Mitsubishi Carisma 1.6 GLX im Test
Japanische Mittelklasse-Automobile made in Europe gibt es nun auch aus dem Hause Mitsubishi. Vom holländischen Born aus soll der Carisma, dessen inneren Werte sich hinter einem unscheinbaren Äußeren verbergen, den europäischen Markt erobern.
Einer für viele soll der neue Carisma sein, doch zunächst einmal ist er einer wie viele. Das Auto, mit dem Mitsubishi die Lücke zwischen Colt und Galant schließen will, unterscheidet sich optisch vor allem durch den Schriftzug von anderen japanischen Schrägheck- Limousinen. Tatsächlich stammt der Entwurf aus dem Design-Zentrum in Okazaki und nicht aus dem Europa-Studio im hessischen Trebur, obwohl der Carisma nur in den Niederlanden und für den europäischen Markt gebaut wird. NedCar heißt das Gemeinschaftsunternehmen im holländischen Born, das zu gleichen Teilen Mitsubishi, Volvo und dem niederländischen Staat gehört. Wo früher DAF-Personenwagen und die kleinen Volvo- Modelle vom Band liefen, wurde in Rekordzeit ein hochmodernes Werk errichtet, das nurmehr 20 statt 27 Stunden zum Bau eines Autos braucht.
Auf gleicher technischer Basis entsteht hier demnächst auch die neue Volvo S4-Reihe, die sich mit Stufenheck und markanterem Design abhebt. Bei der anvisierten Kundschaft, die sich im kommenden Jahr aus 25 000 Überläufern von Ford Mondeo, Mazda 626 oder Renault Laguna rekrutieren soll, wird der unauffällige Stil des Mitsubishi vermutlich kaum anecken. Weiche Formen und Übergänge prägen die sanfte Keilform. Allein voluminöse Stoßfänger sowie große Blechflächen über den hinteren Radhäusern geben dem Heck einen massigen Look, den auch die nach BMW-Manier geteilten Rückleuchten kaum mildern können. So nichtssagend der erste Eindruck sein mag, so viel spricht bei näherer Bekanntschaft für den Carisma. Mit ähnlichen Maßen wie beim Opel Vectra zeigt die Karosserie eine gute Raumausnutzung und klassenübliche Platzverhältnisse. Auch großgewachsene Personen finden vorn genügend Platz und dank Sitz- und Lenkrad-Höhenverstellung eine passende Sitzposition.
Im Fond sind Bein- und Kopffreiheit dagegen wegen des kürzeren Radstands (2,55 Meter) und starken Dacheinzugs etwas knapp. Mit seinem Volumen von 430 Litern erreicht der Kofferraum nicht ganz das Format mancher Schrägheck-Konkurrenten (Ford Mondeo 470, Opel Vectra 480 Liter), bietet aber ebenfalls eine niedrige Ladekante sowie ein Höchstmaß an Variabilität mittels einzeln umklappbarer Rücksitze. Schalter und Hebel liegen – wie üblich bei japanischen Automobilen – gut zur Hand und unterstreichen den Eindruck von Funktionalität und Solidität, was für die zahlreichen Blindschalter auf der Mittelkonsole nicht unbedingt gilt. Dabei mangelt es dem Carisma keinesfalls an sinnvollen Ausstattungsdetails. Schon die Basisversion GL für 28 990 Mark verfügt serienmäßig über Zentralverriegelung, Colorglas, Fahrer-Airbag und Kopfstützen im Fond, wozu beim hier getesteten GLX-Modell noch ABS, ein zweiter Airbag sowie elektrisch betätigte Außenspiegel und Fensterheber vorn kommen.
Der Mehrpreis von 3010 Mark scheint insgesamt gut angelegt, zumal darüber hinaus nur ein elektrisches Glasschiebedach, eine Klimaanlage und ein Automatikgetriebe – neben dem Motor die einzige japanische Komponente – Löcher ins Budget reißen können. Völlig serienmäßig ist der gediegene Qualitätseindruck, den der Carisma bereits zum Start hinterlässt. Man hat es mit routiniertem Automobilbau zu tun, und trotz reichlicher Verwendung von Kunststoffen fehlt ihm der andernorts mitunter schwer zu übersehende Anflug von Ärmlichkeit.
