Fiat Bravo 2.0 20V HGT im Test
Fiat macht, nach dem eher glücklosen und stilistisch unauffälligen Tipo, Wirbel in der Kompaktklasse. Bravo heißt der neue Golf-Konkurrent. Im Test die stärkste Version: mit Fünfzylinder und 147 PS.
Verschwinden in der Anonymität ist des Bravo Sache nicht. Ganz im Gegensatz zu den Erlebnissen von auto motor und sport-Redakteur Götz Leyrer, der beim Beschreiben des neuen Opel Vectra auch dessen Unauffälligkeit notierte, war dem Bravo. Tester eher ein automobilistischer Spießrutenlauf gewiss. Fast alle reckten die Hälse, drehten die Köpfe. Auch wenn man jetzt noch nicht weiß, in welchem Maße die neue Gestalt über die Jahre optisch altern wird – hoher Aufmerksamkeitswert ist ihr zumindest heute gewiss. Zugegeben, man kann die Leute verstehen. Die Fiat-Stylisten, denen man seit Punto-Zeiten, vor allem aber mit dem Coupé und dem Zweisitzer Barchetta eine glückliche Hand attestieren muss, haben auch hier an den richtigen Stellen zugelangt.
Die Form folgt zweifellos nicht der alten Designer-Empfehlung, der Funktion, sondern vor allem der Emotion. Autos werden mit dem Auge gekauft – ein Gesichtspunkt, der bei dem hohen technischen Niveau, das allenthalben erreicht wurde, von größerer Bedeutung sein wird. Deshalb Schlussleuchten, wie man sie noch nicht gesehen hat, deshalb eine Heckpartie mit herausfordernden Schwüngen, eine imposante Keillinie von der Seite und eine Frontpartie, die den konservativen Teil dieser Art Sportlimousine in die Neuzeit transportiert. Ihre zerklüftete Botschaft ist kühl und kurz: bitte Platz machen. Insgesamt erscheint der Auftritt mit den formschönen Leichtmetallfelgen gleichwohl nicht zu martialisch. Man betrachtet den Sportiv-Bravo mit Wohlgefallen, ohne die Botschaft, die seine Zielgruppe zu verkünden gedenkt, zu missachten. Mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,32 erreicht der schnellste Bravo keine Bestmarke, wohl aber ein Resultat, das sich in Anbetracht des Strebens nach einprägsamen Formen gut sehen lassen kann.
Gleiches gilt für die Gestaltung des Interieurs, das in seiner ruhigen Ausstrahlung einen gewissen Kontrast zur Wildheit des äußeren Auftritts bildet. Hier war offensichtlich Verspieltheit nicht angesagt, und so entstand ein hohes Maß an Funktionalität, wenn man einmal davon absieht, dass eine Naht im Lenkradkranz in die Finger schneidet. Die Bedienungselemente sind allesamt an der richtigen Stelle, gute Lösungen aus der Vergangenheit wurden übernommen. Nicht Änderungen um des Änderns willen waren angesagt – die Neuerung in der Gesamtanmutung steckt allein im Styling der Rundinstrumente, die mit ihren hellen Zifferblättern und den grazilen Zeigern die Kühle der Moderne symbolisieren. Ganz altmodisch die Sitze, nämlich einfach bequem.
Man hat aus gutem Grund auch bei der Spitzenversion des Bravo auf übermäßige Seitenkonturierung verzichtet und einfach nur ein gutes Möbel geschaffen, nicht den klassischen Sportsitz, dem man die Querbeschleunigung schon von weitem ansieht. Die Verarbeitung der Karosse und des Interieurs macht einen erfreulichen Eindruck – ein besonders günstiges Verhältnis von Außenabmessungen und Innenraum hat der Bravo jedoch nicht zu bieten. Der Knieraum hinten reicht aus, der Kofferraum – wie üblich auch variabel nutzbar – ist mit 280 Litern ganz brauchbar. Nun, bei dieser Art Auto liegen die Kriterien ja ohnehin ein bisschen anders.
