Brabus Bullit
1.100 Nm und 730 PS auf dem nächtlichen Hockenheimring. Wahn oder Wirklichkeit? Der Brabus Bullit, V12-Grenzgänger in Gestalt einer C-Klasse, will die schnellste (Klein-)Serienlimousine sein.
Langsam kräuseln sich die Drehmoment-Wogen, türmen sich zur Welle. Faszination des Unausweichlichen: Der Geist ist gebannt von dem, was sich da ankündigt. Allmählich steigt die Last auf dem Körper. Dann geht der Rücken auf Block mit der Sitzlehne. Der Magen krampft, der Nacken spannt. Schauern, Schütteln. 1100 Nm.
Wie sich das anfühlt? Fahren Sie am Sonntag rückwärts über den Supermarkt-Parkplatz und steigen aufs Bremspedal – so drückt der Brabus Bullit noch im dritten Gang. Tief grollt er heran, turboüberladen, energiegebläht. Ein Taifun im nächtlichen Hockenheim. Zwölf Zylinder in einer Mercedes C-Klasse? Worin wird diese Entwicklung enden: in der A-Klasse?
Erst steckte Brabus den Biturbo aus dem S 600 in das E-Modell, genannt E V12. Dann in den CLS, fortan Rocket, also Rakete (Heft 25/2005). Jetzt quillt der V12 aus dem Mittelklasse-Mercedes. C-Klasse, 730 PS, 1100 Nm. Kurz Bullit, in Anlehnung an das englische bullet, Kugel.
Der Kleinserien-Superlativ kostet 414 120 Euro und soll über 360 km/h schnell sein. Formschlüssig macht sich der Motor auf der Vorderachse breit, wie mit dem Schuhlöffel eingesetzt. Dabei passte der Block problemlos zwischen die Dome; erst die Schläuche schlauchten die Techniker.
Wohin mit Kabeln, Aggregaten und Behältern? Jetzt sitzt die Motorsteuerung unter dem Gebläsekasten, das Wischwasser-Reservoir hinter dem Kotflügel auf Höhe des stolzen V12.Zeichens. Zu sehen ist nichts.
Kein Kabeldschungel eines alten Jaguar-Zwölfzylinders. Keine offen liegende Peripherie, nur die Kraftquelle. Clean, wie es in der Tuner-Sprache heißt. Größere Zylinderbohrung, neue Kurbelwelle, Kolben und Pleuel erweitern den Hubraum von ursprünglich 5,5 auf 6,2 Liter. Zwei Borg-Warner-Lader verdichten die Ansaugluft mit bis zu 1,3 bar, was unter Volllast 1320 Nm bei 2100/min erzeugt. Das packen nur Renngetriebe.
Doch im Brabus steckt die Fünfgangautomatik des Maybach. Solidere Lamellenpakete übertragen jetzt bis zu 1100 Nm. Auf dieses Drehmoment ist der Motor im Bullit elektronisch begrenzt. 78er-Hosenrohre im Durchmesser einer Cappuccino- Tasse leiten die Abgase großmütig zu den durchlassoptimierten Metallkats und weiter zu den Schalldämpfern. Der Klang? Eher acht- als zwölfzylindrig. Das vollmundige Hubraum- Wummern eines Yachtantriebs, der mit kaum 600/min vor sich hin dümpelt. Und das soll eine hochgezüchtete Maschine sein? Eher ein dicker, in sich ruhender Stationär-Motor. Zweite Vermutung: Ein Hauch zu viel Gas, und die Hinterräder geben dem Asphalt Autogramme. Oder man schießt dem Vordermann in den Kofferraum. Oder pfeilt unkontrollierbar durch die Zone 30. PS-Fantasien eben. Doch die Wahrheit ist: Man muss das Gaspedal nicht streicheln oder verstohlen antippen – einfach den Fuß anlegen, und der Bullit zuckelt fast schon enttäuschend normal los. Wie eine C-Klasse mit Basis-Vierzylinder. Ein Unkundiger würde die Kraft nie ver- muten, würde bei den breiten Backen und den überdimensionalen Reifen auf einen aufgepumpten Ruhrpott-Macho schließen – etwas laut, aber harmlos. Wie soll man bei dieser seriennahen Cockpit-Umgebung aus schwarzem Alcantara, Mastik- und Nubukleder sowie silbernen Nähten eine mögliche Leistungseruption erwarten? Erst bei wiederholtem Hinsehen fällt auf, dass der Tacho dem Original nur nachempfunden ist, die Skalierung aber bis 400 km/h reicht. Den Unwissenden belustigt diese scheinbare Angabe. Nur der Kenner am Steuer lächelt über die Zuversicht, dass es der Zeiger tatsächlich bis ins letzte Zehntel schaffen wird – auf dem Hochgeschwindigkeitskurs von Nardo kam der gleich starke, aber schwerere und größere Rocket auf 366 km/h. Ist die Front Hinweis genug? Die abgedunkelten Scheinwerfer, der markenlose Grill aus Kohlefaser. Darunter ungeschützter Technik-Verkehr ohne Gitter-Präservativ: Unverhüllt hängt der Bullit seine Kühlerpakete in den Fahrtwind, lässt sich von der dreiteiligen Luftschaufel bedienen. Ist das Warnung genug für die Straße?
Für das, was sie erwartet? Es ist der Asphalt-Absolutist, der Gebieter der Geraden. Deutschlands neues Muscle-Car: Der Bullit fährt niemals lange im Lichtkegel anderer. Die Last des Kolonnenverkehrs schüttelt er einfach von sich ab, flutet anschließend die Autobahn mit Vortrieb, schwappt über die linke Spur.
Wann immer er will, ist der Bullit auf der Fahrt zum Hockenheim- ring sein eigener Lichtkegel. Sein V12.Reaktor ruht und glüht gleichzeitig. Die innere Hitze des schnellen Stoffwechsels: Alleine die Abwärme im Leerlauf könnte ein Einfamilienhaus heizen. Selbst die leistungserfahrene Rennstrecke sucht der Bullit wie eine Erscheinung heim. Nachts fällt die Macht über die Zielgerade her, wenn die Schubwelle von Eingang bis Ende unvermindert anhält und erst in den 15 Zoll großen Bremsscheiben mit Zwölfkolben-Sattel brandet. Anders als der Rocket schlägt sich der Bullit sogar in den Kurven achtbar. Zehnfach in Zug- und Druckstufe verstellbare Bilstein- Dämpfer, mit Eibach-Federn und dicken Stabilisatoren sowie Sperrdifferenzial kombiniert – da muss man vor dem Einlenken nicht nahezu auf Stillstand abbremsen. Der kopflastige Brabus ist in ungeahnter Querdynamik unterwegs. Lieblingskurve Parabolica, die Vollgas-Links, der schnellste Part: mit weit jenseits der 200 km/h ins schwarze Loch des unbeleuchteten Streckenabschnitts. Und die Beschleunigung scheint eher zu- als abzunehmen. Gerne hätte auto motor und sport die Eindrücke mit Zahlen untermauert. Doch die Motorsteuerung ist noch nicht fertig appliziert; eigenwillige Einspritz-Gepflogenheiten verhinderten das Messprogramm. Anhaltspunkt: Der Rocket schob sich in 11,9 Sekunden auf Tempo 200. In diesem Fall könnte die Kugel die Rakete noch überholen.