Zur Sache Kätzchen

Jaguar XK8-Cabriolet
Schöner ging selten ein Dauertest zu Ende. Das Jaguar
XK8-Cabriolet mit Vierliter-V8- Motor überzeugte 100 000 Kilometer
lang nicht nur durch seine Form, sondern auch durch seine Alltags-
und Reisequalitäten.
Wäre der
Jaguar
XK8 jene Katze, die er als Wappentier führt, so hätte er nach
100 000 Kilometern den Zustand eines alten Katers erreicht. Da dies
nur ein Jahr und zehn Monate dauerte, ist dem Kätzchen damit eher
eine Reifeprüfung gelungen.
Das antiguablaue Jaguar XK8-Cabriolet wurde auf der Strecke
Stuttgart–Passau–Wien stilvoll eingefahren und erfuhr eine
Schlussetappe, die einer Tour-de-France-Etappe nicht unwürdig wäre,
nämlich ab Contrexville über Lançon, La Croix Valmer und Les
Ceignes zurück nach Waiblingen. Dazwischen lagen exakt 101 071
Kilometer für den Jaguar, aber bloß kurze 22 Monate für die Tester
von auto motor und sport. Verantwortlich für diesen
Zeitraffer-Effekt war, dass sich der XK8 bei Langstreckenfahrten
als erste Wahl empfahl. Er beschleunigte nicht nur in 7,5 Sekunden
von null auf 100 km/h, sondern ebenso beeindruckend vom früheren
Jaguar-Standard auf das Qualitätsniveau der
Luxusklasse
.
Wurde der 4,76 Meter lange
2+2-Sitzer
im Einzeltest (Heft 21/96) sowie dem Doppeltest mit dem
Mercedes
SL 500 (Heft 24/96) mit mehr Lorbeer bedacht als der britische
Feldherr Wellington, so musste er im Dauertest über 100 000
Kilometer Qualitäten beweisen, die früher keine Paradedisziplinen
waren.
Zwar stehen insgesamt fünf außerplanmäßige Werkstatt-Termine auf
der Liste der Störungen, doch weder eine defekte elektrische
Sitzverstellung des Fahrersitzes noch Radlagergeräusche vorne, eine
ver klemmte Motorhaubenverriegelung, Fehlfunktion der
Fensterautomatik beim Türöffnen noch letztlich bei Kilometerstand
96 914 vier erneuerte Stoßdämpfer führten zu einer Panne während
der Fahrt. Mängel dieser Art sind typisch – nicht weil Jaguar
britischer Abstammung ist und die Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Nein, diese lästigen Kleinigkeiten sind nach den
Dauertesterfahrungen von auto motor und sport typisch für mit
komplizierter Technik überfrachtete Luxusautos.
Der Nachfolger der barocken
XJS-Modelle
bereicherte ab dem 12. Dezember 1997 den Dauertestfuhrpark und
kostete damals 138 940 Mark. Erste Amtshandlungen waren der Wechsel
auf Winterreifen und eine rote Eintragung in die Bordkarte: „Sehr
poltriges, stößiges Fahrwerk.“ Die Malaise im Fahrkomfort konnte
aber nicht den Pirelli-Winter- 210-Asimmetrico-Reifen in die
Karkasse geschoben werden, sondern einem Extra.
Die 18-Zoll-Räder mit Leichtmetallfelgen im „7-Spoke“-
Design kosteten damals nicht nur 1510 Mark Aufpreis, sondern
verliehen dem Jaguar auch den Abrollkomfort eines Maulesels
anstelle einer Katze. Die Umrüstung auf 17-zöllige Samtpfoten im „
5-Spoke“-Design und neue Sommerreifen erfolgte bei Kilometerstand
21 575 am 15. April 1998. Ein nächster Satz Pirelli P Zero
Asimmetrico musste dann erst wieder bei 71 288 km aufgezogen werden
und hielt bis zum Ende des Dauertests.
Noch auf den 18-Zoll-Winterreifen und knapp nach dem
Jahreswechsel 97/98 demonstrierte der Jaguar, dass er kein
Schneegepard ist und die stets sommerlichen Gefilde
Floridas
und
Kaliforniens
den verschneiten österreichischen Alpen als Jagdrevier vorzieht.
Dort offenbarte er eklatante Traktionsschwächen beim Bergauffahren
auf verschneiter Fahrbahn – aber auch eine heikle Rutschtendenz
über die Vorderachse beim Bergabfahren, weil sich die fünfstufige
Getriebeautomatik nicht im ersten Gang sperren lässt und praktisch
ab Leerlaufdrehzahl in die zweite Fahrstufe wechselt.
