommissare beanstandeten, dass der Red Bull-Pilot dabei ein Mal komplett die Strecke verlassen hatte. Verstappen kassierte eine Zeitstrafe und flog vom Podium. Sebastian Vettel rempelte sich in der abgelaufenen Saison in Kurve 3 des Hungarorings an Valtteri Bottas vorbei. Es blieb zum Glück bei Diskussionen. Das sind die Überholmanöver, die die Fans sehen wollen.
Ein Überholmanöver bekam sogar einen Namen. „The move“ fand allerdings nicht in der Formel 1 statt. Alessandro Zanardi machte sich 1996 beim IndyCar-Rennen in Laguna Seca unsterblich, als er im Korkenzieher Bryan Herta überholte. Es müssen aber nicht immer erfolgreiche Ausbremsmanöver sein, die im Gedächtnis haften bleiben. Zwei der besten Rennen überhaupt waren die Grand Prix von San Marino 2005 und 2006. Einmal trotzte Fernando Alonso allen Angriffen von Michael Schumacher, im Jahr darauf war es umgekehrt. Das war Verteidigung auf höchstem Niveau, so wie 1981 in Jarama, als Gilles Villeneuve das halbe Rennen lang alle Attacken von Jacques Laffite, John Watson, Carlos Reutemann und Elio de Angelis abschmetterte. Auch so werden Legenden geboren.
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