Opel Speedster im Supertest
Die Besatzung des Puristen-Sportlers Opel Speedster sitzt
gewissermaßen zwischen den Stühlen: Er ist kein richtiger Lotus und
auch kein echter Opel. Aber was ist er dann?
Die Behauptung, Faszination sei unteilbar, dürfte bei den Mandatsträgern der deutschen Automobilindustrie sicher auf wenig Gegenliebe stoßen. Dominiert doch das Thema Gleichteilestrategie nahezu jedes Konzeptpapier, das von den immer stärker unter Kostendruck geratenen Entwicklungsabteilungen zur Entlastung der Budgets formuliert wird. So wird mittlerweile oft genug ein und dieselbe Technik mit dem tarnenden Mantel des Marketings umhängt. Besondere Verkaufs- und Werbestrategien sind dann dazu auserkoren, bei unterschiedlichen Kundenkreisen Gehör zu finden. Was derzeit gang und gäbe ist und einem Großteil der Automobilindustrie sogar das Überleben sichert, dürfte langfristig gesehen hingegen eher negative Konsequenzen haben – zumindest auf dem Binnenmarkt. Denn mit den Technik- Transfers gehen zwangsläufig auch Image-Transfers einher. Was nicht nur die Austauschbarkeit der Produkte zusehends beschleunigt, sondern irgendwann sicher auch eine Preisangleichung zur Folge haben wird. Dass der Übertragungsmechanismus von einer Marke auf die andere nicht ganz so reibungslos wie erhofft vonstatten geht, zeigt sich sehr anschaulich am Beispiel des hier angetretenen Probanden. Der Technik-Transfer unterhalb des GM-Daches von Lotus in Richtung Opel verlief naheliegenderweise wie geschmiert. Kein Wunder, der sportlichste Opel für die Straße basiert zu 100 Prozent auf dem Lotus Elise, der in seiner zweiten Generation seit nunmehr vier Jahren die Szene dahingehend motiviert, mehr Leichtbau zu wagen.
Wo Opel drauf steht ist Lotus drin
Der Opel Speedster wird auch bei Lotus im englischen Hethel gebaut – allerdings nach genauen Vorgaben seitens Opel, die sich schwerpunktmäßig etwas von der Lotus-Philosophie unterscheiden. Ein breiterer Kundenkreis steht hier eindeutig im Fokus. Der bewusst ins Kalkül gezogene Image-Transfer von der kleinen, edlen und traditionell dem Rennsport verpflichteten Sportwagenschmiede auf den gerade erst wieder in Schwung gekommenen Großserienhersteller Opel darf jedoch aus derzeitiger Sicht als nicht ganz geglückt bezeichnet werden. Die angestammte Opel-Klientel fühlt sich von der puristischen Art des Speedster kaum angesprochen, und von nennenswerten Eroberungen im übrigen Sportwagensegment seitens Opel kann bisher auch nicht die Rede sein. Gerade 2.700 Exemplare wurden seit dem Verkaufsstart des Speedster im Frühjahr 2003 in Deutschland verkauft. Die verschworene Lotus-Fraktion reagierte auf das Opel-Engagement sogar mit verächtlichem Naserümpfen. Dabei hatte Opel es doch wirklich nur gut gemeint. Der Versuch ist gewiss ehrenhaft, ein puristisches Roadster-Konzept, wie es die Elise in ihrer grenzenlosen Leichtigkeit ist, einem größeren Interessentenkreis zugänglich zu machen – selbstverständlich mit gängigen Sicherheitsstandards wie Airbag und ABS. Dazu kommt nun auch ein Motor, der sich mit seinem üppigen Leistungsangebot keineswegs mehr schamhaft zu verstecken braucht.
