Renault Espace 2.0 RXE im Test
Nach 12-jähriger Bauzeit ersetzt Renault den Vorreiter der europäischen Van-Welle durch einen zumindest stilistisch ebenso avantgardistischen Nachfolger. Der neue Espace ist geräumiger, variabler, komfortabler, aber auch extravaganter als je zuvor.
Als Renault 1984 mit dem ersten Espace das Zeitalter automobiler Raumfahrt in Europa einleitete, war neben dem Chrysler Voyager aus der Heimat der Minivans noch viel Platz in einem Segment, das zwölf Jahre und 500.000 Espace-Einheiten später aus den Nähten zu platzen scheint. Denn heute tummeln sich in dieser Nische mehr als ein Dutzend Anbieter, wobei sich die Kräfteverhältnisse stark verschoben haben. Ford und VW machen mit Galaxy und Sharan 55 % des deutschen Minivan-Geschäfts – die ehemaligen Marktführer Voyager und Espace sind dagegen auf zehn und sechs Prozent zurückgefallen.
Obwohl das Minivan-Segment laut einer Mercedes- Prognose – Anstieg der Zulassungen in Europa von 225.000 (1995) auf 450.000 im Jahr 2000 – noch genügend Potential zu bieten scheint, ist diese Klasse die am härtesten umkämpfte. Kaum ein Monat vergeht ohne Preissenkung. Nachdem sich erst Ford, VW und Seat nahezu wöchentlich mit verbesserten Konditionen für Galaxy, Sharan und Alhambra unterboten, reduzierte zuletzt Peugeot den Preis für den 806 um nahezu 1250 Euro. „Die fürchten schon den neuen Espace, der am 17. Januar zu den Händlern rollt“, meint Reinhard Zirpel, Vorstand bei der Deutschen Renault in Brühl bei Köln. Doch ein Blick in die Preisliste beweist, daß auch Renault bei der Kalkulation die Konkurrenz messerscharf im Auge hatte. Denn mit 23.400 Euro für die mit Doppelairbag, Klimaanlage und Cassettenradio gut ausgestattete RXE-Version mit 114 PS liegt der serienmäßig fünfsitzige Espace noch 25 Euro unter einem vergleichbar motorisierten VW Sharan GL (ohne Klimaanlage), 450 Euro unter dem allerdings siebensitzigen und 150 PS starken Chrysler Voyager und keine Mark über dem Vormodell mit 107 PS.
Der preisreduzierte Peugeot 806 ist jetzt inklusive Klimaanlage 200 Euro billiger. Wegen ein paar Mark mehr oder weniger werden Espace- Fans aber nicht untreu. „Unseren Erfahrungen nach“, sagt Renault-Vorstand Zirpel „haben von den 70.000 Espace-Besitzern in Deutschland bislang nur wenige die Marke gewechselt, sondern auf das neue Modell gewartet.“ Gefahr scheint eher aus den eigenen Reihen zu drohen. Denn während vom neuen Espace 10.000 Stück pro Jahr abgesetzt werden sollen, rechnet man für den kleineren Van Mégane Scénic mit 20.000 Exemplaren. Vielleicht liegt die vorsichtige Einschätzung auch am avantgardistischen Design. Die Silhouette mit der windschnittigen Nase erinnert an den französischen Hochgeschwindigkeitszug TGV, die aerodynamisch geformten Außenspiegel ähneln Haifischflossen.
Im Cockpit kommt das von anderen Herstellern eingemottete Mäusekino in Form eines zentral in die Armaturentafel integrierten Digitaldisplays für Geschwindigkeit, Tankinhalt, Uhrzeit, Kühlmittel- und Außentemperatur zur Wiederaufführung. Der Clou ist eine auf Wunsch lieferbare Fernbedienung für das Audio-System, mit der auch die Passagiere in der letzten Reihe beim Musikprogramm mitmischen können. Das mittig angeordnete Kombi-Instrument kann von allen Passagieren gut abgelesen werden, nur vom wichtigsten nicht: dem Fahrer. Denn um den Tacho zu beobachten, müssen die Augen von der Straße abschweifen. Der Drehzahlmesser hingegen liegt direkt im Blickfeld, aber sein Skalenband ist zu schmal, und es fehlt die Kennzeichnung des roten Bereichs. Ein weiterer Nachteil kristallisiert sich im Winter heraus: Da die Waschwasser- Zuführung für die Frontscheibe an den Wischerarmen verläuft, friert die Reinigungsflüssigkeit trotz Frostschutz rasch ein. Das alles erinnert ein wenig an Jacques Tatis Moderne- Welt-Satire „Mon oncle“ , aber wenn man sich erst einmal an die Bedienung gewöhnt hat, lernt man die besseren Seiten des Espace schätzen. Beispielsweise die getrennt für Fahrer und Beifahrer einstellbare Heizung, die vielen Staufächer mit über 100 Liter Volumen (davon allein 33 in dem Megabox genannten Handschuhfach), die bequemen Sitze und die gute Rundumsicht. Übersichtlich ist die Karosserie trotzdem nicht, weil sich hinter der Frontscheibe eine weite, nutzlose Plastikebene erstreckt, die es trotz erhabener Sitzposition schwierig macht, den Bug einzusehen.
