BMW M5 im Supertest auf der Nordschleife
Mit seinem an Formel 1-Motoren erinnernden Fünfliter-Zehnzylinder schafft der neue M5 einen beachtlichen Image-Gewinn gegenüber der Konkurrenz - er weckt damit aber auch sehr hohe Erwartungen.
Es ist gewiss kein leichtes Unterfangen, zwischen der Welt der Formel 1 und der Welt, wie sie tatsächlich ist, stimmige Bezüge herzustellen. Von der Rennstrecke auf die Straße – an diese optimistische Redewendung hat ohnehin schon kaum jemand mehr geglaubt. Allein die Beweisführung hinsichtlich technischer Kompetenz funktioniert – aber auch nur dann, wenn sie mit Siegen untermauert wird. Das erste, technisch fast schon intime Beziehungsgeflecht zwischen dem High-Tech-Pool Formel 1 und der Großserie hat nun BMW als aktiver Protagonist auf beiden Feldern auf eine Art und Weise geflochten, die bisher einmalig ist. Zehnzylindermotor, Hochdrehzahlkonzept, sequenzielles Siebenganggetriebe, Fahrer-bezogenes Individual-Setup und Launch-Control – alles Begriffe, die seit Jahren zum Standardrepertoire in der Formel 1 gehören und nun im Rahmen des Technik-Transfers plakativ Einzug in die Serie gefunden haben. Der Schritt ist generell ebenso konsequent wie schlüssig, wenngleich die Insignien der F1-Hochleistungstechnologie eigentlich nur schwer mit dem Auftritt und dem Status einer großen Limousine übereinzubringen sind. Die M GmbH sieht keinen grundsätzlichen Interessenkonflikt. Die neue Power-Limousine hebt ihrer Auffassung zufolge sogar die Trennung "zwischen dem Auto für den Alltag und dem Auto für ambitionierten Rennsport" auf – starker Tobak, aber lassen wir uns überraschen. Betrachtet man die Daten und Eckwerte des im M5 implantierten Antriebspaketes mit den glänzenden Augen eines Technik-verliebten Fans, dann gehören die M5-Konstrukteure herzlich umarmt.
Kein Konflikt zwischen Alltag und Rennstrecke?
Immerhin verrichtet hier ein bis ins Detail hypermoderner Zehnzylinder-Saugmotor seinen Dienst, dessen spezifische Leistung mit 100 PS pro Liter Hubraum eindeutig auf Rennsport-Niveau liegt. Und der mit seinem Hochdrehzahlkonzept eloquent und mutig technische Konventionen bricht – und das im Umfeld einer viertürigen Limousine. Der mit 12,0:1 sehr hoch verdichtete Fünfliter-90-Grad-V10 verträgt dank seiner kurzhubigen Auslegung eine Höchstdrehzahl von immerhin 8.250 Umdrehungen. Dabei legt jeder der 482 Gramm schweren Aluminiumkolben pro Sekunde einen Weg von über 20 Metern zurück. Ein Meisterwerk der Motorentechnik also, noch dazu kombiniert mit dem sequenziellen M Getriebe (SMG) der dritten Generation, das im Hinblick auf eine perfekte Umsetzung der Motorleistung mit nicht weniger als sieben Gängen aufwartet und zudem mit einer um 20 Prozent gesteigerten Schaltgeschwindigkeit wirbt. Von Seiten des überwältigenden Motors und des hypermodernen Sportgetriebes sind also Bestzeiten zu erwarten. Konsequenterweise lieferte gleich der erste Sprintversuch mit der an Bord befindlichen Launch-Control eine eindrucksvolle Zahlenreihe, die in ihrer Dramatik kaum zu einer Limousine dieser Größen- und Gewichtsklasse passen will: Der elegante Viertürer stürmte in 4,5 Sekunden auf Tempo 100. Bereits nach 13,8 Sekunden war mit Unterstützung der Elektronik die 200-km/h-Hürde überschritten, was einen insofern sehr unterhaltsamen Charakter hat, als man dem Treiben genussvoll beiwohnen kann, ohne sich dabei persönlich verausgaben zu müssen. Vollgas geben – und fertig.