Als Dreingabe: Immerhin ein solider Ruf und dazu eine Preisgestaltung, die etwas moderatere Zahlen ausweist als bei der GM-Tochter Lotus. So beträgt der Grundpreis des Speedster Turbo 36.500 Euro, was im Vergleich zum 120 PS starken Lotus-Einstiegsmodell 111S zum Preis von 38.901 Euro schon mal eine gute Offerte ist. Der neue,192 PS starke 111R (siehe Test ab Seite 20) steht gar mit atemberaubenden 41.900 Euro in der Preisliste. Mit dieser Reihe an Zugeständnissen dürfte der Erklärungsbedarf für den zukünftigen Speedster-Fahrer zwar deutlich geringer ausfallen, aber mit kühler Vernunft ist diesem puritanischen Konzept noch immer schwer beizukommen. Auch mit der erfrischenden Leistung von 200 Turbo- PS ist der Opel Speedster noch immer kein Auto, mit dem man Eindruck schinden kann – man sieht ihm seine Leistung einfach nicht an. Den alltäglichen Aufgaben entzieht er sich ohnehin mit der Nonchalance eines verwöhnten Haustiers. Das würde bei schlechtem Wetter auch nur mit sehr viel Überredungskunst eine Pfote vor die Tür setzen. Der Speedster erschließt sich also grundsätzlich nur den wahren Kennern der Materie. Solchen, die mit Masse generell auf Kriegsfuß stehen und die wissen, was 4,7 Kilogramm pro PS in der Praxis zu bedeuten haben – besonders dann, wenn sie auf einer Grundfläche von gerade mal 3.786 mal 1.708 Millimeter verteilt sind. Mit einem Gewicht von voll getankt nur 931 Kilogramm unterschreitet der minimalistische Sportler die gängigen Gewichtsklassen locker um bis zu 50 Prozent. Diese Performance macht sich sehr anschaulich in den Fahrleistungen und vor allem im Handling bemerkbar.
Nur 931 Kilogramm bringt der Sppedster auf die Wage
Der begeisternde Zweiliter-Turbo-Motor, der mitsamt des Fünfganggetriebes dem Opel-Regal entnommen ist und quer hinter den Sitzen implantiert wurde, massiert Rücken und Seele der Besatzung gleichermaßen. Sein direktes Ansprechverhalten, die Durchzugsstärke, die nur von einer kleinen Delle im mittleren Drehzahlbereich geschmälert wird, sein sparsamer Umgang mit Kraftstoff und nicht zuletzt der interessante akustische Background des Vierzylinders sind dazu angetan, stets den Smily-Blick zu rechtfertigen. Das Pfeifen des Turboladers beim Gaswegnehmen birgt ein Stück Dramatik und gibt dem Geschehen eine sehr akzentuierte, unterhaltsame Note. So untermalt, ist der Sprint auf Tempo 100 in nur 5,1 Sekunden geschafft. Bis 200 km/h dauert es lediglich 22,9 Sekunden. Darüber hinaus verlässt der Speedster Turbo allerdings den ihm angestammten Tempobereich, wenngleich sich Motorleistung und Fahrwiderstände erst bei gut 240 km/h die Waage halten. Die Geradeauslaufqualitäten sind jedenfalls nicht so gestaltet, dass man sich jenseits 200 km/h gern der Konkurrenz stellt. Der Hauptgrund für die brach liegenden Temporegionen liegt jedoch woanders: Es sind die orkanartigen Stürme, die am ungefütterten Zeltdach des Speedster rütteln und einen Lärm erzeugen, der allenfalls mit Ohrenstopfen zu ertragen ist. Erschwerend kommt die Dachkonstruktion hinzu, die intime Kenntnisse, wie sie auch beim Zeltaufbau verlangt werden, erfordert. Zwischen Scheibenrahmen und Stoffdach setzt überdies der Fahrtwind seinen kräftigen Hebel an und wölbt die Nahtstelle zentimeterweit auf.
Bei eingerollter Dachplane und himmelhoher Kopffreiheit ist die Lärmbelästigung keineswegs geringer. Allerdings liegt die Akzeptanzschwelle wegen der immensen Frischluftzufuhr im Cockpit dabei erheblich höher. Der Speedster sollte also vorzugsweise offen genossen werden. In jenem ursprünglichen Aggregatzustand, in dem das empfundene Tempo serienmäßig um mindestens das Doppelte höher liegt als die gemessene Geschwindigkeit. Vor diesem Hintergrund erreicht die Fahrdynamik des Speedster Turbo – von dem der Vorstandsvorsitzende der Adam Opel AG, Carl-Peter Forster, sagt, er verkörpere wie kein zweites Opel-Modell den Marken-Kernwert Dynamik – sozusagen serienmäßig einen geradezu atemberaubenden Level. Die objektiven Resultate des Supertest sind jedoch bei weitem nicht so imposant, wie sie angesichts des Konzepts – „Beschränkung auf das Wesentliche“ – zu erwarten gewesen wären. Die maximal gemessene Querbeschleunigung betrug laut Datarecording 1,2 g. Was insofern erstaunt, als der nur knapp 112 Zentimeter hohe Zweisitzer mit einer zumindest an der Vorderachse mickrigen Bereifung auftritt. Dieser Wert wurde aber nur einmal, und zwar in der Sachskurve, erreicht. Ansonsten liegen Werte von durchschnittlich 1,05 g an.
