Ferrari F512 M im Test
Der klassische Zwölfzylinder-Sportwagen von Ferrari trägt wieder einmal einen neuen Namen: F512 M, wobei das M für „modificata“ steht. Mit neuer Optik und noch mehr Leistung bleibt der Enkel des Testarossa einer der aufregendsten Zweisitzer der Welt.
Insider wissen es: In zwei Jahren wird Ferrari einen völlig neuen Zwölfzylinder-Sportwagen präsentieren, der die Nachfolge der seit 1984 amtierenden Testarossa-Familie antritt. Warum also der Aufwand, nach dem 512 TR eine nicht nur optisch, sondern auch technisch verfeinerte Ausführung des alten Modells zu entwickeln? Die Antwort ist einfach: Der neueste Achtzylinder-Ferrari mit der Bezeichnung F355 ist zu gut geworden. So überzeugend, dass ihn nicht nur die Tester von auto motor und sport für den besten derzeit gebauten Ferrari-Sportwagen halten, dem TR in den Fahrleistungen nahezu gleichwertig, aber in Handling und Fahreigenschaften eindeutig überlegen.
Da musste schon ein Anreiz geschaffen werden für jene Kundschaft, die nach wie vor die tief in der Ferrari-Tradition verwurzelte Ansicht vertritt, dass ein reinrassiger Sportwagen mit dem sich aufbäumenden Pferd im Wappen unbedingt einen Motor mit 12 Zylindern besitzen müsse. Worin bestehen nun die neuen Reize, die aus einem in die Jahre gekommenen Sportler wieder einen Champion machen sollen? Zunächst einmal in behutsamer stilistischer Verfeinerung der Karosserie. Vor allem die Frontpartie wurde weitgehend neu gestaltet, mit jetzt unter Plexiglashauben untergebrachten Scheinwerfern statt der bisherigen Schlafaugen, die in geöffnetem Zustand den ebenmäßigen Fluss der Pininfarina-Linien empfindlich beeinträchtigten. Und hinten sitzen nun Heckleuchten in der für einen Ferrari einzig möglichen Form: rund. Das war’s denn auch schon, und es reicht auch. Der Neuigkeitswert ist da, das Ganze sieht zweifellos besser aus, und die formale Basis der Karosserie hat ohnehin nichts von ihrer Attraktivität verloren.
Der gegenwärtig schnellste Ferrari blieb ein Auto mit höchstem Auffälligkeitsgrad auf der nach oben offenen Skala der automobilen Eitelkeiten. Diese Wirkung, die er auf Betrachter jedes Jahrgangs und Geschlechts ausübt, bezieht er wie alle Supersportwagen nicht zuletzt aus seinen Proportionen: breit und flach – an diesem Schönheitsideal ist, so scheint es, auch im aufdämmernden Zeitalter der hochbeinigen und schmalen Stadtzwerge nicht zu rütteln. Die fülligen Formen und die stark eingeschränkte Übersichtlichkeit machen es dem Fahrer nicht leicht auf engen Straßen, aber schließlich ist es auch nicht Aufgabe eines Ferrari, so umgänglich und so brav zu sein wie Autos, die gerade mal ein Zehntel seines Preises kosten.
Speziell beim Ferrari F512 M weist schon der Prospekt darauf hin, dass dies ein Sportwagen sein will für die harten Burschen, die an erster Stelle Leistung wollen und an zweiter Stelle natürlich auch nichts anderes. Eine vorzügliche Macho-Ausrede also auch dafür, dass Ferrari nicht teuren Aufwand betreiben wollte, um dem 512 auf seine alten Tage noch eine Servolenkung zu spendieren. Da heißt es, wie auch bei der nach wie vor knochigen Schaltung, kräftig hinlangen – nicht nur beim Rangieren, sondern auch beim schnellen Kurvenfahren. Die filternde Wirkung eines Servo verschlechtert das Gefühl für die Straße, so die Meinung der gusseisernen Puristen. Rennwagen verzichten schließlich auch darauf.
