Lotus Exige im Supertest
Mit hohen Abtriebswerten ähnlich reinrassiger Rennwagen schlägt das Lotus-Coupé auf Basis Elise ein neues Kapitel in Sachen Fahrdynamik auf – der Rennsport läßt grüßen.
Sich herabzulassen in die tiefen Niederungen eines Lotus-Cockpits, dazu gehörte schon immer nicht nur körperliche, sondern vor allem auch geistige Gelenkigkeit. Besonders das neueste Modell, das auf Basis des offenen Elise aufgebaute Coupé mit dem Kunstnamen Exige, stellt Rahmenbedingungen, die – physisch wie psychisch – nur schwer mit einer hedonistischen Lebensphilosophie zu vereinbaren sind. Während es sich der große Fankreis des Elise gestattet, das enge Cockpit zumindest im geöffnetem Aggregatzustand mit elegantem Seitensprung zu erobern und in Folge eine genussvolle Roadster- Tour zu genießen, können die kleinen Einstiegsöffnungen des Exige für den ungelenken Fahrer oder Beifahrer schon zur Hürde werden. Deren Überwindung gelingt nämlich in den seltensten Fällen ohne Komik. Die Anleitung zum Einstieg klingt eher nach einer Faltanleitung für Schlangenmenschen, die einen Reisekoffer entern wollen: rechtes Bein durch die Öffnung stecken, den Oberkörper stark abwinkeln und Kopf einziehen. Dann den Hintern eindrehen und schräg seitlich in die tiefe Schale fallen lassen. Zum Schluss das linke Bein über den hohen Seitenschweller nachziehen und in den Fußraum einfädeln. Auch im Kopf ist der Zugang zum Lotus Exige stark erschwert: Er kostet immerhin 105.000 Mark. Seine Alltagstauglichkeit geht wegen des nicht vorhandenen Kofferraums gegen Null.
Die Alltagstauglichkeit des Lotus Exige geht gegen Null
Und abgesehen davon, dass weder ABS, Klimaanlage oder Radio noch Sicherheitsfeatures wie Airbags vorhanden oder vorgesehen sind, ist es im geschlossenen Exige schlicht und einfach brüllend laut. Ein anregendes Gespräch wird sich während der Fahrt kaum entwickeln. Wohl aber nach der Tour, und das mit Sicherheit in sehr leidenschaftlich geführter Form. Wer einen Sinn für den Motorsport entwickelt und seine Mechanismen – Konzentration auf das Wesentliche – verstanden hat, wird sich an all den Hürden und Hemmnissen im Umfeld dieses knapp 3,80 Meter langen und 1,72 Meter breiten Straßenrenners nicht ernstlich stoßen. Entgegen der Vermutung, im Exige.Cockpit hätten nur kleinwüchsige Rennjockeys Platz, finden auch groß gewachsene Mitteleuropäer im 1,85-Meter-Format genügend Raum, um diesen in der Tat außergewöhnlich dynamischen Freizeitspaß genießen zu können. Lediglich zum Schalten ist es bei langbeiniger Physiognomie erforderlich, das rechte Knie kurzfristig aus dem Aktionsradius des Schalthebels zurückzuziehen. Ansonsten passt das Auto dank lederbezogener Schalensitze, ausreichender Bein- und Kopffreiheit und Vierpunktgurten wie ein perfekt sitzender Handschuh. Das ist auch notwendig, denn die Art und Weise, wie dieser nur 796 Kilogramm leichte Flitzer um die Ecken biegt, führt bei unerfahrenen Mitstreitern spontan zu schwerer Atmung oder entrückt wirkendem Grinsen – je nachdem.