Mickrige Bereifung auf der Speedster-Vorderachse
So mühen sich vorn gerade mal 175 Millimeter breite Reifen, Marke Bridgestone, Typ Potenza RE 040, um die Übertragung der Längs- und Querkräfte. Auf der angetriebenen Hinterachse ist ein angemesseneres Format montiert – 225/45 R 17. Die offizielle Begründung seitens Opel für diese sonderbare Mischbereifung liest sich folgendermaßen: „Durch die schmalere Bereifung an der Vorderachse werden zu hohe Kurvengeschwindigkeiten tendenziell untersteuernd über die Vorderräder abgebaut.“ Der Wahrheitsgehalt dieses Statements bestätigt sich – so schade es ist – in der Praxis zu 100 Prozent. Der Speedster Turbo zeigt im Grenzbereich eine ausgeprägte Neigung zum Untersteuern, was der Ankündigung entsprechend zwangsläufig die Kurventempi reduziert. Die Philosophie, die hinter diesem Setup steckt, ist im Hinblick auf eine weniger versierte Klientel eindeutig von Sicherheitsgedanken geprägt. Auf diese Weise ist die scharfe Klinge namens Speedster aber auch stumpf gemacht worden. Zumal die charakterlichen Eigenschaften davon nicht unbedingt profitiert haben. Das Schieben über die schmalen Vorderräder, das nicht beim Einlenken, sondern erst im Scheitelpunkt der Kurven und unter Last beim Herausbeschleunigen auffällt, verwandelt sich nämlich bei starken Lastwechseln, etwa beim plötzlichen Gaswegnehmen, in ein ziemlich abrupt einsetzendes Übersteuern.
Immerhin lasten 62,5 Prozent des Gesamtgewichts auf der Hinterachse, was das Phänomen schon mal grundsätzlich verstärkt. Die im Alltag so segensreich direkte und leichtgängige Lenkung, die um die Mittellage eine ungeheure Agilität vermittelt, gerät in solchen Situationen sogar in die Schusslinie der Kritik. Ihre spitzen Reaktionen machen es bei solch wechselhaften Anwandlungen im Grenzbereich schwer, den richtigen Mittelweg zu finden. Die Folge ist ein sehr unruhiges Fahrverhalten am Limit, das sich aufgrund des Wechsels zwischen Unter- und Übersteuern in einer unsauberen Linienführung offenbart. Auch bei starken Bremsmanövern, die mit annehmbaren Verzögerungswerten von bis zu 10,9 m/s² einhergehen, ist der Opel Speedster Turbo nicht ganz linientreu. Die etwas groben Regelfrequenzen des ansonsten sehr willkommenen ABS führen in der harten Bremsphase zu leichten Schlangenlinien. Dass der puristische Mittelmotorsportler trotz seines freizügigen Umgangs mit den Naturgewalten recht annehmbaren Komfort offeriert, ist ihm im Alltag hoch anzurechnen.
Schlangenlinien bei hartem Bremsmanöver
Der Federungskomfort ist für seine leichtfüßigen Verhältnisse erstaunlich gut entwickelt. Er hat aber die Konsequenz recht starker dynamischer Radlastverschiebungen. Nicht nur beim Bremsen und Gasgeben gerät die Karosserie in Bewegung; auch in Kurven sind auffällige Schräglagen zu beobachten. Womit in diesem, dem Rennsport nahe verwandten Umfeld, sicher niemand gerechnet hätte. Die starke Beweglichkeit um die Hochachse, hervorgerufen durch den großzügigen Spielraum der Federelemente und/oder durch zu weiche Stabilisatoren, wirkt sich vermutlich noch verstärkend auf das schon beschriebene wechselhafte Fahrverhalten im Grenzbereich aus. Der Speedster Turbo kann aber auch anders: Mit Hardtop, Zentralverriegelung, CD-Player, Navigationssystem, Beifahrerfußstütze im Zweistufendesign und – dank „Tourer-Paket“ – mit Teppichboden im Fußraum lässt sich der Sportwagen-Purismus à la Opel (gegen Aufpreis versteht sich) auch im Luxusambiente erleben. Wenn das keine Alternative ist.