Während Walter Röhrl bei der Oldtimer-Rallye
Planai
Classic mit einem
MG TA
und Hanfstricken auf den Antriebsrädern zum Schnee- und Bergkönig
avancierte, musste der Jaguar XK8 am Berg geborgen werden: mit rund
1200 Mark teuren Schneeketten der Dimension 245/45 R 18, die im
steirischen Ennstal ansonsten auf Leicht- Lastwagen aufgezogen
werden. Auch bei Regen leistet sich das Nobel- Cabrio nicht die
besten Manieren. Werden die Türen geöffnet, platscht das himmlische
Nass wegen des seitlich stark eingezogenen Verdecks auf die
Sitzflächen oder die Passagiere.
Doch wer immer, ob bei Schneefall, Regen oder Sonne, auf den
XK8 zuging, Schlüssel samt Fernbedienung in der Hand, und die Türen
unter dem koketten Aufleuchten der Blinker entriegelte, verzieh dem
Jag dessen Marotten. Schließlich liegt keine andere
Serienkarosserie so lasziv auf den Rädern wie die Schöpfung des im
Sommer gestorbenen
Jaguar
-Designers Geoffrey Lawson. Männer, die Pfeife rauchen, erinnert
dieser Anblick selbstverständlich an den E-Type.
Man kann in den Schwüngen der Kotflügel, der Wölbung des Hecks
und den Rundungen der Motorhaube auch eine Hommage an die junge
Rita Hayworth, die sich auf einer Chaiselongue rekelt, erkennen.
Welche Verheißungen der parkende XK8 auch immer signalisiert, sie
werden beim Fahren nicht enttäuscht, wie spontane Einträge in die
Bordkarten beweisen: „Tolles Auto“ – „Schnurrt wie eine Katze“ – „
Traumhafte Motor-Getriebe- Kombination“ – „Angenehm geringe
Windgeräusche jenseits von 200 km/h“ – „Toll für lange Strecken“.
Die Komplimente verdiente sich der XK8 dank seines aus-
geprägten Reisekomforts. Der summiert sich aus den Fahrleistungen
und der Geschmeidigkeit des V8-Motors, den moderaten Windgeräuschen
bei geschlossenem Verdeck (Innengeräusch 75 dB(A) bei 180 km/h, zum
Vergleich 82 dB(A) beim
Mercedes
SL 500), den guten Allwetter-Eigenschaften des zweilagigen und
gefütterten Stoffverdecks, der Spurtreue bei höheren
Geschwindigkeiten, dem guten Federungskomfort auf langen
Bodenwellen, dem für zwei Personen großzügig bemessenen Kofferraum
und schließlich dem stilvollsten Innenraum seiner Preisklasse.
Kleine Mängel haben sich zwischen dem Wurzelholz des
Armaturenbretts und den Lederbezügen der Sitze nie zu großen
Ärgernissen komprimiert: Die Sitzkissen sind etwas zu hoch, hart
und kurz. Die Schalter der elektrischen Sitzverstellung sind
zwischen Sesselfuß und Handbremshebel gequetscht. Das Nachtdesign,
also die Beleuchtung wichtiger Bedienelemente, ist dürftig oder gar
nicht vorhanden. Die niedrige Windschutzscheibe neigt bei Regen
rasch dazu, innen zu beschlagen. Die Sitzheizung erreicht
blitzartig Grill-Temperaturen. Das helle Velours des Dachhimmels
und die beigen Lederbezüge verschmutzen ohne besondere Vorsicht und
Pflege zügig.
Was sind diese Fährnisse gegen die Behaglichkeit des
Innenraums? – Nebbich. Die Sitzposition des Fahrers ist – auch dank
der Lenkradverstellung – überwiegend entspannt, die
Bedienungselemente sind auf der breiten Mittelkonsole logisch
zusammengefasst. Auf den Notsitzen lassen sich bei Bedarf entweder
Kinder oder rüstige ältere Tanten unterbringen. Der inzwischen auf
152 100 Mark inklusive dreijähriger Service-Garantie verteuerte XK8
wird kaum als Cabrio gekauft, um nahe und entfernte Verwandtschaft
zu transportieren, sondern um verwandtschaftliche Beziehungen zu
Luft und Sonne zu pflegen. Schließlich reduziert sich das Öffnen
und Schließen des Verdecks auf das Drücken eines einzigen Knopfes,
und auch die zwar praktische, aber mäßig stilvolle Persenning aus
weichem PVC ist unkompliziert zu montieren.
