Porsche 911 Carrera S (997) im Supertest
Die Modellpflegemaßnahmen an Porsches traditionsbehaftetem Erfolgsmodell 911 beschränken sich von außen betrachtet auf geringe Modifikationen. Unterm Blech des Elfers der 997-Generation hat sich jedoch Elementares getan, wie der Porsche 911 Carrera S im Supertest mit der neue Boxer-Generation mit Direkteinspritzung zeigt.
In einer Zeit, in der das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine stark von äußeren Faktoren wie Benzinpreisen, Feinstaubdiskussionen und sozialer Akzeptanz beeinflusst und geprägt wird, ist die Gefahr groß, dass die inneren Werte des Objekts und mithin seine Legitimation in der öffentlichen Wahrnehmung immer mehr verblassen. Das gilt insbesondere für Fahrzeuge, deren Sinn und Zweck sich über den bloßen Transportauftrag hinaus nur dann erschließt, wenn man a) ihre Bestimmung kennt, b) ihre technischen Möglichkeiten zu nutzen weiß und/oder c) einen glaubhaften Botschafter kennt, der die technischen Errungenschaften in den richtigen Kontext stellt und sie nachvollziehbar darlegen kann. Dafür bedarf es freilich eines größeren Blickwinkels, längeren Atems und vor allem einer funktionierenden Logistik, um den fortwährend gesteigerten Qualitäten von Sportwagen, wie zuletzt denen des neuen Carrera S, dezidiert auf die Spur zu kommen. Schließlich geht es bei Fahrzeugen dieser Art um mehr als bloß um Optik, Haptik und Akustik – oder gar nur darum, die Frage nach dem Preis/Leistungsverhältnis schlüssig zu beantworten. Dafür braucht es keine Data-Recording-Systeme und auch keine Rennstrecken. Dafür braucht es neben fünf funktionierenden Sinnen lediglich eines klaren Kopfes.
Den Wert bestimmen die Sinne und der Kopf
Aber bleiben wir bei aller prognostizierten Tiefsinnigkeit zunächst doch bei dem, was man auf den ersten Blick tatsächlich fühlen, hören und sehen kann. Denn dafür, dass die optischen Retuschen am neuen Modell insgesamt doch sehr überschaubar geblieben sind, die Unterscheidungsmerkmale sich im Grunde genommen auf die größeren Lufteinlässe in der Front, das LED-Tagfahrlicht, die neu gestalteten Räder, die größeren Außenspiegel und nicht zuletzt die markanteren Heckleuchten beschränken, hat sich im Umfeld des neuen Modelljahrgangs doch einiges getan, von dem sich sagen lässt, dass es an Körper und Geist spürbar Wirkung zeigt. Das – wieder einmal – deutlich vergrößerte Loch im Geldbeutel gehört selbstredend ebenso dazu wie der auffällig zivilisierte Umgang, den die aktuellste Version des traditionsbeladenen Elfers in geradezu strebsamem Eifer an den Tag legt. Nichts an ihm ist laut oder erscheint vulgär. Mit verhaltener Akustik gibt er sich betont umgänglich und gekonnt gelassen. Er stellt dabei eine von Generosität und Seriosität geprägte Seite zur Disposition, die mit dem Image eines ursprünglich schwerpunktmäßig auf Längs- und Querdynamik gepolten Sportwagens bisher nur schwer vereinbar schien.
Normverbrauch knapp über zehn Liter
Mit Normverbräuchen von knapp über zehn Liter auf 100 Kilometer sowie Anfahr-Assistenten wurden bis vor nicht allzu langer Zeit höchstens stark vernunftorientierte Mittelklasse-Autos in Verbindung gebracht – nicht aber 385 PS starke und 300 km/h schnelle Sportcoupés, die überdies mit altbewährten Tricks in Form von Overdrive-Übersetzungen ganz plakativ zu Höherem in Sachen Effizienz berufen worden sind. Stark charakterbildend auf den neuen Carrera wirkt sich das neue, alternativ zum bewährten manuellen Sechsganggetriebe angebotene Porsche Doppelkupplungsgetriebe (PDK) aus. Es tritt, betrachtet man die Art und Weise seiner Bedienung, die logische Nachfolge der bisherigen Porsche-Automatik namens Tiptronic an.
