Die 4+1-Option von Red Bull
Wir haben Helmut Marko gefragt, wie es nach dem Honda-Ausstieg bei Red Bull weitergeht. Der Grazer erklärt, wie die möglichen Motor-Alternativen aussehen und bis wann eine Entscheidung getroffen werden muss.
Red Bull erholt sich langsam von der schlechten Nachricht der Vorwoche. Motorenpartner Honda steigt Ende 2021 aus. Damit ist der österreichische Rennstall wieder einmal gezwungen, sich einen neuen Motorlieferanten zu suchen. In seiner 15-jährigen Formel 1-Geschichte brachte es Red Bull mit Cosworth, Ferrari, Renault und Honda immerhin schon auf vier unterschiedliche Antriebspartner.
Die Entscheidung von Honda, sich aus der Formel 1 zu verabschieden, kam für das Hauptquartier in Salzburg nicht aus heiterem Himmel. Honda kann die hohen Kosten intern nicht mehr rechtfertigen. Die Japaner geben mehr Geld als alle anderen Hersteller aus, weil die Produktion in Fernost deutlich teurer ist als in Europa.
"Außerdem brauchen sie ihr Technologiezentrum in Sakura für ihre neuen Projekte in der Serienentwicklung", erklärt Red Bull-Sportdirektor Helmut Marko. Das schlechte wirtschaftliche Ergebnis als Folge der Corona-Krise war der letzte Puzzlestein für den Vorstand in Tokio. Red Bulls Lobbyarbeit bei der FIA zur Kostensenkung für Motorenhersteller kam zu spät. "Wir hätten schon vorher die Kosten runterschrauben müssen", bedauert Marko.
Auch der Umstieg auf CO2-neutrale Kraftstoffe ab 2023 lief bei Honda trotz der neu propagierten umweltfreundlichen Ausrichtung ins Leere. "Das sind ja wieder Kosten", klagt Marko. "Ab 2022 brauchst du einen neuen Zylinderkopf, um den Motor für 20 Prozent Biosprit fitzumachen. Und dann für 2023 mit 100 Prozent E-Fuels noch mal einen neuen Motor. Man müsste mal zusammenzählen, was dieses Motorkonzept an Kosten verursacht hat. Und in der Öffentlichkeit hat es nichts bewirkt."
Für 2021 noch einmal ein neuer Motor
Honda wäre vermutlich auch dann ausgestiegen, wenn Red Bull in diesem Jahr um den WM-Titel mitgefahren wäre. Für die Japaner kamen die Kostensenkungsmaßnahmen um zwei Jahre zu spät. Sie wollen die Formel 1 aber trotzdem mit dem bestmöglichen Resultat verlassen.
"Honda wird für 2021 noch einmal einen neuen Motor bauen", verrät Marko. "Der sollte einige Mankos gegenüber Mercedes wettmachen, nicht nur in Bezug auf die Motorleistung, sondern auch in anderen Bereichen."
Red Bull geht von einem Defizit von 10 bis 15 PS zum Marktführer Mercedes aus, Hondas Entwicklungshelfer Ilmor eher von 25 bis 30. Marko sieht noch einen Nachholbedarf: "Das Clipping setzt bei uns früher ein. So haben wir nicht die volle Power über die ganze Gerade. Je länger die Geraden, desto größer der Nachteil." Zur Erklärung: Der Honda-V6-Turbo geht auf den Geraden zu früh in den Ladebetrieb. Dann fehlen am Ende die 163 PS aus dem Elektromotor.
Das ist der Status Quo. Vier Tage nach der Bekanntgabe von Hondas Plänen trafen sich Firmenchef Dietrich Mateschitz, Helmut Marko und Teamchef Christian Horner zu einer Lagebesprechung. Kernfrage: Was kommt nach Honda?
Prinzipiell müsste sich Red Bull keine Sorgen machen. Das Reglement garantiert dem früheren Weltmeisterteam und seinem Schwester-Rennstall Alpha Tauri einen Motor zu einem festgeschriebenen Preis. Normalerweise trifft es den Hersteller, der die wenigsten Kunden hat. Marko aber warnt: "Es stimmt, dass wir irgendeinen Motor auf jeden Fall bekommen würden. Aber wir nehmen nicht jeden."
Der Kunde muss nehmen, was er bekommt
Auf dem Papier gibt es für Red Bull vier Varianten. Renault, Ferrari, Mercedes und eine Eigenkonstruktion auf Basis des Honda-Motors. Doch alle haben ihre Tücken. Mercedes hat bereits drei Kundenteams und wahrscheinlich auch kein großes Interesse, seinen Hauptkonkurrenten mit seinem Motor auszurüsten.
Ferrari ist im Moment die am wenigsten attraktivste Lösung. Nachdem sämtliche Tricksereien verboten sind, liegt Ferrari in der Power-Rangliste mit weitem Abstand am Ende. Man geht von 50 bis 60 PS weniger als die Konkurrenz aus. Marko kann sich allerdings nicht vorstellen, dass das lange so bleibt: "Die Formel 1 kann es sich gar nicht leisten, dass Ferrari ewig im hinteren Mittelfeld herumfährt."
Renault kennt Red Bull am besten. Die Ehe war vor zwei Jahren nicht gerade im Frieden geschieden worden. Doch das ist laut Red Bull Schnee von gestern. Vor allem, weil der Renault V6-Turbo in der Zwischenzeit deutlich an Leistung zugelegt hat. Experten halten ihn für den zweitbesten Motor im Feld.
Auch Marko räumt ein, dass Renault einen ordentlichen Job gemacht hat, gibt aber zu bedenken: "Wenn du zu Renault gehst, kriegst du einen Motor, den sie nach ihren Bedürfnissen bauen. Der ist für ihr Chassis maßgeschneidert. Das ist für uns dann schon wieder ein Kompromiss." Das gleiche würde ihm allerdings auch bei Mercedes und Ferrari blühen. Der Kunde muss nehmen, was er kriegt.
Maximale Unabhängigkeit hätte Red Bull nur, wenn man von Honda den letzten Stand des Motors als Startbasis für eine Eigenentwicklung bekäme. Theoretisch könnte Red Bull zusammen mit Ilmor den Verbrennungsmotor weiterentwickeln und in Hondas Filiale in Milton Keynes den elektrischen Part betreuen.
Mario Illien hält so ein Modell nur für möglich, wenn er selbst gewaltig aufstockt: "Wir bräuchten allein für den Hybrid-Teil mindestens 50 neue Leute." Das alles ist mit signifikanten Kosten verbunden, die Red Bull entweder selbst bezahlen oder einen Sponsor dafür finden müsste.
Auch Marko weiß, dass Selbermachen Risiken birgt: "Das Problem würde 2022 schon losgehen. Wir müssten den Motor ja sofort auf den Bio-Sprit umrüsten. Und wir wissen, wie komplex diese ganze Technik ist. Das sind die Faktoren, die wir berücksichtigen müssen."
Kein neuer Hersteller in Sicht
Deshalb schließt Marko auch aus, dass plötzlich ein neuer Hersteller wie der VW-Konzern oder Toyota um die Ecke biegt. "Für eine Periode von nur vier Jahren bis zum nächsten Reglement will keiner einen derartigen Aufwand betreiben. Und jeder weiß inzwischen, dass du nicht einfach so einsteigen und auf Anhieb konkurrenzfähig sein kannst. Dazu ist die Hybridtechnologie viel zu kompliziert und zu aufwendig."
Neben den vier genannten Alternativen beim Motor, gibt es noch eine weitere Option. Laut Marko sei auch ein Ausstieg denkbar: "Wenn wir zu keiner wettbewerbsfähigen Lösung kommen, ist das eine Option." Damit wäre auch das Verstappen-Thema erklärt: "Max hat im Vertrag einen konkurrenzfähigen Motor. Das ist aber auch unsere Prämisse. Ohne einen Motor, mit dem wir die WM gewinnen können, ist für uns das Projekt nicht interessant."
Das beste wäre es laut Marko, wenn sich die FIA als Reaktion auf den Honda-Ausstieg doch noch dazu durchringen könnte, das für 2026 vorgesehene neue Motoren-Reglement vorzuziehen. FIA-Präsident Jean Todt bestätigt immerhin, dass man mit Einführung der E-Fuels 2023 von der Motorarchitektur unabhängig wäre.
Ein billigeres Triebwerkskonzept mit oder ohne Standard-Hybrid könnte sofort wieder neue Motorhersteller in die Formel 1 locken. Wenn die FIA bis 2026 damit wartet, haben sich viele Autokonzerne möglicherweise schon längst vom Motorsport verabschiedet, weil sie die Kosten oder neue Umweltgesetze dazu zwingen.
Laut Marko kommt das Thema Motoren-Reglement auf die Agenda der nächsten Strategiesitzung. Doch der Grazer fürchtet, dass die Idee viel Gegenwind bekommt, obwohl viel für sie spräche. "Wenn man ein neues Motoren-Reglement vorziehen würde, wäre das sicher das allerbeste. Aber welches Interesse hätte Mercedes daran, etwas zu ändern? Die haben ein optimales Triebwerk, und sie können mit ihrem Power-Vorteil ganz andere Flügeleinstellungen fahren. Die werden sicher dagegen sein. Der Abiteboul weiß wahrscheinlich nicht, ob er dafür oder dagegen sein soll. Am ehesten wäre Ferrari bereit. Im Zweifelsfall wird da wieder gegen die Vernunft abgestimmt. Und mit dieser idiotischen Einstimmigkeit wird sich da nicht viel bewegen."