Es sticht allerdings nicht mehr richtig, dieses Argument, wie Ferrari beim kleineren F355 schon selbst bewiesen hat. Im Gegenteil: Die beträchtlichen Haltekräfte bei hoher Querbeschleunigung erfordern so kräftiges Zupacken am Lenkrad, dass von wirklichem Fingerspitzengefühl keine Rede mehr sein kann. Dabei ist gerade der Ferrari F512 M dringend auf einen Fahrer mit ausgeprägtem Gespür für die Reaktionen des Autos angewiesen. So giftig wie seine Vorgänger schwänzelt er zwar nicht mehr mit dem Heck, aber wird der Grenzbereich einmal überschritten, sei es durch Überschussleistung an den Antriebsrädern, sei es durch Lastwechsel bei hoher Querbeschleunigung, dann macht der Ferrari immer noch in aller Deutlichkeit klar, dass ein Mittelmotor Sportwagen mit einer Leistung von weit über 400 PS kein harmloses Spielzeug für Menschen mit fettem Bankkonto darstellt. Die vielen Pferdestärken im Zaum zu halten obliegt immerhin spürbar besseren Bremsen. Dass ABS in den meisten Fällen mehr kann als selbst der beste Fahrer, dieser Erkenntnis verschließt sich auch Ferrari seit einiger Zeit nicht mehr. Jetzt jedenfalls verzögert der 512 so, wie es bei Sportwagen der Spitzenklasse Standard ist. Fading kennt er nicht, und die Dosierbarkeit der Bremsen lässt keine Wünsche mehr offen.
Im Grund freilich sind das alles Selbstverständlichkeiten, der Rede nur wert, weil es beim Ferrari-Topmodell nicht immer so war. Das Kernthema aber bleibt der Motor, jener ursprünglich aus einer Formel 1-Maschine entwickelte V12 mit dem ungewöhnlichen Zylinderwinkel von 180 Grad, der mit dem F512 M seine letzte Entwicklungsstufe erreicht hat. 440 PS leistet der Motor nun, das Drehzahllimit beträgt 7.300 U/min und liegt damit beruhigend weit unter jenen 10.000/min, die der unter anderem mit neuen Federn modifizierte Ventiltrieb verkraften kann. Beim Testwagen bremste der Drehzahlbegrenzer das Triebwerk schon bei rund 7.100 U/min, und das mag der Grund dafür sein, dass der Ferrari unter der offiziellen Werksangabe für die Höchstgeschwindigkeit (315 km/h) blieb.
So leicht und so schnell, wie die gemessenen 305 km/h erreicht werden, gibt es aber keinen Zweifel daran, dass 315 km/h möglich sind, falls jemand brennendes Interesse daran haben sollte. Die absolute Spitze der Fahrleistungen unter Italiens Sportwagen-Exoten markiert der Ferrari F512 M ohnehin nicht, siehe Vergleichstabelle. Aber einige Zehntel in der Beschleunigung oder eine nochmals eindrucksvollere Zahl für die Höchstgeschwindigkeit sind in diesen Bereichen bestenfalls gut für das imponiersüchtige Ego des Besitzers. In der Art und Weise jedenfalls, wie der Ferrari-Motor seine Leistung produziert, bleibt er absolute Extraklasse, auch wenn der jüngste Kraftzuwachs weder subjektiv noch in den Messwerten zum Ausdruck kommt.
Im Leerlauf, der stabil bei 900 U/min verharrt, schnurrt der Zwölfzylinder so sanft wie eine Hauskatze, und er lässt sich im Stadtverkehr vollkommen problemlos in den oberen Gängen und mit minimalen Drehzahlen bewegen, ohne zu ruckeln oder eine geschmeidige Reaktion auf Bewegungen des Gaspedals zu verweigern. Auch das Geräusch bleibt unter solchen Bedingungen ganz zivil, wenngleich der heisere Unterton schon die Kraft ahnen lässt, die in dieser Maschine steckt. Volllast und höhere Drehzahlen wecken den Tiger. Ab 5.000 U/min wird der bis dahin schon eindrucksvolle Rückenwind von einem Orkan abgelöst, der Motor brüllt seine Kraft hinaus, und die Nadel des Drehzahlmessers schnellt blitzartig nach oben, wobei der turbinengleiche Lauf des Zwölfzylinders auch bei höchsten Drehzahlen keinerlei Vibrationen spüren lässt.
Noch zwischen 100 und 200 km/h reißt es den Ferrari ähnlich heftig nach vorn wie andere, gewiss nicht langsame Autos aus dem Stand. Nur ein Kilometer genügt ihm, um, voll beschleunigt aus diesem Landstraßentempo, 234 km/h schnell zu werden. Gemessen an dieser immensen Kraft ist der V12 noch nicht einmal sonderlich durstig. Spitzenwerte von über 20 Liter pro 100 Kilometer erscheinen selbstverständlich, aber wer den Ferrari mit Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn rollen lässt, kann den Verbrauch bis auf zehn Liter/100 Kilometer drücken. Allein der Motor, der das alte Hubkolbenprinzip auf die technisch mögliche Spitze getrieben hat, genügt schon für eine bekanntlich unheilbare Infektion mit dem Ferrari-Virus. Und wenn der Champion einmal abtritt, dann tut er dies auf dem Höhepunkt seiner langen Karriere.