Zweimal GTI
Wie kein Zweiter in der Kompaktklasse twistet der VW Golf GTI durch Kurven, setzt fahrdynamische Maßstäbe. Sein kleiner Bruder Polo GTI zettelt einen Familienzwist an - zwischen 150 und 200 PS.
Viele wollten den VW Golf GTI schon vom Platz fegen: der Opel Astra OPC, der Renault Mégane RS, der Mini Cooper S Works. Im stärksten Aufgebot sind die Gegner losgestürmt – doch der Golf hat sie alle ausgespielt, umdribbelt, vorgeführt. Ausgerechnet aus dem eigenen Lager grätscht nun erneut einer ein: der Polo GTI. Ein kleiner, kompakter Königsmörder?
Die Statur des Polo ähnelt der des ersten GTI von 1976. Von der Mutter aller Kompakt-Bolzer schwelgen Zeitzeugen in knisternder Erinnerung, während die Emotionalität den kritischen Blick für die Realität trübt: Er war schon ein ungehobelter Typ, der erste Sport-Golf. Ziemlich laut und wild. Heute undenkbar. Oder? Laut? Maximal geräuspert hat sich der Ur-GTI bei Vollgas, verglichen mit dem Ansauggeräusch des aktuellen Polo.
Im Luftfilterkasten seines 1,8-Liter-Turbos trommelt er fetten Drum’n’Bass. Ähnlichen Radau machten Autos schon früher – auf der Rennstrecke. Oder auf den Dörfern, wenn sich der hochoktanige Auto-Nachwuchs der kostenlosen Form des Tunings bediente: Luftfilter raus. Bringt kaum Leistung, täuscht aber viel Hubraum vor. Heute lässt Sound-Design alleine den Ansaugtrakt brodeln, während der Auspuff nur vollmundig grummelt. Innen Techno, außen Schlager. Ein Hörrohr führt vom Motor unter das Armaturenbrett des Polo, nutzt den Innenraum als Resonanzkörper. So wie auch im Golf, nur dass dessen Zweiliter-Turbo eher den Auspuff-Bass des Ur-GTI nachahmt – deutlich weniger präsent als das Polo-Grollen. Während zügiger Autobahn-Passagen lastet ein Dröhnen auf den Ohren der Polo-Mannschaft, weil der kurz übersetzte Kleinwagen im fünften Gang orgelt – wie im Ur-GTI fehlt ein Gang, der Verbrauch und Dezibel senkt. Genau genommen vermisst man das Getriebe des Golf. Hier zappt sich der Schalthebel fast alleine durch die Gassen.
Im Polo dagegen sperrt sich der Knüppel gegen schnelle Gangwechsel – obwohl der Fahrer das 50-PS-Manko gerade durch fleißige Schaltarbeit auszugleichen versucht. Im mittleren Drehzahlbereich startet der Golf so autoritär wie ein TDI durch. Und atomisiert damit seinen Gewichts- Malus von 207 Kilogramm. Zumindest beim Durchzug liegt die Kombination aus „schwerer, aber stärker“ (plus 60 Nm) vor „leichter, aber schwächer“. Mit diesen Anlagen sollte der Polo immerhin ein begabter Jagdhund sein. Doch nur der Golf ist ein Terrier – obwohl er im Vergleich eher nach Bernhardiner aussieht. Erst beschleunigt der große GTI den kleinen aus, dann verbeißt er sich in die Kurve, fällt über sie her, streckt sie nieder.