Dieser Meinung schlossen sich 1998 in Deutschland 914 Käufer
an, 687 entschieden sich für das Coupé. Im Jahr 1999 sind die
Verkaufszahlen bis September noch eindeutiger: nur 382 Coupés, aber
787 Cabriolets. Damit entspricht die deutsche Jaguar XK8-Fraktion
dem internationalen Sonnen-Trend. Seit dem Serienanlauf 1996 wurden
vom XK8 bis August ’99 insgesamt 23 973 Cabriolets, aber nur 11 910
Coupés gebaut. Im Hauptabsatzmarkt USA werden 61 Prozent der
Cabrio-, aber nur 13 Prozent der Coupé-Produktion verkauft. Der
Jaguar XK8 wird – auch das ist eine Erkenntnis aus 100 000
Dauertest-Kilometern – nicht nur zum eigenen Vergnügen, sondern
auch zur Freude anderer gefahren. Anders als vergleichbare deutsche
Luxus- Cabrios weckt der Jag keinen Sozialneid, sondern Vergnügen.
Dies ist in Italien am stärksten ausgeprägt, wie Testchef Otto
Hofmayer erfreut feststellte, dem für derartige Erkenntnisse kein
Weg zu weit ist.
Beim Besuch Pompejis offerierte ein Trattoria-Besitzer seinen
geschützten und bewachten Privatparkplatz. Als auf der
sorrentinischen Halbinsel eine Wagenwäsche fällig wurde, um das
metallische Antiguablau nicht gegen Meer und Himmel um Capri
abfallen zu lassen, verweigerte der entsprechende Tankwart seine
Waschstraße. Ein derartiger Schönheitskönig verdiene seine
persönliche Handwäsche.
Obwohl dem Jaguar im Redaktionsalltag nicht ständig derart
liebevolle Pflege zuteil wurde, ist er auch nach 100 000 Kilometern
weit entfernt vom Zustand der „geschrubbten Flunder“. So
bezeichnete Fritz B. Busch schon 1961 Jaguar- Sportwagen, die in
den Händen vieler Fahrer praktisch rund um die Uhr Kilometer
fressen. Die Karosserie – kaum merklich weicher geworden – steht
viel besser da, als dies Rita Hayworth heute tun würde.
Zwei leichte Dellen an der Kofferraumkante zeugen davon, daß
dieser einmal zuviel in Gewichthebermanier zugewuchtet wurde. Im
hellen Velours des Dachhimmels haben Zigarettenrauch und Fahrtwind
dunkle Spuren gezogen. Die Zigaretten dann, wenn bei geschlossenem
Verdeck gepafft wurde. Und der Fahrtwind, wenn das Verdeck offen,
aber nicht durch die Persenning geschützt war. Die Kilometerkosten
sind mit 33,9 beziehungsweise 5,8 Pfennig sehr hoch. Obwohl sich
der Jaguar XK8 mit ei nem durchschnittlichen Testverbrauch von 13,0
Liter Super/ 100 Kilometer und einer Nachfüllmenge von nur zwei
Liter Öl/100 000 Kilometer als Konsument fossiler Flüssigkeiten
zurückhielt, sorgt das Luxuswagen- Etikett bei Kraftfahrzeugsteuer,
Versicherung, Reparaturen, Service und Reifen für stolze Kosten.
Inzwischen sind Service und Wartung für 100 000 Kilometer oder drei
Jahre im Neuwagenpreis mit eingeschlossen.
Allerdings dürfte der rapide Preisanstieg um 13 160 Mark in
etwa dem Wert dieser Service- Pauschale entsprechen. Zwei
Schätzgutachten taxieren den Wert des XK8 Cabriolets auf – etwas
überzogen scheinende – 79 500 Mark. Der Jaguar gibt eben auch
gebraucht keine billige Schönheit ab.
Technische Daten:
XK8 Cabrio
Motor: | V-Motor |
Zylinder: | 8 |
Hubraum: | 3996 cm³ |
Leistung: | 209 KW (284 PS) |
Drehmoment (bei U/min): | 375 |
Leergewicht: | 1780 kg |
Höchstgeschwindigkeit: | 248 km/h |
Kraftstoff: | Super Benzin |
Grundpreis: | 68.359,72 € |