Mit dem etwas kirmeshaft gestalteten Wählhebel auf dem Mitteltunnel und den auf den waagerechten Lenkradspeichen links und rechts spiegelbildlich angeordneten Schalttasten geht Porsche in Sachen Handhabung einen in diesem Genre sehr unkonventionellen Weg. Einen, der aus der Sicht des Sportfahrers eher destruktiv als praktikabel erscheint. Mag sein, dass diese Form der manuellen Bedienung dem amerikanischen way of drive zupass kommt – das Hochschalten per Wählhebel nach vorne und nicht, wie üblich, nach hinten sowie der Mechanismus des Schalttasten-Paars, sind ein stark gewöhnungsbedürftiges Fingerspiel. Es führt selbst bei konzentrierter Fahrweise immer mal wieder zu Fehlbedienungen.
Gewöhnungsbedürftige Schalttasten
Das ist zwar grundsätzlich nicht schädlich, weil die Technik nur die Befehle annimmt, die ihr auch genehm sind. Doch die möglichen Irritationen gehen einem ziemlich gegen den Strich, sodass selbst leidenschaftliche Handwerker über kurz oder lang dazu tendieren, die Automatikfunktion als Ausweg aus dem Dilemma zu suchen. So lange keine logische Alternative in Form eines Schalthebels vorhanden ist, der mit dem Drücken nach vorn ein Herunterschalten verbindet und/oder kein manueller Modus am Lenkrad angeboten wird, bei dem in klassischer Weise ein rechtes Schaltpaddel das Hochschalten initiiert und ein linkes das Herunterschalten, muss also die automatisierte Ebene des PDK-Getriebes (möglichst in Verbindung mit dem ebenfalls aufpreispflichtigen Sport Chrono Plus-Pakets) für ein angemessen unterhaltsames Fahrprogramm sorgen. Das tut es auch. Denn neben der Darbietung eines äußerst gepflegten Schaltkomforts arbeitet das mit sieben Gängen operierende Doppelkupplungsgetriebe einem Schaltprogramm folgend, das – je nach gewählter Einstellung – ziemlich genau das umsetzt, was einem in den unterschiedlichen Fahrsituationen selbst als sinnvoll und praktikabel erscheint. Ein besseres Zeugnis lässt sich einer Automatik nicht ausstellen.
Normal-Programm für Spritsparer
Im Normal-Modus geht das Ganze sehr geschliffen und in einer für Porsche-Verhältnisse geradezu antiseptischen, unspektakulären Weise vonstatten: sehr frühes Hochschalten ohne Schaltrucke, generell niedriges Drehzahlniveau und zügige Einbeziehung der extrem lang übersetzten siebten Gangstufe. Die als klassischer Overdrive angehängte Übersetzung schränkt den Motor in seiner zuvor gelebten Durchszugskraft naturgemäß extrem ein, hilft aber, den Spritverbrauch zu minimieren. In diesem Sparmodus lassen sich bei extrem zurückhaltender Fahrweise sicher Durchschnittsverbräuche von zehn Liter Super Plus auf 100 Kilometer realisieren.
Erst das unter "Sport" abgelegte Schaltprogramm wendet sich von diesem ungewohnten Sparkurs ab, schafft es aber ohne weitere Umwege, die erwartungsvolle Besatzung wieder standesgemäß in Wallung zu bringen. Dann ist auch der heisere, energisch vorgebrachte Porsche-Sound wieder da, ebenso das bekannt-gierige Ansprechverhalten des im Rücken der Passagiere wirkenden Boxers. Auf Tastendruck geht ein Ruck durchs System, der bei den automatisierten Gangwechseln nun auch deutlich spürbar wird. Mit den spontaner öffnenden Drosselklappen steigt – wie gehabt – die Begeisterung auf ein Level in der Nähe des möglichen Maximums.