Vor allem im Stadtverkehr schmälert das die Handlichkeit, die zudem durch eine indirekt ausgelegte Servolenkung und die spürbar ausgeprägte Kopflastigkeit des Fronttrieblers (Gewichtsverteilung 60,5:39,5 %) beeinträchtigt wird. Lobenswert hingegen der für Minivan-Verhältnisse kleine Wendekreis von 10,6 Metern. Renault hat bei der Neuauflage des Espace an konventionellen Klapptüren festgehalten. Das behindert zwar das Einund Aussteigen in engen Parklücken, verleiht aber einen limousinenhafteren Charakter als zweckmäßigere Schiebetüren. Karosserie und Interieur wirken gut verarbeitet, auch auf schlechten Straßen kommen keine Klappergeräusche auf. Der Clou am neuen Espace ist seine Variabilität, allerdings nur, wenn man für 900 Euro die Varioschienen mitbestellt. Mit ihnen sind die Fixierungspunkte der hinteren Sitze nicht mehr starr vorgegeben, sondern unendlich variierbar. Mit Hilfe eines mitgelieferten Kunststoffschlüssels können die drei serienmäßigen Fondsitze plus zwei weitere (450 Euro pro Stück) je nach Bedarf über den gesamten Heckbereich verteilt werden. Sie lassen sich auch in einer Reihe hintereinanderklappen oder zugunsten maximaler Ladekapazität leicht herausnehmen – Variabilität, die so kein anderer Konkurrent bietet. Obwohl die Karosserielänge nur um neun Zentimeter zunahm und mit 4,52 Meter noch zehn Zentimeter weniger als beim VW Sharan mißt, steht den Passagieren jetzt viel mehr Bewegungsfreiheit zur Verfügung. Schade nur, daß die Sitze in der zweiten und dritten Reihe gemäß einer weit verbreiteten Minivan-Unart zu tief angeordnet sind, weshalb Erwachsene mit stark angewinkelten Beinen Platz nehmen müssen, was auf Langstrecken ermüdend ist. Das von dieser Unbequemlichkeit nicht tangierte verbesserte Raumangebot geht auf das Konto des um mehr als zwölf Zentimeter verlängerten Radstands und der Tatsache, daß der Motor nun platzsparend quer statt längs über der Vorderachse eingebaut ist.
Das Vierzylinder-Basistriebwerk – daneben gibt es noch einen 2,2 Liter-Turbodiesel mit 113 PS sowie einen Dreiliter- V6 mit 167 PS und Automatik – liefert zwar angesichts von 1.549 kg Fahrzeuggewicht, nur zwei Liter Hubraum und bescheidenen 114 PS muntere Beschleunigung (0 auf 100 km/h in 13,1 Sekunden) und eine ausreichende Höchstgeschwindigkeit (175 km/h), entpuppt sich aber dennoch als Schwachpunkt. Denn sobald es bergauf geht, macht der durch- zugsschwache Motor (maximales Drehmoment 168 Nm bei 3.500 U/min) schlapp. Zurückschalten bringt auch nicht viel, weil die Übersetzung des ausreichend exakten und leichtgängigen Getriebes durchweg etwas zu lang erscheint und der Motor durch das Hochdrehen noch brummiger wird, als er bei moderaten 3.000 Touren ohnehin schon ist.
Sparsamkeit ist bei solch einer Leistungscharakteristik nicht drin. Mit einem Testverbrauch von 11,9 Liter/100 km bewegt sich der Espace auf vanüblich hohem Niveau, wobei es selbst bei verhaltener Fahrweise schwerfällt, unter zehn Liter zu kommen. Wegweisend ist allerdings das Fahrwerk, dessen Vorderachsgeometrie von Laguna und Safrane übernommen, aber ebenso wie die bislang schon verwendete Hinterachse im Detail modifiziert wurde. Denn der Espace gleitet einem fliegenden Teppich gleich über Unebenheiten hinweg, bietet einen geschmeidigen Abrollkomfort und behält diese guten Manieren auch unter voller Zuladung (701 kg) bei.
Bemerkenswert auch die leer wie beladen sicheren Fahreigenschaften mit stabilem Geradeauslauf, gutmütigem Untersteuern in Kurven, guter Traktion und an Minivan-Maßstäben gemessen exzellenten Bremsen, die selbst unter höchster Beanspruchung nur wenig nachlassen. Trotz einiger Schwächen erweist sich also auch die Neuauflage des Espace in vielen Disziplinen als richtungsweisend – der Stoff, aus dem die Räume sind, scheint Renault nach zwölfjähriger Pause jedenfalls nicht ausgegangen zu sein.