Forscher zweifelt an Wasser als Urheber der gewaltigen Mars-Canyons
Globale Ansicht des Mars mit Valles Marineris im Zentrum. © NASA
Wie der italienische Geologe und Spezialist für Vulkanismus auf Planeten, Giovanni Leone, der in der Arbeitsgruppe von Professor Paul Tackley am Institut für Geophysik an der ETH Zürich forscht, aktuell in der Fachzeitschrift " Journal of Volcanology and Geothermal Research" (DOI: 10.1016/j.jvolgeores.2014.01.011) berichtet, handelt es sich um das Ergebnis seiner mehrjährigen Studie von tausenden hochauflösender Oberflächenaufnahmen, die von mehreren Mars.onden gemacht wurden.
Die Mehrheit der Mars.Wissenschaftler ging bislang hauptsächlich deshalb davon aus, dass die Schluchten einst von gewaltigen Wasserströmen gegraben wurden, weil sie aus dem Orbit betrachtet irdischen Canyons gleichen, die tatsächlich von Wasser geschaffen wurden. Als weitere Möglichkeit wurden tektonische Vorgänge angenommen, die zum größten Grabenbruch eines Planeten unseres Sonnensystems geführt haben könnten.
Aufgrund seiner Beobachtungen schlussfolgert Leone nun jedoch, dass einzig Lavaflüsse die Kraft und die Masse gehabt hätten, diese gewaltigen Schluchten in die Mars.berfläche einzugraben.
Der Forscher hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit den Strukturen dieser Canyons und ihrer Ausflüsse in das Ares Valles und die Chryse planitia eine riesige Tiefebene in der Nordhemisphäre des Mars, befasst. Sein Fazit dieser Studie fällt eindeutig aus: "Alles, was ich darauf erkannte, waren Strukturen von Lava, wie wir sie von der Erde her kennen. Die typischen Anzeichen von durch Wasser verursachten Erosion konnte ich auf keinem der Bilder sehen."
Zwar wolle und könne auch er Wasser als endgültige bildende Kraft nicht gänzlich ausschließen. Spuren davon – etwa Salzablagerungen an Orten, wo Wasser aus dem Boden verdunstete, oder Erosionsspuren auf den Schuttfächern der Erdrutsche - habe er allerdings nur sehr selten gefunden. "So muss man sich ernsthaft fragen, wieso Wasser das Valles Marineris hätte bilden sollen, wenn keine massiven und weit verbreiteten Spuren davon zu erkennen sind." Auch kann sich der Vulkanologe nicht erklären, woher die gigantischen Wassermassen hätten herkommen sollen, die diese Canyons formen konnten.
Sei eigenes Erklärungsmodell zeigt hingegen eine andere Entstehungsgeschichte von der Quelle bis zur Mündung des Schluchtensystems auf. Demnach verortet der Forscher das Quellgebiet der Lavaströme in die Vulkanregion Tharsis. Von dort ziehen sich Lavatunnels bis zum Anfang des Labyrinthus Noctis. Ließ der Druck einer Eruption nach, stürzten die Tunneldecken teilweise ein. So bildeten sich in Ketten von beinahe kreisrunden Löchern, die als "Pit Chains" bezeichneten Trichterketten auf Tharsis.
Als dann erneut Lava durch diese Tunnels floss, riss sie die Decken ganz ein, wodurch tiefe V-förmige Gräben entstanden. Durch das Aufschmelzen von Grund- und Randmaterial, aber auch durch rein mechanische Erosion hobelten die Lavamassen ein immer tieferes und breiteres Bett aus, es bildeten sich Canyons, deren instabil gewordenen Ränder abrutschen. Nachfolgende Lava trug den Schutt der Erdrutsche davon oder überdeckte ihn. "Je mehr Lava floss, desto breiter wurde der Canyon", so Leone.
Sein Erklärungsmodell hat der Planetenforscher mit Höhen- und Oberflächenmessungen von verschiedenen Mars.onden unterlegt. So zeigen die Täler des Labyrinthus Noctis tatsächlich die typische V-Form von jungen Lavatälern, deren Tunneldächer vollständig eingestürzt sind. "Die Oberkanten dieser Täler liegen allerdings auf gleicher Höhe. Wären tektonische Einflüsse vorhanden, lägen die oberen Ränder nicht auf demselben Niveau".
"Auf dem Mars gibt es weder wandernde Platten noch Subduktionszonen", so der Forscher. "Gegen Wasser als formende Kraft spricht die Tatsache, dass es zig Millionen von Kubikkilometern davon gebraucht hätte, um solche tiefe Gräben und Canyons zu schaffen. Dazu hätte beinahe das gesamte atmosphärische Wasser der Mars.eschichte in Labyrinthus Noctis konzentriert sein müssen."
Außerdem sei die Atmosphäre auf dem Mars zu dünn, die Temperaturen sind zu kalt. Wasser, das an die Oberfläche käme, würde nicht flüssig bleiben, gibt er zu bedenken: "Wie soll sich unter solchen Bedingungen ein Fluss von genügender Größe und Stärke bilden können?"
Auch für die Hoffnungen auf einstiges oder sogar heute noch aktives Leben auf dem Mars, könnte Leones Studie weitreichende Konsequenzen haben: "Nimmt man an, dass Lava das Labyrinthus Noctis und das Valles Marineris bildete, dann gab es auf dem Mars wohl immer viel weniger Wasser, als die Forschungsgemeinde angenommen hat."
In der Vergangenheit sei auf dem Mars nur sehr wenig Regen niedergegangen. Das hätte nie ausgereicht, um solch tiefen und großen Schluchten zu graben. Der flache Ozean nördlich des Marsäquators sei wohl sehr viel kleiner gewesen als gedacht – oder gehofft. Er hätte nur um den Nordpol existiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass es auf dem Mars Leben gegeben habe oder gibt, würde dadurch ebenfalls viel kleiner.
Allerdings kann sich auch Leone als Aufenthaltsort für Lebewesen die noch existierenden Lavatunnels vorstellen. Diese böten Schutz vor der starken UV-Strahlung auf dem Mars. Er schlägt deshalb vor, eine Mars.ission durchzuführen mit dem Ziel, Lavatunnels zu erkunden. Er hält es für machbar, einen Rover durch ein Loch im Dach eines Tunnels einzusetzen und dort nach Spuren von Leben zu suchen: "Dafür geeignete Stellen könnte man aufgrund meiner Daten ermitteln."
Mit seiner Studie schwimmt Leone gegen den Strom und stößt womöglich ein Dogma um. Die meisten Arbeiten der letzten 20 Jahre beschäftigten sich mit der Frage nach Wasser auf dem Mars und wie es diese Canyons ausgefressen haben könnte. Zwar äußerte bereits 1977 ein Forscher die Idee, Valles Marineris könne durch Lava entstanden sein - konnte sich damit jedoch nicht durchsetzen.
Leone selbst erklärt dies mit einem Tunnelblick auf den roten Planeten und dem herrschenden Mainstream in der Mars.orschung. Man habe Jahrzehnte lang immer dasselbe erzählt und gezielt danach geforscht, ohne einen Durchbruch zu erzielen. Vielleicht liege er ja auch falsch, aber die Wissenschaft könne nur vorwärts kommen, wenn auch andere Denkmodelle betrachtet werden. "Ich erwarte nun eine heftige Debatte", sagt Leone und zeigt sich dafür vorbereitet: "Aber meine Evidenz ist stark."