Das SID-Kalenderblatt am 27. Dezember: Aus der Sonne an den Schattenberg

Das SID-Kalenderblatt am 27. Dezember: Aus der Sonne an den Schattenberg
Köln (SID) - Wie das Skispringen an den Oberstdorfer Schattenberg kam, ist eine Geschichte von grandioser Offensichtlichkeit. Als Ende des 19. Jahrhunderts verwegene Burschen begannen, sich tollkühn auf Skier von Hügeln verschiedenster Art zu stürzen (in der Steiermark sprangen die Pioniere von einem verschneiten Misthaufen), war auch schnell die Allgäuer Marktgemeinde mit von der Partie.
Oberstdorfs erste Anlage, die Haldenschanze, war beliebt, hatte aber einen entscheidenden Nachteil: Sie lag zur besten Sprungzeit in der prallen Sonne, die weiße Unterlage schmolz regelmäßig zu einem suppigen Gepamp zusammen. Also musste ein besserer Platz für eine bessere Schanze her, mit mehr Schatten. Da bot sich, man hätte darauf kommen können, eben jener Schattenberg an.
Am kleinen Oberstdorfer Hausberg - gleich unterhalb des viel größeren Hausberges, dem Nebelhorn, gelegen - errichtete die Gemeinde auf einem Gelände in ihrem Besitz nach Plänen des Architekten Hans Schwedinger eine schmucke Schanze, die für damalige Verhältnisse gigantische Weiten erlaubte. Als die Schattenbergschanze am 27. Dezember 1925 eingeweiht wurde, sprang Gustl Müller aus Bayerisch-Zell mit 35 Metern den ersten Schanzenrekord.
Die Anlage war damals das Prunkstück des deutschen Skispringens, für die DM 1930 und die olympischen Ausscheidungswettkämpfe 1936 wurde sie erweitert. Nach dem Zweiten Weltkrieg nagelten die Oberstdorfer ihre mittlerweile verfallene Schanze wieder zusammen, mit der Premiere der Vierschanzentournee 1953 erlangte sie internationale Bekanntheit.
Am kommenden Montag und Dienstag macht die Tournee zum 69. Mal am Schattenberg Station, die Schanze ist nach diversen Umbauten, die letzten und eher kosmetischen für die WM 2021, zu einem technischen Prachtstück mit einem Stadion für 27.005 Zuschauer geworden. Und wenn sich dann die Eisenbichlers, die Geigers und all die anderen in die Tiefe stürzen, wird kaum jemandem in den Sinn kommen, dass dies alles dereinst mal mit einem verschneiten Misthaufen begonnen hat.