Selbst auf schlechten Straßen bleibt die Karosserie frei von Knistern und Klappern, was in Verbindung mit dem günstigen cW-Wert (0,29) zum niedrigen Geräuschpegel beiträgt. Zweifellos ist daran auch der 1,6 Liter-Vierventilmotor beteiligt, der vorne quer unter der Haube sitzt und die Vorderräder antreibt. Im Colt und Lancer kommt der Vierzylinder mit 113 PS zum Einsatz, doch zugunsten höherer Laufkultur sowie eines harmonischen Drehmomentverlaufs im mittleren Bereich begnügt er sich im Carisma mit 90 PS, die schon bei 5500 statt 6000/min anstehen. Die Abkehr vom hohen Drehzahlniveau in braven Familienlimousinen erweist sich einmal mehr als sinnvoll, denn man kann den Kurzhuber nun wunderbar schaltfaul fahren.
Da es sich zudem beim neuen Mitsubishi um ein relativ leichtgewichtiges Auto (Leergewicht 1180 Kilogramm) in der Mittelklasse handelt, müssen in puncto Beschleunigung (null auf 100 km/h in 12,8 Sekunden) und Höchstgeschwindigkeit (180 km/h) keine Abstriche gegenüber den Konkurrenten gemacht werden. Erfreuliche Einbußen sind dagegen beim Verbrauch zu vermelden: Im Durchschnitt begnügt sich der Carisma mit 8,7 Liter Superbenzin auf 100 Kilometer – ein guter Wert, den man ohne große Anstrengungen noch unterbieten kann. Zum agilen Motor passen die präzise und leichtgängige Schaltung sowie das leichtfüßige Handling, das den alltäglichen Umgang mit dem Fronttriebler angenehm und unproblematisch gestaltet.
Die serienmäßige Servolenkung zeigt sich wenig stoßempfindlich und bietet – mit einer leichten Ungenauigkeit um die Mittellage – guten Fahrbahnkontakt. Auch die Bremsen sprechen sehr wirksam und feinfühlig an, lassen jedoch bei starker Beanspruchung deutlich nach (siehe Datenblatt). Ansonsten gibt das Fahrverhalten des Carisma nicht die geringste Tücke zu erkennen. McPherson-Federbeine vorne sowie eine Mehrlenker-Hinterachse bilden die konstruktiven Voraussetzungen für eine gelungene Fahrwerksabstimmung. In Kurven erweist er sich damit als harmloser Untersteurer, der die Annäherung an den Grenzbereich durch quietschende Reifen ankündigt. Selbst bei abruptem Bremsen oder Gaswegnehmen lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen, Lastwechselreaktionen sind ihm fremd. Hier wird also wirklich hohe europäische Schule geboten, und das gilt mit Einschränkungen auch für den Federungskomfort.
In Verbindung mit den straff gepolsterten, aber gut ausgeformten Vordersitzen absorbiert das Fahrwerk wirksam die unterschiedlichsten Straßenoberflächen, mit gutem Schluckvermögen auf langen Bodenwellen und einem befriedigenden Verhalten auf kurzen Unebenheiten. Der Abrollkomfort könnte noch geschmeidiger sein, doch insgesamt braucht sich der Carisma hier nicht verstecken. Und er braucht es, was Wunder, auch nicht im Preis. Mit 31 990 Mark hat er zwar keine Köder-Qualitäten mehr, liegt aber bei vergleichbarer Ausstattung noch immer unter den meisten europäischen Konkurrenten und sorgt zusammen mit dem niedrigen Verbrauch, der günstigen Kaskoeinstufung (TK 19, VK 17) und der Drei- Jahres-Garantie für eine insgesamt gute Wirtschaftlichkeit. Kein sensationelles Auto ist hier entstanden, sicher auch keines mit Charisma – wohl aber eines, das die etablierten wie die ganz jungen Konkurrenten ernst zu nehmen haben.