Noch auf der wunderbar dosierbaren Bremse schnüffelt er nach der Ideallinie, lässt sich mit knappen Lenk- Kommandos in die Ecke pfeifen, auch das Heck dreht folgsam ein. Und schon stemmt sich der Golf aus dem Scheitelpunkt, fliegt über die nächste Gerade hinweg – unter den Fronttrieblern setzt dieser GTI Maßstäbe. Der Polo bleibt überrumpelt zurück. Diesem eingespielten Fahrdynamik-Team aus Bremse, Lenkung und Radaufhängung hat er nichts entgegenzusetzen. Je motivierter er sich wehrt, desto mehr schweifen seine überlasteten Vorderräder vom eingeschlagenen Radius ab. Je tapferer man auf dem Gas bleibt, desto stärker verlieren die Gummis an Halt und Profil. Zu sehr ähnelt er im Fahrverhalten den schwächeren Artgenossen: Der 150-PS-Polo bewegt sich wie ein tiefer gelegter, starker Kleinwagen – aber ohne das echte GTIFeeling. Richtungswechsel? Zu unpräzise. Lenkung? Zu stumpf. Einlenkverhalten? Zu wenig gierig. Wer dagegen im Golf startet, registriert bereits auf den ersten Metern: Der ist etwas Besonderes. Seine Radführung vermittelt beinahe die unerschütterliche Präzision von doppelten Dreiecks-Querlenkern – als würde der GTI auf dem Fahrwerk eines Sportwagens aufbauen.
Da nimmt man auch die für einen Golf außergewöhnlich unsensible Federung in Kauf, zumal der Polo nur auf der Autobahn komfortabler ist: Über Land dagegen sorgt der kurze Radstand für ständige Unruhe. Beim Golf hat VW die Fahrwerks-Pace extrem hoch gesetzt, das wird im direkten Vergleich deutlich. Dagegen sieht der Sport-Polo sogar in seinem knallroten Rennanzug blass aus.
Gleiches gilt für den Innenraum: Obwohl die Sitze in beiden Modellen ähnlich ausgeformt sind und das Karo-Muster des Ur-GTI zitieren, zentrieren sie den Rücken nur im Golf spielfrei. Sogar von den ausgeformten Schalen seiner Rücksitzbank aus lässt sich eine fliehkraftintensive Runde genießen, wohingegen die Polo-Mitfahrer hinten verzahnende Klettverschlüsse herbeisehnen und sich vorne über die vanartig hohe Position wundern. Der Sport-Appeal des Polo konzentriert sich zu stark auf einzelne Glanzpunkte wie den rotgeränderten Gurt-Abschluss und die korrespondierenden Nähte am Lenkrad. Schon die kastige Mittelkonsole daneben versprüht nur kar- ges Kleinwagen-Ambiente.
Der Unterschied zum Golf in der Anmutung ist deutlich: Hartplastik auch im sicht- und fühlbaren Bereich, unsauber entgratet, in der Türverkleidung unexakt eingepasst. Nicht nur klassentypische Qualitäts- und Größenverhältnisse relativieren den Preisunterschied von 5575 Euro, auch die Sicherheitsausstattung – bei einem Mini-Musclecar besonders wichtig. Seitenairbags bietet VW beim Golf hinten immerhin optional an, beim Polo nicht. Seitliche Kopfairbags, aktive Kopfstützen, ESP Plus – alles Unfall-Schützer, die der größere dem kleineren GTI voraushat. Obwohl der scheinbar endlos neutral liegende Golf noch weniger Anlass zur Crash-Vorsorge bietet als der Polo. Das sehen die Versicherer ähnlich und stufen den Polo bei der Vollkasko deutlich über dem Golf ein – auf Porsche Boxster-Niveau. Somit sind die Festkosten für den größeren VW niedriger als für den kleineren, was dank dem sparsameren Motor auch für die Tankrechnungen gilt. Enttäuschende Bilanz: Nicht einmal im Kostenkapitel ist der Polo so torgefährlich, wie man es erwartet hätte.
Der Golf GTI benötigt weder Verlängerung noch Elfmeterschießen. Er gewinnt ungewöhnlich deutlich mit sechs zu zwei Kapiteln. Als Viertürer ist er der beste Allround-Golf im VW-Programm: familien- und urlaubstauglich, konzentriert fahraktiv und ausreichend enthaltsam, schick und überall vorzeigbar – und man muss für den Kauf nicht einmal seine Lebensversicherung vorzeitig auflösen. Wer dennoch für den Polo argumentiert, weil er keine 25 000 Euro zusammenhat, der entscheidet sich besser für einen gebrauchten Golf. Denn eines ist nach diesem Vergleich völlig klar: Der wahre GTI ist nach wie vor ein Golf.