Die Launch-Control reguliert bei rund 4.000/min automatisch die passende Motordrehzahl. Mit dem Loslassen des Schalthebels katapultiert sich der 1,8-Tonner in perfekter Manier unter Hinterlassung zweier tief schwarzer Streifen vom Fleck und verschwindet innerhalb weniger Sekunden als Punkt am Horizont. Allerdings sollte der erste Sprintversuch mit Launch-Control gelingen. Denn sie bleibt nach einmaliger Aktion eine Zeit lang deaktiviert, um der infolge der strammen Leistung, des hohen Gewichts (1.844 Kilogramm) und des perfekt arbeitenden variablen Hinterachsdifferenzials hoch belasteten Kupplung eine Verschnaufpause zu gönnen. Möglichkeiten, dem Spieltrieb freien Lauf zu lassen, bietet der neue, mit aufwendiger Elektronik hochgerüstete M5 aber auch darüber hinaus in Hülle und Fülle. Angefangen bei der Power-Taste, die zwischen 400 und 507 PS differenziert, reicht das Individualprogramm über die elektronische Dämpferverstellung (EDC) bis hin zur Schaltzeitverkürzung, die jedoch in der schnellsten Einstellung (bis zu 65 Millisekunden) die Gangwechsel sehr ruppig und daher recht unangenehm vorträgt.
Schnelle Gangwechsel geraten beim M5 recht ruppig
Das persönliche Setup, das sich nach intensivem Studium des Handbuchs und einer etwas mühsamen Erprobungsphase früher oder später herauskristallisiert und unter einer gesonderten "M"-Taste auf dem Lenkrad abgelegt werden kann, dürfte anschließend dauerhaft den Status Quo markieren. Denn trotz der vielfachen Variationsmöglichkeiten kommen auch fahrdynamisch nicht viele Alternativen in Frage. Denn bei der beruhigenden Ansammlung von gesunden 507 PS wird sicher kaum einer das alternativ zur Verfügung stehende, gemäßigtere 400-PS-Programm einschalten, zumal das begeisternd spontane Ansprechverhalten des über Einzeldrosselklappen versorgten V10 gerade in der Power- Stufe eine der herausragenden Besonderheiten dieses Motors darstellt. Was das Angebotsspektrum bezüglich der Schaltgeschwindigkeit angeht, bietet sich eigentlich nur die moderate Mitte an, die sowohl mit verschliffenen als auch mit zügigen Gangwechseln überzeugt. Zeitvorteile im Millisekundenbereich, wie sie durch schnellere Schaltgeschwindigkeiten theoretisch möglich sind, machen den Kohl in diesem von schierer Kraft gesegneten Umfeld gewiss nicht fett.
Der Schalter für die Dämpfereinstellung EDC, der generös zwischen Komfort, Normal und Sport unterscheidet, wird – so die Prophezeiung – über kurz oder lang ohnehin ganz in Vergessenheit geraten. Allein mit härteren Dämpferkennlinien lässt sich nämlich naheliegender Weise weder der Fahrkomfort verschönern, noch bringt die steifere Gangart Vorteile in der Fahrdynamik. Im Gegenteil: Der Grenzbereich wird schmaler und daher schwerer zu beherrschen, was sich sowohl beim Herausfahren der Rundenzeiten in Hockenheim und auf dem Nürburgring als auch bei den Fahrdynamik-Tests im Pylonen-Parcours nachvollziehbar herauskristallisierte. Die Komfort-Einstellung unterstützt durch das angemessen komfortable, trockene Abrollen der breiten Räder nicht nur das ohnehin ausgeprägte Wohlbefinden an Bord – sie macht den M5 auch tatsächlich schneller. Das gilt zumindest in Kombination mit den Reifen der Marke Continental Sport Contact 2, deren Entwicklungsschwerpunkte erfahrungsgemäß mehr auf dem Abroll- und Nässeverhalten liegen als auf dem Gebiet Trockengrip. Die alternativ für den M5 vorgesehenen Michelin Pilot Sport 2 waren zum Zeitpunkt des Tests noch nicht verfügbar. Ihnen werden aber seitens der M GmbH leichte Vorteile im Trockenhandling unterstellt, womit sich in puncto Fahrverhalten und -dynamik kleine Verschiebungen einstellen könnten.
