Snow-Business Porsche 911 Carrera 4
An Traktion hat es noch keinem Heckmotor-Porsche gefehlt. Der Vierradantrieb des neuen Carrera 4 dient deshalb vor allem der Optimierung der Fahrdynamik.
Für Puristen, die in der Kunst des Weglassens das Heil der sportlichen Fortbewegung suchen, ist er nichts, dieser Porsche Carrera. Denn er bildet in der Form, in der er zum Test antritt, die absolute Spitze des Porsche-Programms, was in einem überaus stolzen Preis von 171 770 Mark resultiert. Dafür bietet er aber auch fast alles, womit Porsche dem begüterten Menschen den Mund wäßrig machen kann: Cabrio-Karosserie mit serienmäßigem Hardtop für den Winter, automatisches Tiptronic- Getriebe mit jetzt fünf Fahrstufen und als Krönung schließlich noch den neuen Allradantrieb, der durch die elektronische Fahrdynamikregelung PSM (Porsche Stability Management) ergänzt wird.
Porsche pflegt, das muß man in diesem Zusammenhang wissen, eine ganz spezielle Allradphilosophie. Vier angetriebene Räder sind bei den Sportwagen aus Zuffenhausen nicht in erster Linie dazu da, die Porsche- Besatzung über verschneite Steigungen zu hochgelegenen Skigebieten zu bringen. Sie dienen vielmehr dem möglichst problemlosen Aufenthalt im Grenzbereich der Bodenhaftung, der selbstbewußten Porsche-Freaks als besonderer Leckerbissen der motorisierten Fortbewegung gilt. Der längst zu den Porsche- Legenden zählende ehemalige Entwicklungschef Helmuth Bott, unter dessen Regie der erste Allrad-Elfer entstand, war berüchtigt für seine Schocktherapien zur Demonstration der Allradvorzüge. Auch dem Autor hat er einmal bewiesen, daß eine kitzlige Autobahnkurve im Carrera 4 der Baureihe 964 mit 250 km/h zu meistern war.
Allerdings: Die Tücken der Hecklastigkeit, die der Allradantrieb damals wirkungsvoll kurierte, sind spätestens seit dem Erscheinen des neuen Elfer (Baureihe 996) Vergangenheit. Noch nie fuhr sich ein Porsche Carrera so problemlos wie das aktuelle Modell – auch wenn die geballte Kraft des Motors ausschließlich über die Hinterräder herfällt. Warum also 11 000 Mark zusätzlich anlegen, damit im Extremfall bis zu 40 Prozent der Antriebskraft via Visco-Kupplung an die Vorderachse gelangen? Ein Traktionswunder im Tiefschnee ist der neue Allrad- Carrera ebensowenig wie sein Vorgänger. Er kommt gut voran, schon weil die in erster Linie tätige Hinterachse so stark belastet ist. Aber er wühlt sich bei weitem nicht so souverän durch, wie das konsequent auf Traktion ausgelegte Allradler können.
Auf einem Untergrund mit geringem Reibwert entsteht zunächst viel Schlupf an den Hinterrädern, erst dann wird eine dezente Nachhilfe durch den Vorderradantrieb spürbar. Der Allradantrieb allein, ohne die Unterstützung durch PSM, hat den grundsätzlichen Charakter des Carrera nicht verändert. Leistungsübersteuern bleibt möglich, aber es zeigt sich in milderer, besser kontrollierbarer Form als beim heckgetriebenen Modell. Die nochmalige Verbesserung der aktiven Fahrsicherheit wird auch auf nasser Straße spürbar.
Auf trockener, griffiger Piste muß der Fahrer dagegen schon mit an schierer Unvernunft grenzendem Optimismus aufs Gaspedal steigen, um festzustellen, daß der Carrera 4 noch neutraler und mit noch besserem Grip aus engen Kurven herausschießt als sein heckgetriebenes Pendant. Da schwänzelt kein Heck, da erübrigt sich jeder Gedanke an Gegenlenkaktionen. Der Vierer liegt wie das sprichwörtliche Brett, auch noch bei einer Querbeschleunigung, die dem Beifahrer die Nackenhaare aufstellt. Der Carrera 4 hätte auch dann gute Chancen auf den Titel des fahrsichersten Sportwagens der Welt, wenn er nicht auch noch serienmäßig mit der elektronischen Fahrdynamikregelung PSM ausgerüstet wäre, die sich anderswo als ESP einen Namen gemacht und als wirkungsvolle Medizin gegen Unpäßlichkeiten beim Elchtest erwiesen hat. PSM macht aus einem gut liegenden Auto ein nahezu narrensicheres, der positive Einfluß auf die Fahrsicherheit ist höher einzuschätzen als der des Allradantriebs.
