Todesfahrt der "Titan" – Doku bringt erschreckende Details ans Licht

Vor über 100 Jahren sank die "Titanic" nach einer Kollision mit einem Eisberg vor Neufundland. Noch heute liegt das Wrack des berühmten Schiffes am Meeresboden in rund 3.800 Metern Tiefe. Dieses einmal mit eigenen Augen zu sehen, ist für viele ein großer, aber unerreichbarer Traum. Das Unternehmen Oceangate wollte dies ändern.
Mitgründer Stockton Rush bezeichnete das Wrack des Dampfers als "absoluten Sehnsuchtsort im Meer" - doch um seine Vision umzusetzen, nahm der Unternehmer extreme Risiken in Kauf. Am Ende bezahlten vier Menschen und Stockton Rush selbst mit dem Leben. Wie konnte es so weit kommen?
In der "Terra X"-Dokumentation "Titan - Todesfahrt zur Titanic" (zu sehen in der ZDF-Mediathek und am Sonntag um 19.30 Uhr im ZDF) werden nun die Hintergründe des Unglücks aufgearbeitet und die Frage gestellt: Handelte es sich wirklich um einen tragischen Unfall - oder war Fahrlässigkeit Schuld an dem Tod der fünf Insassen?
Titan-Unglück: Stockton Rush nutze nicht zugelassenen Baustoff
Stockton Rush war studierter Luft- und Raumfahrtingenieur. Er wollte die Nutzung von Tauchbooten revolutionieren und vor allem kommerzialisieren. Dafür setzte er auf eine große Neuerung beim Bau: "Kohlefaser ist der richtige Werkstoff für Unterwasserfahrzeuge", stellte er immer wieder klar. Das Verhältnis von Festigkeit zu Auftrieb sei, so Rush, dreimal besser als bei Titan. "Nach dem Testen wird es unverwundbar sein", kündigte der Unternehmer damals an - und hätte sich nicht mehr irren können.
Kohlefaser ist im Gegensatz zu Titan kein zugelassener Baustoff für zertifizierte Tauchboote. Doch nicht erst an diesem Punkt stieß die US-Küstenwache, die nach dem Unglück die Ermittlungen aufgenommen hatte, auf Regelwidrigkeiten. Denn Stockton Rush ließ seine "Titan" nie offiziell registrieren. Captain Jason Neubauer, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses der Küstenwache, erklärt in der "Terra X"-Doku: "So stellt man sicher, dass keine Kontrollinstitution den Betrieb überwacht." Er betont: "So einen Schachzug haben wir noch nie gesehen".
Die fehlende Registrierung war nicht der einzige Regelbruch. So sollte die Kuppel der "Titan" beispielsweise bei einem Tauchgang mit insgesamt 18 Bolzen gesichert werden - OceanGate nutzte nur vier.
Im Gespräch mit Stockton Rush: Journalist berichtet von schockierender Aussage
Dass all dies ein enormes Risiko darstellte, darüber muss sich Stockton Rush bewusst gewesen sein. Denn auch bei den Tauchgängen lange vor dem "Titan"-Unglück, kam es zu beunruhigenden Vorfällen. So erfolgte 2019 vor den Bahamas der erste Tauchgang der Druckkapsel mit Passagieren. Man wollte dort erstmals testen, ob das Tauchboot Passagiere auf eine Tiefe von 3.800 Metern bringen konnte.
An Bord waren neben Stockton Rush auch Tauchboot-Pilot Karl Stanley sowie Petros Mathioudakis, ein Techniker für Unterwasser-Laserscanner. Die drei Männer tauchten mit dem U-Boot ab. Schon nach kurzer Zeit hörten sie beunruhigende Geräusche: "Es war extrem laut, wie ein Pistolenschuss", erinnert sich Mathioudakis und stellt klar: "Man sollte so ein Geräusch nicht in einem Tauchboot hören!"
Auch Karl Stanley war nach den Tauchgang höchst alarmiert. Er war sich sicher, dass es sich bei den Knall-Geräuschen um Materialversagen der Kohlefasern handelte. Und er geht noch weiter: "Ich bin mir sicher, dass wir nur knapp vor einer Implosion standen", so Stanley. Stockton Rush wollte davon nichts wissen, beteuerte immer wieder, solche Geräusche seien bei einem Tauchgang völlig normal.
Das betonte er auch im Gespräch mit dem Discovery-Journalisten Josh Gates. Als die beiden in einem früheren Interview auf den Bahamas-Tauchgang zu sprechen kamen, entgegnete Rush: "Ich zeige Ihnen mal, wie es sich anhört, wenn die Kohlefasern versagen und man nicht mehr viel Zeit hat" und spielte eine Audio-Aufnahme des Vorfalls ab. "Und dann sind Sie schnell wieder aufgetaucht?", hakt Gates nach. "Nein, ich bin weiter heruntergegangen. Warum auch nicht?" Eine vielsagende Antwort von Rush, die den Journalisten nachhaltig schockierte: "Das war für mich kein Alarmsignal, sondern Alarmstufe Rot." Rush wollte sein Ziel erreichen, "komme was wolle", so Gates im ZDF-Film.
Das gesamte Ausmaß des Schadens wurde erst durch eine anschließende Inspektion bekannt. Das Tauchboot wies einen Riss auf. Dieser zog sich laut Tony Nissen, dem Technischen Direktor, einmal über den gesamten Druckkörper. Man habe erst versucht, die Schäden abzuschleifen, doch das Boot sei, so Nissen, nicht mehr einsatzfähig gewesen. Er erklärt weiter: "Stockton wollte, dass ich als Pilot die 'Titanic'-Mission leite, und ich sagte: 'Da steige ich nicht ein.' Ich habe Stockton nicht vertraut."
"Titan"-Trümmer wurden nahe dem Wrack der "Titanic" gefunden
2020 begann der Wiederaufbau des Tauchbootes, wieder aus Kohlefaser. Und auch dieses Mal dauerte es nicht lange, bis es Warnsignale gab. Bei Tauchgang 80 gab es einen lauten Knall, eine sogenannte "Delamination" bei der die Kohlefasern beschädigt wurden, erklärt Lieutnant Commander Katie Williams von der Küstenwache. Sie stellt klar: "Jeder, der nach Tauchgang 80 an Bord der 'Titan' ging, riskierte sein Leben".
Und dennoch entschied sich am 18. Juni 2023 die Gruppe aus "Titanic"-Experte Paul-Henri Nargeolet (77), dem britischen Abenteurer und Unternehmer Hamish Harding (58), dem pakistanischen Geschäftsmann Shahzada Dawood (48) und dessen Sohn Suleman Dawood (19) sowie Stockton Rush selbst, die Fahrt zum "Titanic"-Wrack zu wagen.
Ein Schiff fuhr die "Titan" von St. John in Canada 700 Kilometer vor die Küste, dort, wo auf dem Meeresboden das Wrack der "Titanic" liegt. Um 9.14 Uhr begann die Kapsel ihre Tauchfahrt. Weniger als zwei Stunden später brach die Kommunikation zum Tauchboot ab. Eine fieberhafte Suche begann, die nach vier Tagen traurige Gewissheit lieferte. Die Trümmer der Titan wurden entdeckt. Untersuchungen zeigte, dass das Tauchboot um 10.47 Uhr implodiert war - alle Insassen starben. Übrig blieben nur die Trümmer der Druckkapsel, weniger als 500 Meter entfernt vom Bug der "Titanic".