Klamroth und Özdemir schauen gemütlich fern - plötzlich rechnet der Grüne scharf mit Habeck ab

Louis Klamroth hat es in seiner Amtszeit als "Hart aber fair"-Moderator bislang nicht ganz leicht gehabt. Mit dem Vorgänger überworfen, von der ARD kritisch beäugt und eingekürzt. Anstelle der gestrichenen Talkshow-Sendeplätze im Ersten erhielt der Moderator den Auftrag, in der Mediathek ein junges Publikum für innovative politische Formate des Öffentlich-Rechtlichen zu begeistern. So lesen sich Himmelfahrtkommandos.
"Press Play" heißt nun der erste Aufschlag, den Klamroth und sein Produktionsteam fürs Digital-Angebot der ARD machen. Dabei ist der englischsprachige Titel noch der offenkundigste Wink an die anvisierte Zielgruppe. Der 35-Jährige und sein Auftaktgast Cem Özdemir von den Grünen sitzen in einer an ein Ikea-Möbelhaus erinnernden Versuchsanordnung auf einem Sofa und schauen gemeinsam fern. Was junge Leute halt heute genau nicht mehr machen.
Das wiederum eint die jungen Menschen mit Cem Özdemir. Der schaut nämlich auch kaum fern. Wenn man es richtig versteht, aus einer Mischung aus Zeitnot und Desinteresse. "Das kenn' ich alles nicht! Ich komme mir vor wie ein Fernseh-Analphabet!", stöhnt der Grünen-Politiker nach Einspielern aus dem "Bergdoktor" und Joko Winterscheidts "Wer stiehlt mir die Show?".
Louis Klamroth macht Cem Özdemir mit Reality-TV bekannt
"Haben Sie so was schon mal gesehen?", fragt Klamroth mokant, als Szenen einer Reality-Show vor den beiden flimmern. Özdemir blickt demonstrativ ratlos aus der Wäsche: "Ist das nicht der ehemalige Innensenator von Hamburg?" Der Gastgeber kann bestätigen: "Das ist Ronald Schill. Der ist mittlerweile richtiger Reality-TV-Star."
"Die streiten sich, weil sie wissen, umso mehr Sendezeit bekommen sie. Kennen Sie das aus der Politik?", versucht Klamroth den Bogen zum politischen Diskurs zu spannen. "Absolut", bestätigt sein Gast. Als die AfD in den Bundestag eingezogen sei, seien deren Abgeordnete "wie Nachbars Lumpi" abgegangen, sobald eine Kamera auf sie gerichtet worden sei.
Dann sehen sich beide Alice Weidel im von Aktivisten gestörten ARD-"Sommerinterview" an: "Dämlich!", nennt Özdemir den lautstarken Protest. "Das bringt nichts. Das macht die nur zu Märtyrern." Was man sonst tun könne, damit die AfD nicht noch stärker wird? "Zum Beispiel aufhören so übereinander zu reden, dass man sich am Tag nach der Wahl erst mal entschuldigen muss."
Ihm falle da "ein bayerischer Ministerpräsident ein, der so tut, als ob die Grünen und die anderen demokratischen Parteien die schlimmsten Verbrecher der Welt wären", vermeidet er, den Namen "Markus Söder" auszusprechen. Mit Namen hat es Özdemir in der Sendung ohnehin nicht so.
"Bernd Höcke oder wie der heißt ..."
Der Ex-Landwirtschaftsminister lehnt es ab, AfD-Funktionären Ausschuss-Vorsitze im Bundestag zu ermöglichen und begründet das bei "Press Play" so: "Weil wer heute in der AfD ist, ist in der Partei von Bernd Höcke oder wie der heißt ..." - "Björn Höcke!", korrigiert Klamroth die vor Jahren schon zum Running Gag gewordene Namensverwechslung und hakt nach: "Müsste dann nicht konsequenterweise ein Verbotsantrag kommen?"
Doch auch auf dem Flausche-Sofa ist der Polit-Profi so leicht nicht aus der Reserve zu locken. "Ich bin kein Jurist", vermeidet Özdemir eine klare Aussage, lässt sich aber immerhin entlocken: "Dann gründen sie halt ne andere Partei. Ist dann irgendwas gelöst?"
Als man schon nicht mehr auf Erhellendes zu hoffen wagt, kommt spät in der Sendung doch noch ein Überraschungsmoment zustande - ganz so, wie ihn das Sendekonzept nach dem Willen der Macher provozieren soll. Klamroth führt Özdemir Szenen aus Robert Habecks Abschieds-Interview als Parlamentarier bei "Markus Lanz" vor und fragt: "Vermissen Sie ihn schon?"
Özdemir wirft Habeck vor, "die Leute in den Wahnsinn" getrieben zu haben
Habecks Parteikollege auf dem ARD-Sofa windet sich jetzt noch mehr als zuvor bei der Parteiverbotsfrage: "Ich gehöre nicht zur Abteilung Nachtragen", lässt er den Fragesteller wissen. Man habe Grund, Habeck dankbar zu sein. "Wir wünschen ihm alles Gute, aber lernen auch aus dem, was wir damals falsch gemacht haben."
Plötzlich wacht Klamroth aus der Sofa-Gemütlichkeit auf. "Das hätte ich wärmer erwartet!", wirft er ein und fragt nun ganz direkt: "Sind Sie froh, dass er weg ist?" Özdemir setzt eine Kunstpause und vermeidet ein klares Nein. "Jemanden, der Politik so gut erklären kann wie er, bräuchten wir heute", sagt er und lässt eine rhetorische Backpfeife für den früheren Vizekanzler folgen: "Nur wenn sie es dann so machen, dass am Ende Klimaschutz für viele zum Hassobjekt wird, dann ist der Schuss nach hinten losgegangen."
Durchaus kunstvoll ist vom Heizgesetz keine Rede, und doch kann sich jeder den passenden Reim machen: Man habe als Politiker die Verpflichtung, die Forderungen von NGOs in Relation zum Rest der Gesellschaft zu setzen, hat Özdemir offenbar als Kardinalfehler ausgemacht. Man müsse sich fragen: "Wie kriege ich das so umgesetzt, dass ich die Leute nicht alle in den Wahnsinn treibe?"
Das wiederum sollte sich eigentlich jeder fragen, von der Politikerin bis zum Fernsehmacher. Über diese Mindestanforderungen hinaus ist bei "Press Play" jedoch noch Luft nach oben. Auch wenn Cem Özdemir seinen Besuch als gewinnbringend verbucht: "Danke, dass ich das alles mal sehen konnte!", sagt der bekennende TV-Muffel zum Abschied. Klamroth erwidert einen Appell: "Ab jetzt mehr fernsehgucken!" Da meint er die ARD-Mediathek ganz sicher mit.