"Die Erfindung der Wahrheit": Die richtige Botschaft falsch verpackt

Der Film "Die Erfindung der Wahrheit" übermittelt eine klare Botschaft: Der Waffen-Wahn in den USA muss aufhören. Einzig an der Verpackung dieser richtigen Aussage dürften sich die Geister scheiden.
Nein, der in den USA so mächtigen Waffenlobby dürfte "Die Erfindung der Wahrheit" überhaupt nicht gefallen. Immerhin pinkelt der Streifen mit seiner mehr als deutlichen Aussage genüsslich ans Bein der Verfechter des zweiten Zusatzartikels der Verfassung, nach dem jeder Bürger das Recht auf eine Knarre hat. Wenn, ja wenn die vermeintlich rechtschaffenen Figuren des Films nur nicht so unsagbar unsympathisch wären...
Ein Lobby-Fähnchen im Wind?
Eigentlich kennt die knallharte Lobbyistin Elizabeth Sloane (Jessica Chastain) den Begriff "Skrupel" nur aus dem Wörterbuch. Mit gewissenlosen wie raffinierten Methoden setzt sie die Interessen ihrer Auftraggeber um, Sloane lebt förmlich für ihren Beruf - Schlaf wird überbewertet. Doch als sich plötzlich die Waffenlobby an sie wendet, um mit ihrer Hilfe den Ruf von Schusswaffen bei der weiblichen Zielgruppe zu stärken, steigt sie für viele ihrer Kollegen überraschend aus.
Mehr noch, sie und einige treue Mitarbeiter schließen sich der Gegenseite an, um aktiv gegen die Ex-Firma zu kämpfen und zeitgleich ein neues Gesetz zur Verschärfung des Waffenrechts durchzuboxen. Doch vielen US-Amerikanern und vor allem der NRA (National Rifle Association) ist der zweite Verfassungszusatz und damit ihre Knarre zu wichtig, um ihr kampflos das Feld zu überlassen...
Alle Augen auf Frau Chastain
Schon ab der ersten Sekunde von "Die Erfindung der Wahrheit" wird klar, dass der Zuschauer in den kommenden 130 Minuten einer "One Woman Show" von Jessica Chastain wird beiwohnen dürfen. In Close-up und mit eindringlichem Blick schaut Frau Chastain dabei direkt in die Kamera und probt schon einmal auswendig ihre Verteidigung vor einer Kommission, die sie am liebsten lynchen würde. Überzeugend ist ihre Darbietung als Sozialleben-Legasthenikerin, keine Frage. Aber genau deswegen auch etwas problematisch.
Denn "Miss Sloane", so der englische Titel des Films, ist eine teils unsäglich nervtötende Besserwisserin, die ihre Kollegen und damit die Zuschauer gerne mit einer Arroganz belehrt, die schwer auszuhalten ist. Auf diese Weise soll den Kinogängern zwar die undurchsichtige und grenzwertige Arbeit der US-Lobbyisten erklärt werden. Die selbstgerechte Art, mit der dies den Film durchziehend geschieht, lässt einen aber unbewusst fast für die Waffen-Fanatiker hoffen. Ziel verfehlt...
Experten erklären sich die Welt
Aber auch die Kollegen stehen ihrem Vorbild in nichts nach. Immer wieder nutzt Regisseur John Madden den uninspirierten Kniff, dass sich Experten gegenseitig ihren eigenen Job erklären, um den Zuschauer mit ins Boot zu holen. Während einem in "The Big Short" in einem selbstreferenziellen Moment Margot Robbie in der Badewanne die Missetaten der Pleitebanken erklärt, machen das in "Die Erfindung der Wahrheit" selbstgerechte Schmierlappen. Mit denen wir auch noch sympathisieren sollen? Das will leider so gar nicht gelingen, wodurch das hehre Ziel der Protagonisten, strengere Waffengesetze in den USA zu verwirklichen, komplett auf der Strecke bleibt.
Überhaupt ist die Thematik des Films natürlich eine sehr US-amerikanische. Weder mit vergleichbar krassem Lobbyismus im politischen Sektor, noch mit der steten Frage, welche Knarre man sich beim Supermarkt um die Ecke leisten soll, werden deutsche Bürger in der Regel konfrontiert. Wer sich aber für das US-Phänomen der NRA (National Rifle Association) und den dortigen Waffen-Fanatismus interessiert, "Bowling for Columbine" aber schon dutzendfach gesehen hat, der wird dank "Die Erfindung der Wahrheit" schockierende Einblicke bekommen.
Fazit:
Am besten lässt sich "Die Erfindung der Wahrheit" als Hybrid aus "The Big Short" und "Bowling for Columbine" bezeichnen. Mitunter ähnlich plakativ wie Herr Moore knüpft sich der Film der skrupellosen Waffenlobby in den USA vor. Mitunter ähnlich selbstverliebt wie der Dokumentarfilmer prangert die Hauptfigur Sloane die (zurecht) als Perversion dargestellte Geilheit einer ganzen Nation auf ihr Waffenrecht an.