Deutlich mehr erfasste Sexualdelikte gegen Kinder im Netz

Es ist ein Anstieg, der nicht nur Experten aufhorchen lässt: Fast 15.700 Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Internet hat die Plattform Jugendschutz.net im Jahr 2024 erfasst - und damit mehr als 10.000 Fälle mehr im Vergleich zum Vorjahr. Bei einer Pressekonferenz in Berlin sprach der Leiter der Plattform, Stefan Glaser, von einem "enormen Zuwachs". 2023 waren hier noch etwas mehr als 5.000 Fälle registriert worden. Die Zahl hat sich damit mehr als verdreifacht.
Unter sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Internet fallen etwa Missbrauchsabbildungen, andere nicht altersgerechte Darstellungen, mit denen Minderjährige konfrontiert werden, oder auch unangemessene Chatnachrichten an minderjährige Mädchen.
"Dunkelfeld wird zunehmend erhellt"
"Das Dunkelfeld wird zunehmend erhellt", sagte Glaser zur Analyse, wie es zu diesem Anstieg kommen konnte. Er sei vor allem durch mehr Hinweise, etwa über die Hotline der Plattform oder durch internationale Partner, zustande gekommen. Auch könne die verstärkte Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Produktion von strafbaren Inhalten zum sehr deutlichen Anstieg der Fälle beigetragen haben, sagte Glaser. Es bleibe abzuwarten, wie sich die Zahlen in den nächsten Jahren entwickelten.
Insgesamt registrierte das Portal - ein gemeinsames Kompetenzzentrum von Bund und Ländern - 17.630 Fälle, in denen gegen den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz verstoßen wurde. Sexualisierte Gewalt machte den Angaben zufolge 90 Prozent aller Fälle aus - 2023 waren es noch 67 Prozent. Als Negativbeispiel für Plattformen, auf denen Missbrauchsdarstellungen geteilt würden, nannte Glaser den Messenger-Dienst Telegram. "Der Betreiber von Telegram schiebt hier bislang keinen Riegel vor." Der Dienst sei ein "Umschlagplatz" für strafbare Inhalte.
Online-Plattformen als "Einfallstor für Extremisten"
Einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen verzeichnete Jugendschutz.net auch bei politischem Extremismus. Hier habe es mit 1.245 Verstoßfällen 400 Fälle mehr als 2023 gegeben. Davon seien 732 Meldungen auf Rechtsextremismus entfallen, 513 auf Islamismus.
Gefährdet seien Kinder und Jugendliche etwa auf Gaming-Plattformen, die Glaser als "Einfallstor für Extremisten" bezeichnete. In der Online-Spielewelt sei es leicht, niedrigschwellig junge Menschen zu erreichen. Ein weiteres Phänomen seien Onlinedienste wie Discord mit Chat-Funktionen, in denen islamistische Influencer, getarnt als Alltagsratgeber, Verschwörungsmythen verbreiteten. Marc Jan Eumann, Leiter der Kommission für Jugendmedienschutz, betonte im Kontext von Extremismus, dass der Holocaust im Jahr 2024 auffällig häufig geleugnet worden sei.
Noch große Lücken bei digitaler Altersprüfung
Um junge Menschen besser zu schützen, warben die Experten wie bereits im Vorjahr für eine verlässliche Altersprüfung bei der Registrierung in digitalen Diensten. Hier sieht die Plattform noch große Lücken - vor allem aufseiten der Betreiber. Es werde häufig nur das Geburtsdatum abgefragt und unzureichend geprüft, ob eine Altersangabe der Realität entspreche.
Es gebe zur Altersprüfung im Netz bereits Dutzende Angebote, sagt Experte Eumann. Wer Jugendliche im Netz schützen wolle, könne dies längst tun. Über die Betreiber sagt er: "Ich habe keinen Zweifel, dass sie alles machen können. Sie tun es nur nicht, wenn es ihr Geschäftsmodell gefährdet." Hier müsse die Politik klar durchgreifen. Die Betreiber hätten genügend Zeit gehabt, die Aufgabe ernst zu nehmen.
Prien verspricht zu handeln: "Wir werden das jetzt mutig angehen"
Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) sprach von "alarmierenden" Erkenntnissen. Der Schutz der jungen Generation sei eine "politische Aufgabe", der sich die neue Regierung stellen werde. "Wir werden das jetzt mutig angehen", erklärte sie. Die Bundesregierung werde sich "mit Nachdruck" auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass sich Plattformbetreiber auch an die Regeln halten.
Außerdem müssten junge Menschen lernen, sicher mit digitalen Medien umzugehen. Das sei auch eine Aufgabe von Eltern und Lehrern. Noch herrsche nicht überall ein Bewusstsein dafür, dass Kinder online genauso geschützt werden müssten wie offline, erklärte Prien. Hier könnten auch einzelne Maßnahmen, wie etwa ein Handyverbot an Grundschulen, helfen, sagte die ehemalige Bildungsministerin von Schleswig-Holstein. Dort hatte Prien per Erlass ein Verbot der privaten Handynutzung an Grundschulen durchgesetzt.
Plattform kritisiert Löschpraxis der Anbieter
Ein wichtiges Mittel im Kampf gegen strafbare Inhalte im Netz ist eine zuverlässige Löschpraxis. Jugendschutz.net gab an, dass bei 9.732 der 17.630 registrierten Verstoßfälle Anbieter aufgefordert worden seien, die Inhalte zu beseitigen. Dies sei in 99 Prozent der Fälle dann auch geschehen, hieß es. In mehr als 6.600 Fällen sei es um Kinder- und Jugendpornografie sowie um Gefahren für Leib und Leben gegangen. Hier habe Jugendschutz.net direkt die Ermittlungsbehörden eingeschaltet.
Die Plattform bemängelt, dass Anbieter wie Youtube, Instagram oder Tiktok Inhalte erst dann löschten, wenn Verstöße von Jugendschutz.net selbst, also von offizieller Seite, gemeldet würden. Wenn die Plattform dies als normaler Nutzer versucht habe, seien die Löschquoten deutlich niedriger gewesen - im Falle von Youtube seien dann etwa nur sechs Prozent der beanstandeten Inhalte entfernt worden, gegenüber 90 Prozent bei offiziellem Kontakt.