Doppeltest

Dass BMW mit dem neuen Fünfer ein herausragendes Auto gelungen ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Gibt es da überhaupt noch einen Grund, sich für den Größeren Siebener mit dem gleichen, 193 PS starken Sechszylindermotor zu entscheiden?
Mehr konnte man vom neuen Fünfer wirklich nicht erwarten. Im Vergleich mit der E-Klasse von Mercedes (siehe Heft 24/1995) hat er überzeugend bewiesen, dass er das Talent hat, die Führungsrolle in der gehobenen Mittelklasse zu übernehmen. Eindrucksvoll vor allem, welch ein hohes Niveau der Fahrkomfort des Fünfers erreicht hat, nicht nur durch den konstruktiven Aufwand eines ganz aus Leichtmetall gefertigten Fahrwerks, sondern vor allem auch durch dessen höchst gelungene Abstimmung. Da drängt sich natürlich die Frage auf, ob der Fünfer nicht eine Spur zu gut geraten ist – so gut nämlich, dass er zur Konkurrenz im eigenen Haus wird. Denn angesichts des blendenden Testergebnisses, das bereits das Basismodell 523i bei auto motor und sport erzielt hat, darf sich die BMW-Kundschaft sehr wohl fragen, ob der stärkere 528i nicht noch einen draufsetzt und es damit fragwürdig macht, den Mehrpreis für einen 728i auf den Tisch zu legen. Vieles spricht für den kleineren und glatte 200 Kilogramm leichteren Fünfer. Beide sind mit dem identischen 2,8 Liter-Sechszylinder ausgerüstet, und dessen 193 PS kommen in der zierlicheren Karosse natürlich besser zu Geltung. Im 528i hat jede Pferdestärke 8,1 Kilogramm zu bewegen, im 728i muss sie sich mit 9,2 Kilogramm abschleppen. Das macht sich beim Fahren deutlich bemerkbar, wenngleich auch der Siebener weit davon entfernt ist, ein Gefühl von Leistungsmangel aufkommen zu lassen. Doch der Fünfer geht noch leichtfüßiger zur Sache. Seine besseren Beschleunigungswerte und die höhere Endgeschwindigkeit sollen hier nicht überbewertet werden. Die Überlegenheit in diesen Punkten sieht auf dem Papier eindrucksvoller aus, als sie sich in der Praxis des Straßenverkehrs auswirkt. Es ist eine Illusion zu glauben, dass der 528i dem 728i davonfahren könnte. Aber er gestaltet die Fortbewegung noch um eine Nuance müheloser, weil die Durchzugskraft des Sechszylinders in einem Maß von dem geringeren Gewicht profitiert, das auch die geringfügig kürzere Antriebsübersetzung des 728i nicht wettmachen kann. Gewicht und Leistungscharakteristik bescheren dem Siebener erwartungsgemäß auch einen höheren Verbrauch. Sein Testmittel von nur 11,8 Liter/ 100 Kilometer ist zwar aller Ehren wert, aber beim Fünfer kommt im Durchschnitt ein halber Liter weniger heraus.
Die höhere Elastizität erspart dem Fünfer.Fahrer so manchen Schaltvorgang. Wenn in einem der oberen Gänge Vollgas gegeben wird, zieht der 528i davon. Auch beim 728i kann zwar nicht von unbefriedigender Drehmomententwicklung gesprochen werden, aber er ist bei vergleichbar schneller Fahrweise doch auf ein höheres Drehzahlniveau angewiesen. Damit kann man leben, weil es immer wieder Spaß macht, die exakte und leichtgängige Schaltung eines BMW zu betätigen, und weil hohe Drehzahlen im Falle des Sechszylinders keinerlei akustische Belästigung darstellen. In der Laufkultur gehört diese Maschine zur Creme der Sechszylinder, mit einem wohlklingenden, turbinenhaften Summen über den gesamten Drehzahlbereich. Der Siebener bietet mit einer wirksameren Dämmung des Motortons eindeutig den nochmals besseren Geräuschkomfort. Bei der gleichmäßigen Fahrt für die Geräuschmessungen fällt das weniger auf, was auch die geringen Differenzen in den Messwerten untermauern. Aber beim vollen Ausdrehen des dritten Gangs kommt der 528i auf ein Maximalgeräusch von 77 dB(A), beim 728i ist bereits mit 72 dB(A) die Spitze erreicht. Generell klingt der Sechszylinder im Fünfer kerniger, mit jenem Unterton, mit dem die TV Werbung von BMW derzeit den Unterschied zwischen gemeinem Motor und Triebwerk verdeutlichen möchte. Überhaupt der Komfort. Wer im Fünfer unterwegs ist, wird sich darüber gewiss nicht zu beklagen haben. Das Abrollgeräusch ist vorbildlich gering, die Federung schluckt kleine Unebenheiten willig und große sogar mit einer bemerkenswerten Souveränität. Weil sich „sehr gut“ nicht mehr steigern lässt, muss die Bewertungsskala für den Federungskomfort neu geschrieben werden. Sie heißt ab sofort „gut, besser, Siebener“ . Denn der direkte Vergleich zeigt, dass der 728i dem verwöhnten Geschmack noch besser gerecht wird. Vor allem Querfugen, die sich beim 528i mit kurzen Stößen bemerkbar machen, absorbiert seine Federung mit größerer Geschmeidigkeit, und auch lange Bodenwellen bringen die Karosserie etwas weniger aus der Ruhe.
Freilich, das sind Nuancen, wie übrigens auch bei den Handling-Eigenschaften. Schon der 728i zeigt eine erstklassige Handlichkeit für eine Limousine dieses Formats. Aber der Fünfer wedelt noch flinker um die Kurven, und er lenkt noch williger ein – kurz, er bietet einen Extra- Schuss jenes typischen Feelings, das die Grundlage bildet für die von BMW propagierte „Freude am Fahren“ . Beide überzeugen durch sehr hohe Fahrsicherheit, mit gutem Geradeauslauf und neutralem Kurvenverhalten, wobei für den Fünfer spricht, dass er die Antriebsschlupfregelung ASC+T, die das Fahren auf nasser oder verschneiter Straße sicherer macht, serienmäßig besitzt. Beim Siebener werden dafür 1650 Mark fällig. Dass wirtschaftliche Gesichtspunkte den 528i nach vorn bringen, ist schon angesichts des beträchtlichen Preisunterschieds eine Binsenweisheit. Ebenso wie die Feststellung, dass der 728i mehr Platz zu bieten hat. Der Fünfer wirkt eher knapp geschnitten, aber zumindest für die Vornsitzenden spielen die zusätzlichen Zentimeter der größeren Limousine keine Rolle. Nur im Fond ist der Unterschied gewaltig, wenngleich bereits der Fünfer einen Beinraum zur Verfügung stellt, der die Fondpassagiere einer langen Fahrt gelassen entgegensehen lässt. Der Siebener spielt seinen Vorteil nur für den vielreisenden Geschäftsmann aus, der sich gern im Fond chauffieren lässt. So heben sich Vor- und Nachteile gegeneinander auf und führen letztlich zum Patt in der Punktwertung. Spitzenautos sind beide – sie setzen nur unterschiedliche Prioritäten.