Keine Reifenauswahl beim Test des M5
Ein Absurdum betrifft das neu konstruierte Siebengang-SMG, das mit seiner nun direkt im Gehäuse statt wie bislang außerhalb platzierten Hydraulikeinheit kein Kompromiss mehr ist, sondern im Grundsatz das Optimum eines mechanischen Getriebes mit automatisierter Peripherie darstellt. Aber wie so oft haben die Elektroniker auch hier wieder einen Weg gefunden, die Selbstbestimmung subversiv zu unterwandern. Das Getriebe schaltet beim energisch vorgetragenen Zwischenspurt selbsttätig einen Gang runter – obwohl weder aus Sicht des Fahrers noch seitens des Motors Handlungsbedarf besteht. Dass dieser Vorgang mit einer mechanischen Schwelle à la Kick-down am Ende des Gaspedalweges markiert ist, vermag da kaum zu trösten. Die via Schalthebel beziehungsweise über die Schaltpaddel hinterm Lenkrad angewählte Gangstufe wird also im Stil einer herkömmlichen Automatik kurzerhand durch eine andere ersetzt – eine Regelung, die in Anbetracht des parallel vorhandenen automatisierten D-Modus völlig unnötig ist und fahrdynamisch sogar kontraproduktive Wirkung haben kann. Das Durchzugsvermögen des mit 520 Newtonmeter gesegneten Fünfliter-V10 reicht grundsätzlich völlig aus, um auch aus niedrigen Drehzahlen heraus souverän das Weite zu suchen. Die Durchzugswerte, die mit viel Gefühl ohne Kick-Down-Funktion ermittelt wurden, belegen das eindeutig. Trotz des massiven Einsatzes leichter Aluminiumlegierungen wie etwa bei den Radaufhängungen oder auch im Vorderbau des Chassis ist aus dem neuen M5 beileibe kein Leichtgewicht geworden.
Das schmeichelnde Luxus-Ornat, das der auch im Innern cool gestaltete M5 von Haus aus mitbringt, schlägt fraglos ins Kontor. 1.844 Kilogramm lasten bei vollem 70-Liter-Tank auf den üppig bereiften Rädern – allerdings sind die Radlasten weitgehend paritätisch verteilt. So beträgt die Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse 51,8 zu 48,2 Prozent. Auch hinsichtlich der aerodynamischen Balance zeigt sich der M5 vorbildlich austariert. Das theoretische Faszinationspotential kann die starke Sportlimousine trotzdem nicht in allen Bereichen so überzeugend in die Praxis transferieren, wie vom Hersteller prognostiziert oder vom Kunden erhofft. So taucht eine erste Dissonanz schon beim Anlassen des Zehnzylinders auf: Das Cockpit wird nicht etwa von einem gedämpften, aber eindrucksvollen Klangbild à la Formel 1 erfüllt, sondern von einem von mechanischen Grundgeräuschen überdeckten Motorsound der – sorry – eher den akustischen Äußerungen eines 535d entspricht als einem Motorenprinzip, das in der Topkategorie des Motorsports den Ton angibt. Während sich der Motor auch in mittleren Drehzahlbereichen noch schwer damit tut, sich als veritabler Sportmotor zu offenbaren und klanglich indifferent bleibt, bringt er im oberen Drittel seines Drehzahlspektrums endlich eine Stimme zu Gehör, die tatsächlich Gänsehaut erzeugen kann. Mit der dann ertönenden hochfrequenten V10-Sonate ist jede vorangegangene Enttäuschung im Nu vergessen. Der akustischen Aufforderung, das Triebwerk an seine Drehzahllimits zu treiben, kann man sich angesichts der betörenden Klänge auf Dauer kaum verweigern.
Der V10 des M5 betört akustisch
Dass Anspruch und Wirklichkeit oft nur in Teilbereichen übereinander zu bringen sind, zeigt ein weiteres Detail, an dem sich völlig unnötigerweise Ärger Luft machen kann: Das optionale Head-up-Display spiegelt wie im Jet Informationen wie Geschwindigkeit und Drehzahl und alternativ auch eine so genannte Shift-Light-Funktion, die den optimalen Schaltzeitpunkt signalisiert, auf die Frontscheibe. Die Projektion ist allerdings nicht – wie etwa in der Corvette – in der Höhe variierbar. Was zur Folge hat, dass die Informationen bei bestimmten Sitzpositionen weitgehend aus dem Sichtfeld verschwinden. Das übergeordnete Funktionsgefüge des M5 kann durch solche und ähnliche Einschränkungen im Detail allerdings nicht ins Wanken gebracht werden. Motor, Fahrwerk und Bremsen harmonieren auch im neuen M5 in einer Art und Weise, die, wie von BMW gewohnt, fast an Perfektion grenzt. So unauffällig und kultiviert der Motor seinen Dienst beim Mitschwimmen im Verkehr verrichtet, so dominant und zornig kann er werden, wenn er auf der Rennstrecke gefordert wird. Ähnliches gilt auch fürs Chassis und das Fahrwerk, wenngleich die schwerpunktmäßig eindeutig auf den Alltagsgebrauch ausgerichtete Fahrwerksabstimmung auf dem Rundkurs nicht die Erfüllung bringt, die ein reinrassiges Sportgerät wie etwa der M3 CSL , sie liefert. Mit der Ankündigung, im M5 die Ansprüche des Alltags mit denen verknüpft zu haben, die im Rennsport gestellt werden, hat sich die M GmbH also doch ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt.