Fünfjahresplan zurück an die Spitze
McLaren hat die Wende eingeleitet. Das Team geht von engen Zweikämpfen im Mittelfeld aus und verspricht sich einen Schub durch James Key und Andreas Seidl, die im ersten Saisondrittel zu McLaren stoßen werden.
Es ist das Jahr eins nach Fernando Alonso. Mit zwei neuen Fahrern und einer geänderten Führung. McLaren hat sich neu aufgestellt. Oder wie Boss Zak Brown sagt: „Wir haben die richtigen Leute jetzt auf den richtigen Positionen sitzen. Da können sie sich entfalten, was dem Auto zugutekommt.“
Das große Stühlerücken begann bereits im Vorjahr. Teamchef Éric Boullier, Technikchef Tim Goss und Chefingenieur Matt Morris räumten ihre Posten. Andrea Stella stieg vom Chefrenningenieur zum Performance-Direktor auf. Gil de Ferran wurde als Sportdirektor installiert und Pat Fry zurückgeholt. Noch ist die neue Matrix nicht komplett. James Key beginnt seine Arbeit als neuer Chef des Technikbüros am 25. März – also nach dem Saisonauftakt in Australien. Andreas Seidl stößt am 1. Mai als neuer Teamchef zu McLaren. Dann endet sein Vertrag mit Porsche. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits vier Rennen gefahren.
Besserer Motor-Einbau
Die neue Führungsspitze wird Zeit brauchen, sich einzufinden und einzuspielen. Das wissen sie bei McLaren. Der MCL34 ist kein Auto aus der Feder von James Key. Den orangen Rennwagen haben andere entwickelt, ein Team um Aerodynamikchef Peter Prodromou und Designchef Neil Oatley. Die Handschrift von James Key wird erst das 2020er-Auto tragen. Trotzdem erhofft man sich bei McLaren nicht nur einen mittel- und langfristigen Effekt. Ähnlich wie bei einem Trainerwechsel im Fußball soll durch Key und Seidl frischer Wind durch die Fabrik von Woking wehen – und das 750 Mann große Team mitreißen.
McLaren-Racing-CEO Zak Brown lässt seinem neuen, deutschen Rennleiter, der als Porsche-Teamchef drei Gesamtsiege in Le Mans abräumte, freie Hand. Wenn Seidl weitere Zugänge fordert, soll er sie bekommen.
McLaren geht in seine zweite Saison mit Motorenpartner Renault. Beim MCL33 musste das Technikbüro noch mit Kompromissen leben, weil sich McLaren 2017 erst spät von Honda gelöst hatte. Aus dem Team heißt es, die Integration des Renault-V6-Turbos und der Elektrobausteine sei beim MCL34 deutlich besser geglückt. „Wir haben große Veränderungen rund um das Renault-Paket vorgenommen. Das ist ein Baustein von vielen, die das Auto besser machen.“
Renault ist zufrieden mit dem Fortschritt, den die Power Unit über den Winter gemacht hat. „Wir haben die Ergebnisse der Prüftstandsläufe auf die Rennstrecke übertragen“, sagt Renaults Motorenchef Remi Taffin. McLaren bestätigt das. Im Fahrerlager heißt es, Renault habe etwa 40 PS gefunden. Das ist Rundenzeit für lau für McLaren.
873 Testrunden für McLaren
Die McLaren-Piloten waren nach acht Testtagen und 4064 Kilometern weder deprimiert noch euphorisch. Carlos Sainz fehlt der Vergleich mit dem MCL33, den Lando Norris ziehen kann. „Wir haben einige Baustellen ausgeräumt, manche sind geblieben.“ Aus dem Team heißt es, man wisse, wo man ansetzen müsse.
Nach den Testeindrücken hat McLaren die Zuverlässigkeit verbessert. 2018 war man mit den wenigsten Kilometern in die Saison gestartet. Dieses Mal glückten 873 Runden, obwohl den MCL34 mal ein loses Kabel stoppte, mal der Auspuff, mal die Hydraulik oder der Wasserdruck. Der McLaren ist noch nicht kugelsicher. Norris rodelte am vierten Testtag mit kalten Reifen ins Kiesbett und löste eine Unterbrechung aus. Unter den Mittelfeldteams reihte sich McLaren bei der Laufleistung im Mittelfeld ein. Renault strampelte 961, Toro Rosso 935 Runden ab. Haas schaffte 871 und Racing Point nur 625 Umläufe.
Sainz glückte die achtschnellste Rundenzeit der Wintertests in 1.16,913 Minuten. Außer Ferrari und Mercedes waren noch Renault und Toro Rosso schneller. Die Topteams sind auch in diesem Jahr außer Reichweite. „Wir haben sicher nicht das schnellste Auto, aber das haben wir auch nicht erwartet.“ Der MCL34 spreche gut auf Setup-Veränderungen an und gebe den Ingenieuren keine Rätsel auf.
2018 für McLaren inakzeptabel
McLaren gibt sich trotzdem keinen Illusionen hin und macht auch keine großen Ankündigungen. Man ruft keinen Platz X als Saisonziel aus. Man muss sich verbessern, deutlich verbessern, aber wo das hinführe, müsse man abwarten. Das ist eine ganz andere Politik als in den letzten Jahren, als man oft ankündigte und nur selten lieferte.
2018 beendete McLaren auf dem sechsten Platz der Weltmeisterschaft. Doch der Traditionsrennstall ist sich bewusst, dass man eigentlich schlechter abgeschnitten hätte, wären Force India nach dem Besitzerwechsel nicht alle Punkte aberkannt worden, die das heutige Racing Point vor der Sommerpause gesammelt hatte. Je länger die Saison andauerte, desto schlechter wurde McLaren. Die Entwicklung verpuffte. Am Saisonende hatte nur Williams ein schlechteres Auto. So langsam zu sein, ist für den zweiterfolgreichsten Rennstall der Formel-1-Geschichte nicht akzeptabel. Deshalb wurde ausgemistet und umstrukturiert.
Die Testfahrten geben Hoffnung. McLaren schwamm größtenteils vorne mit. Zweimal räumte man die Bestzeit ab. An zwei Testtagen belegte man den zweiten Platz. Doch es ist schwer herauszulesen, wer wirklich wo steht. Es gibt viele Variablen, die das Ergebnis verfälschen können: die Füllmenge des Tanks, die Motoreinstellungen, das Entladen der Batterie. Wer hat wirklich die Hosen runtergelassen, wer noch Reserven im Auto, die er in Melbourne mobilisiert?
Die Teams können sich untereinander bis zu einem gewissen Grad einschätzen. Anhand von GPS-Daten, Beobachtungen und Erfahrungswerten. Mithilfe von GPS lässt sich recht gut die abgerufene Motorleistung errechnen und bestimmen, wer die Batterie auf der Geraden vollständig ausgesaugt hat auf seiner schnellen Runde. Die aussagekräftigste Währung sind die virtuellen Rennen. „ Da kannst du das Gewicht runterrechnen. Doch es bleiben 20 Kilogramm Spielmasse“, sagt Haas-Teamchef Guenther Steiner. „Und die machen in Barcelona über eine halbe Sekunde aus.“ Sauber-Teamchef Frédéric Vasseur ergänzt: „Wir müssen bedenken, dass jeder seine Spielchen bei Tests spielt.“
Die Testprogramme der Teams unterscheiden sich teilweise deutlich. McLaren fuhr oftmals mit den weichen Reifenmischungen. Alfa Romeo (Sauber) dagegen spulte viele Runden mit den härteren Pirellis ab. Nach den Testfahrten sehen Experten McLaren eher in der zweiten Gruppe des Mittelfelds. Die erste bilden Haas, Alfa Romeo (Sauber) und Renault, die zweite McLaren, Toro Rosso und mit Abstrichen Racing Point, das allerdings in Melbourne technisch nachlegen will.
Budget Cap notwendig
McLaren seinerseits kündigt für Australien Veränderungen an. Die Saison wird zu einem großen Entwicklungsrennen. „Sobald wir im Windkanal oder Simulator eine Verbesserung ausmachen, bringen wir sie auf die Strecke.“ McLaren rechnet mit großer Gegenwehr. „Das Mittelfeld hat sich noch enger zusammengeschoben. Es wird von der Strecke, den Reifen, den Temperaturen, den Fahrern abhängen. Mal kannst du Vierter sein, mal Neunter.“
Zak Brown hat dem Team einen Fünfjahresplan verordnet. Innerhalb dieses Zeitraums soll McLaren dem Mittelfeld entwachsen und zu den Topteams aufschließen. Es gibt aber ein großes Problem. Die Topteams geben fast das Doppelte aus als McLaren. Der Traditionsrennstall kann beim Wettrüsten nicht mitmachen, kann es sich nicht leisten, mit einer Basisversion die erste Testwoche zu bestreiten und dann wie Mercedes ein neues Auto in der zweiten Woche zu bringen. Dazu stören die Allianzen von Haas und Alfa Romeo (Sauber) mit Ferrari und Toro Rosso mit Red Bull. Das erleichtert diesen Teams die Entwicklung.
Ohne Budget Cap wird McLaren auch in fünf Jahren nicht aufholen können. Dem Team schwebt eine Summe von 150 Millionen US-Dollar vor. Man rechnet aber damit, dass es mehr sein werden. Und dann bleibt da noch die Frage, ob sich die Anteilseigner so lange gedulden werden. 182 Siege verpflichten. Da kann es sich McLaren eigentlich nicht erlauben, mit Teams wie Alfa Romeo (Sauber) zu kämpfen, das nur 470 Mann beschäftigt.