Es soll später auch für die anderen Carrera- Versionen angeboten werden. Schieben über die Vorderachse, wie es vorkommen kann, wenn der Porsche mit wenig Antriebskraft in eine Kurve gelenkt wird, pariert PSM durch einen kurzen und kräftigen Bremseneingriff am kurveninneren Hinterrad. Wenn das Heck unter hohem Leistungseinsatz ausschwenken will, nimmt nicht nur die im System integrierte Antriebsschlupfregelung dieser Reaktion die Spitze. Wird der Schwimmwinkel (Abweichung der Längsachse von der Fahrtrichtung) zu groß, bringt Bremsen des kurvenäußeren Vorderrads den Carrera in Sekundenbruchteilen wieder auf den richtigen Kurs.
Das funktioniert perfekt, aber es schränkt auch, vor allem wegen des Eingriffs in das Motormanagement, die sportliche Fahrdynamik stärker ein, als es versierte Porsche-Fahrer schätzen. Die können PSM mit einem Schalter am Armaturenbrett deaktivieren. Dann fährt sich der Carrera 4 so heckantriebsbetont wie eingangs beschrieben, aber er hält das sichernde Netz der Fahrdynamikregelung trotzdem bereit.
Wenn der entsprechende Sensor einen großen Schwimmwinkel signalisiert und der Fahrer in dieser Situation erschreckt die Bremse antippt, tritt die Querdynamikregelung mit entsprechendem Bremseneingriff sofort wieder in Aktion und verhütet das Schlimmste. Die Sportlichkeit des Carrera leidet unter der Kontrolle durch die Elektronik weniger als unter dem automatischen Getriebe. Die Beschleunigung ist spürbar schlechter als beim manuell geschalteten Modell, der Verbrauch höher (siehe Konkurrenztabelle im Datenblatt). Außerdem stört es bei schneller Fahrweise, daß der gewünschte niedrigere Gang beim Anbremsen einer Kurve erst mit einer leichten Verzögerung eingelegt wird. Gegenüber der alten Tiptronic mit vier Vorwärtsgängen bedeutet die neue Fünfgangausführung einen Fortschritt. Weil die Gänge damit enger gestuft werden konnten, sind die Anschlüsse nach dem Hochschalten besser, und es fällt auf kurvigen Strecken leichter, immer die passende Übersetzung bereitzuhalten. Geschaltet wird grundsätzlich mit den beiden Tasten im Lenkrad.
Die Möglichkeit, auch durch Antippen des Wählhebels die Gänge zu wechseln, gibt es beim neuen Carrera nicht mehr, was eingefleischte Handschalter sicher nicht begrüssen werden. Neben dem manuellen Modus hat der Fahrer auch die Möglichkeit, das Getriebe sich selbst zu überlassen (Stellung D). Im städtischen Stop-andgo- Verkehr erweist sich das als komfortable Alternative. Aber auch bei freier Fahrt zeigt sich, daß man es hier mit einer gut abgestimmten Automatik zu tun hat, die sich durch schnelle und ruckarme Schaltvorgänge auszeichnet.
Die elektronische Steuerung kann durch mehr oder weniger schnelles Gasgeben soweit beeinflußt werden, daß die Automatik auch in einem engen Kurvengeschlängel mit hoher Treffsicherheit jenen Gang wählt, in dem die Motorleistung am kraftvollsten einsetzt. Der ursprüngliche Elfer- Charakter bleibt trotz dieser unbestreitbaren Vorzüge der Tiptronic nur beim handgeschalteten Modell unverfälscht. Wer beim Carrera-Kauf über die beste Zusatzinvestition grübelt, bekommt also eine klare Antwort: lieber Allradantrieb als Tiptronic.