Mittermüller: "Hätte dreimal verrecken können"

Mittermüller: "Hätte dreimal verrecken können"
Silvia Mittermüller, Deutschlands beste Freestyle-Snowboarderin, hat es zu Olympia geschafft. Dafür setzte sie sogar ihr Leben aufs Spiel.
Das Leben von Silvia Mittermüller ist ein großes Puzzle. Es gibt Höhen, es gibt Tiefen, es gibt Glücksgefühle und es gibt Niedergeschlagenheit. Es ist alles da, was das Leben einer 34 Jahre alten Snowboarderin bereithalten kann. Alles? Nein. Im Bild des Lebens von Silvia Mittermüller fehlt ein Teil - und seit eineinhalb Jahren redet die Münchnerin nun davon und von nichts anderem. Von diesem "Puzzlestück, das mir noch fehlt". Von den Olympischen Spielen.
Mittermüller ist die beste deutsche Freestyle-Snowboarderin. Das ist einer breiteren Öffentlichkeit jahrelang verborgen geblieben - denn Mittermüller war und ist Freigeist. Über die Premiere der von ihr so geliebten Sportart - nein, Lebensart - 1998 in Nagano hat sie dereinst gelästert: "Damals ist Snowboarden vom Olympischen Vampir gebissen worden." Und so eine wollte so dringend nach Pyeongchang, als hinge ihr Leben davon ab.
Tatsächlich hätte Mittermüller den Kampf um das letzte Puzzlestück beinahe mit dem Leben bezahlt. Am 23. September 2017 stürzte sie im neuseeländischen Cardrona beim Halfpipe-Training auf den Kopf. Sie war gut drei Minuten bewusstlos. Als sie erwachte, bekam sie einen epileptischen Anfall, der von den Ärzten nicht erkannt wurde. Auf eigene Faust verließ sie das Krankenhaus, trampte sechs Stunden durch die Nacht nach Cardrona zurück. Ein Irrsinn.
"Da habe ich mein Leben aufs Spiel gesetzt"
"Ich hätte dreimal verrecken können", sagt Mittermüller - die nach dem 30-stündigen Rückflug auch noch "zwei Maß auf dem Oktoberfest" trank - "danach ging's mir dann richtig scheiße." Sie ging umgehend zu einem Neurologen, der wies Gehirnblutungen und nicht nur einen, sondern auch einen zweiten epileptische Anfall nach. Mittermüller kann sich noch heute über die erste Fehldioagnose aufregen: "Da habe ich mein Leben aufs Spiel gesetzt."
Es ist nicht das erste Mal, dass die Gesundheit unter Mittermüllers Leidenschaft gelitten hat. Drei Kreuzbandrisse in drei Jahren hat sie überstanden, und irgendwann, sagt sie, würde sie gerne mal ein Nacktfoto machen, auf dem dann Pfeile auf ihre zahllosen Narben am eher zierlichen Körper zeigen. Daneben soll stehen, "wo es war und was es war". Da käme dann wohl eine Weltkarte zusammen. "Wenn dir das Leben eine reinhauen will, dann haut es dir eine rein", sagt sie.
Mit Schutzengel zum "heiligen Gral"
Im vergangenen Dezember hat sich Mittermüller böse an der Hand verletzt, aber der Sturz in Cardrona, der geht ihr mit Abstand am nächsten. "Da habe ich meine Schutzengel sehr intensiv getestet", weiß sie. Nun aber haben die Schutzengel es ihr ermöglicht, um den "heiligen Gral", wie sie das fehlende Puzzlestück auch mal nennt, zu kämpfen. Am Sonntag beginnt zunächst die Qualifikation für den Slopestyle-Wettbewerb, in der zweiten Woche folgt Big Air.
Mittermüller ist angesichts einer Krankenakte von der Dicke des Telefonbuchs von New York allerdings schon "glückselig, dass ich es wirklich geschafft habe", dass sie tatsächlich in Pyeonchang ist - es sei "mit Worten schwer auszudrücken", sagt sie, was ihr dies bedeute. Nachdem sie Olympia in Sotschi 2014 wegen einer kaputten Achillessehne verpasst hatte, will sie Olympia in Pyeongchang nun "mit all meinen Sinnen erleben".
Und dann? Mittermüller hat lange ein Leben als "professionelle Nomadin" geführt. Sie lebte mehr oder weniger in den Tag hinein. Aus einem Abitur mit der Note 1,5 und dem mehrfach gefassten Plan von einem Medizinstudium wurde: nichts. Snowboarden, das blieb ihr Leben. und nun kommt das letzte "Puzzlestück" dazu. Olympia, sagt Mittermüller, die sich zum Entspannen gerne ans Klavier setzt, das wäre schon ein "schöner Endakkord".