Die Seitenkräfte, die dieser zierliche Mittelmotor-Sportler aufbaut, sind nämlich in der Summe mit die höchsten, die im Rahmen des Supertests je gemessen wurden. Mit der in der Normkurve, dem schnellen Knick in der Hockenheimer Querspange, registrierten Querbeschleunigung von 1,2 g wurde das Maximum allerdings noch nicht erreicht. Einfach deshalb, weil die Kräfte des Motors auf dem Weg von der Ameisenkurve bis zum Messpunkt einfach nicht reichten, um das Auto auf mehr als 170 km/h hochzubeschleunigen. An anderen Stellen des 2,6 Kilometer langen Kurses, in der Eingangs- sowie in der Ausgangskurve der Zielgeraden, registrierte das Corrsys-Datarekording konstante Werte von sage und schreibe 1,3 g. Im Unterschied zum Referenzauto, dem Honda S 2000, spielt der Motor in diesem Leistungspaket aus Antrieb und Chassis nur die zweite Geige. Anders ausgedrückt: Der Rover-Vierzylinder strengt sich zwar in anerkennenswerter Weise an – was man ihm leider auch anhört –, aber so mitreißend, wie der Vierzylinder des S 2000 in allen Drehzahlbereichen zu Werke geht, setzt sich der britische Vierventiler bei weitem nicht in Szene. 179 PS bei knapp 8.000 Touren und ein Drehmoment von 171 Newtonmeter bei 5.000/min sind, gemessen an den Möglichkeiten, die sein Umfeld eröffnet, nicht die Welt.
Der Motor des Exige könnte etwas mehr Kraft gebrauchen
Kurz und gut: Ein etwas kraftvolleres Herz stünde dem Exige gut an; es würde das Blut des Fahrers noch mehr in Wallung bringen. Mit den klassischen Leistungsdaten ist es nämlich tatsächlich nicht so weit her, wie angesichts des Leistungsgewichts (4,4 kg/PS) zunächst vermutet. 5,9 Sekunden, rund eine Sekunde mehr als vom Hersteller prophezeit, veranschlagte das Lotus Coupé bei den Messungen in Hockenheim für den Standardsprint auf 100 km/h. Der Versuch, die Antriebs- räder auf den ersten Metern durch zusätzliche Gaszufuhr zum leichten Wheelspin zu überreden, um so den Einbruch der Motordrehzahl zu verhindern, scheiterte schon beim zweiten Anlauf. Der Befund: Die Kupplung erscheint angesichts der hervorragenden Traktion zumindest für derartige Experimente zu schwach dimensioniert zu sein. Um nicht ein inneres Zerwürfnis zu riskieren, sollte auch auf das Ausloten der Vmax verzichtet werden. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 218 km/h ist auf der Autobahn nicht einmal gegen schnelle Mittelklasse-Diesel Staat zu machen, außerdem würde ein solches Vorhaben die Trommelfelle auf unnötige Weise belasten. Auf langen Etappen gehören Ohrenstopfen ohnehin zu den Accessoires, auf die nicht verzichtet werden sollte.
Der Grund für die eher mäßige Höchstgeschwindigkeit wird erst dann ersichtlich, wenn man – wie im Supertest üblich – nicht nur die motorischen Anlagen im Blickfeld hat. Wie die Messungen im Mercedes-Windkanal eindeutig beweisen, müht sich der Motor leidlich gegen den mäßigen cw-Wert der aus Verbundwerkstoffen hergestellten Karosserie. Die gegenüber der Elise um 70 Millimeter verbreiterte und durch Kühlluftöffnungen, Hutzen und angedeutete Öffnungen für die Bremsenkühlung zerklüftete Stirnfläche entpuppt sich hinsichtlich ihrer Windschlüpfrigkeit als wenig effektiv (siehe Kasten auf Seite 28). Auf der anderen Seite aber lieferte die Messung auch höchst interessante Erkenntnisse in Bezug auf die Abtriebswirkung ihrer aerodynamischen Komponenten. Mit einer Downforce von 200 Newton an der Vorderachse und 568 Newton an der Hinterachse fährt der Exige in dieser Disziplin mit Abstand die Pole Position ein und manövriert sich damit in die Profiliga echter Rennwagen. Der Fachmann weiß, was das in Zusammenhang mit einer ausgewogenen Gewichtsbalance bedeutet: Ein Einlenkverhalten, das spitzer kaum sein kann. Eine Zielgenauigkeit, die ihresgleichen sucht. Kurzum: Eine Straßenlage, wie sie sonst nur im Rennauto nachvollziehbar ist. Selbst vom begeisternden Basismodell Elise hat sich das Coupé damit fahrdynamisch deutlich abgesetzt.