Wer in dieser Sportversion so etwas wie einen kompakten Gran Turismo sieht, liegt sicher nicht falsch und wird über das Raumangebot kaum klagen. Vorne entsteht ohnehin kein Platzmangel. Dass sich auch in Fahrt Wohlbefinden entfalte, verpflichtete die Fiat-Techniker zum Einbau eines ganz besonderen Triebwerks. 20 V – das könnte ja auch, wie beim Audi A4, ein Vierzylinder mit fünf Ventilen sein. Tatsächlich aber steckt hinter der zunächst irritierenden Typenbezeichnung ein Fünfzylinder, der – quer eingebaut – das Motorabteil des Bravo HGT vollständig ausfüllt. Vier Ventile pro Zylinder, das ergibt zusammen die ominöse 20. Ähnlich wie bei Menschen, wo der erste Kontakt häufig über Sympathie oder Abneigung entscheidet, reichen hier schon 500 Meter, um einen Vorgeschmack auf weitere Motorfreuden zu empfinden.
Sanft und mit einem unnachahmlichen, durch die unregelmäßige Zündfolge bedingten leicht trommelnden Ton zieht der Fünfzylinder das 1300 Kilogramm-Paket davon – schon in der Teillast eine klare Ahnung davon gebend, dass auf Dr. Jekyll wunschgemäß auch Mr. Hyde folgen kann. Die Leistungsentfaltung des kurzhubigen Motors erfolgt schön gleichmäßig, jenseits von 4000 Touren wird der Sound kräftig, behält aber immer seinen Wohlklang.
Keine Frage, hier ist – zusammen mit dem exakt schaltbaren Fünfganggetriebe – das Filetstück am Zweiliter-Bravo, jene Eigenwilligkeit in der anonymen Vierzylinder.asse, die möglicherweise auch den Erfolg einfahren wird. Vom Fahrgefühl her wirkt das geschmeidige Aggregat, das 147 PS bei 6100 Touren leistet und 187 Newtonmeter bei 4500 Touren entwickelt, weit großvolumiger, als es mit seinen 1998 Kubikzentimetern tatsächlich ist.
Auch wenn sich die Fahrleistungen (von null auf 100 km/h in 9,3 Sekunden, 14,6 Sekunden von 80 auf 120 km/h im großen Gang) nicht so sehr von der vierzylindrigen Konkurrenz unterscheiden – das Gefühl spricht klar für den Fünfzylinder. Er ist mit der Ausgleichswelle im Schwingungsverhalten weit mehr am Sechs- als am Vierzylinder. Im Verbrauch ist er mit rund zehn Litern pro 100 Kilometer kein Ausreißer nach oben, wenn auch nicht besonders sparsam. Wo fehlt’s? Bestimmt nicht am Antrieb, eher schon am Federungskomfort. Zwar ist der Gesamteindruck, den der mit Sportfahrwerk (Aufpreis: 1000 Mark) versehene Bravo hinterlässt, nicht der eines unkomfortablen Autos, doch Abstriche sind unverkennbar.
Kleine Unebenheiten werden vom Fahrwerk nur unzureichend geschluckt, auch der Abrollkomfort ist, mit unüberhörbaren Poltergeräuschen beim Überrollen von Kanaldeckeln, nicht vom Feinsten. Die Sportlichkeitsfreaks, die der stärkste Bravo ja ansprechen soll, wird das weniger stören. Im Fahrverhalten zeigt der kräftige Kompakt-Fiat mit einem nur leicht untersteuernden Kurvenverhalten und stabilem Geradeauslauf sowie standfester, aber etwas giftig zupackender Bremsen, dass er sich so fahren lässt, wie er aussieht. Die Kurventempi sind nötigenfalls hoch – auch hier der Beweis, dass die Italiener etwas Ähnliches auf die Räder stellten wie die Wolfsburger mit dem Golf VR6. Der Name darf deshalb ruhig Urteil sein: Bravo.