Begeisterung auf Tastendruck
Die Kennlinien des sportlich ausgelegten Schaltprogramms sind sogar auf Rundkursen weitestgehend deckungsgleich mit denen, die man selbst im Kopf entwickelt hat. An diesem Umstand lässt sich erkennen, wie weit die Entwicklung auf der Antriebsseite schon gediehen ist – zumal in diesem perfektionierten Getriebe-Management selbst das Thema Lastwechselreaktionen seine Brisanz völlig verloren hat. Der ebenso wie das PDK-Getriebe von Grund auf neu konstruierte, nun auch mit Direkteinspritzung ausgerüstete 3,8-Liter-Boxermotor erfüllt, was seine subjektive Begeisterungsfähigkeit betrifft, selbstredend den Status Quo, obwohl der akustische Background nicht mehr ganz derselbe ist wie bei dem mit Saugrohreinspritzung arbeitenden direkten Vorgänger. Das vormals Kernige geht dem neuen Triebwerk im unteren Drehzahlbereich etwas ab. In der Mitte drängt der typische Boxer-Sound wieder stärker in den Vordergrund, um dann in der Nähe des nun erst bei 7.500/min beginnenden roten Drehzahlbereichs mit ungewohnt harten, für Direkteinspritzer aber typischen Verbrennungsgeräuschen vorstellig zu werden. Das klingt anfangs etwas untypisch – hat aber was.
In seinem metaphysischen Einfluss auf den Fahrer unterscheidet sich der neue Boxer damit keineswegs von seinen Vorgänger., die es seit jeher schafften, in ihrer überzeugenden Art jeden für sich einzunehmen. Das Seidige in der Arbeitsweise des hoch verdichteten Saugmotors, das sensible Ansprechverhalten und die extrem ausgeprägte Drehfreude, die sich wie selbstverständlich schon ab Leerlaufdrehzahl ankündigt, beweisen eine Kernkompetenz, die auch ohne Zuhilfenahme der objektiven Messdaten offenkundig wird. Objektiv betrachtet ist wie erwartet wieder einmal alles besser geworden, obwohl es naturgemäß schwer fällt, die zum Teil signifikanten Temperamentssprünge körperlich zu reflektieren.
Dank eines Leistungsschubs von 30 PS gegenüber seinem Vorgänger nimmt der neue, nunmehr 385 PS starke Carrera S die 100 km/h-Hürde im Sprint binnen 4,4 Sekunden. Der Vorgänger veranschlagte dafür noch 4,8 Sekunden. Bis 200 km/h wächst das Delta immerhin auf 1,1 Sekunden – 14,9 Sekunden gegenüber bisher 16,0.
30 PS mehr als der Vorgänger./strong>
Die starke Allianz mit dem ohne jegliche Zugkraftunterbrechung arbeitenden Doppelkupplungsgetriebe kommt der aktuellen S-Variante zusätzlich zugute, zumal die im Sport Chrono Plus-Paket beinhaltete Launch Control bei der Sprintprüfung segensreiche und sehr unterhaltsame Dienste vollbringt. Die souveräne Art und Weise, in der das vollgetankt 1.450 Kilogramm schwere und mit zwei Personen besetzte 2+2-sitzige Coupé aus dem Stand unvermittelt losstürmt, ist ein Kunststück von höchster technischer Eleganz. Gasgeben und genießen lautet die Devise aber nicht nur in der Geradeausbewegung. Sie steht gewissermaßen für all das, was unter der Überschrift Fahrdynamik aufgeführt ist. Denn was der von den technischen Prinzipien her völlig identisch gebliebene Hecktriebler neuerdings in Sachen Querdynamik anstellt, ist Anlass für offene Münder – und zwar weitgehend unabhängig davon, ob das Erkunden des Grenzbereichs mit UHP-Sportreifen oder mit konventionellen Straßenreifen vorgenommen wird.
Das Grenzbereich-Verhalten des Elfers hat in der aktuellen Ausführung eine Qualität erreicht, die nicht nur bezüglich der Fahrsicherheit neue Maßstäbe setzt, sondern das Tor auch hinsichtlich der fahrdynamischen Möglichkeiten extrem weit aufmacht. Überdies ist es dem im Carrera S serienmäßig implantierten PASM-Fahrwerk erstmals ernst mit der Unterscheidung zwischen der normalen Dämpferkennlinie und der Einstellung "Sport", die bisher weniger durch eine verbesserte Fahrdynamik als vielmehr allein durch Härte aufzufallen wusste. Nun ist, wo Sport drauf steht, für sportlichere Leistungen auch wirklich gesorgt.