Die Straßenlage des Exige ähnelt einem Rennwagen./strong>
Die Befürchtung, auf einen extrem schmalen Grenzbereich zu stoßen, so wie es bei Rennwagen mit Abtrieb oft zu beobachten ist, erweist sich als unbegründet. Das Limit ist erstens exakt definiert, und zweitens liefert der Lotus frühzeitig genug Hinweise darauf, dass seine Geduld am Ende ist. Untersteuern ist kein Thema; das Ende seiner Linientreue kündigt er mit sanft drängendem Heck an. Auch auf Lastwechsel reagiert der Lotus ausgesprochen friedfertig. Dieses schnelle Arrangement zwischen Fahrer und Fahrzeug resultiert auch aus der unerwartet soften Abstimmung des Fahrwerks. Das Auto rollt in genügendem Maß um die Längsachse, was es erfahrungsgemäß sehr erleichtert, sich dem Limit ohne Angst vor zickigem Verhalten zu nähern. Bei aller Direktheit seiner Reaktionen: Der Exige läuft weder steifbeinig über buckeligen Asphalt noch traumatisiert er die Insassen auf Querfugen durch ungehobelten Abrollkomfort seiner Räder. Angesichts dieser Summe außergewöhnlicher Eigenschaften gebührt den Fahrwerksexperten bei Lotus die Auszeichnung summa cum laude.
Die in den Rennstrecken-Piktogrammen verzeichneten Geschwindigkeiten (siehe Kästen Seite 27) machen deutlich, wo der Exige seine Fahrwerksstärken ausspielt – in Kurven nämlich – und wo er wegen seiner speziellen Aerodynamik ins Hintertreffen gerät. Die Abtriebswirkung der Karosserie sorgt einerseits für erheblich höhere Kurvengeschwindigkeiten, als der Honda S 2000 vorlegt hat. Andererseits wird das Tempo auf den Geraden durch die Kombination von mäßigem cw-Wert und signifikantem Abtrieb deutlich reduziert. So passiert der Lotus die lange Döttinger Höhe an der schnellsten Stelle mit gerade mal 204 km/h. Der Honda S 2000 bringt es hier auf 226 km/h. Die Genugtuung folgt jedoch sehr schnell, sobald dem Lotus Kurse mit geringen Anteilen an Geraden unter die Räder kommen. Dann bleibt der Konkurrenz die Spucke weg, und die Lotos-Besatzung lacht sich diebisch eins ins Fäustchen. So fährt der nur 179 PS starke Lotus Exige auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim in derselben Liga wie die profilierten Supersportler Porsche 911 Turbo, Porsche GT3 und Ferrari 360 Modena. Die atemberaubende Rundenzeit: 1.14,8 Minuten.
Der Lotus Exige schließt in Hockenheim zur Spitze auf
Dies gelingt ihm nur sehr bedingt wegen seiner Motorleistung: Das herausragende Handling, die perfekte Traktion und nicht zuletzt auch die Bremse, der es ziemlich egal ist, ob drei oder dreißig Runden Kleiner Kurs auf dem Programm stehen, sind die maßgeblichen Stellhebel, mit denen sich der Lotus so demonstrativ in den Focus rückt. Die Bremsanlage mit 282 Millimeter großen, gelochten Scheiben und einer Kombination aus AP- und Brembo-Sätteln (vorne/ hinten) muss übrigens ohne ABS auskommen. Dank eines gut zu ertastenden Druckpunkts ist die Gefahr, durch Überbremsen einen Bremsplatten zu produzieren, recht gering. Das geschieht allenfalls dann, wenn das kurveninnere, also entlastete Rad neben den anfallenden Querkräften auch die durch das Bremsen verursachten Längskräfte verkraften muss. Insofern könnten in den Bremszonen sicher noch ein paar Zehntelsekunden gefunden werden, wenn ein ABS die Regelung in der sensiblen Phase des In-die-Kurve-Hineinbremsens übernehmen würde. Und wenn wir schon bei den Wünschen sind, die zur weiteren Steigerung des Potenzials beitragen könnten: der Motor des Honda S 2000 im Lotus Exige. Eine solche Kombination – das wäre tatsächlich die Krönung.