"Borowski und der Himmel über Kiel": Ein Tatort für die Schule
In "Borowski und der Himmel über Kiel" trifft der Kommissar (Axel Milberg) auf die junge Rita (Elisa Schlott) und die Crystal Meth-Szene. © NDR/Christine Schröder
Nach fast einem Jahr Pause endlich wieder ein Kieler Tatort! "Borowski und der Himmel über Kiel" führt den Kommissar und seine Kollegin Sarah Brandt in die Crystal Meth-Szene. "Breaking Bad" von der Ostsee oder ein modernes "Kinder vom Bahnhof Kiel"? Das klären wir im Kreuzverhör!
Worum geht’s?
Ein abgetrennter Kopf wird in einem kleinen Fluss bei Kiel gefunden. Vom Rest des Körpers fehlt jede Spur. Die Bewohner des naheliegenden Dorfes sind norddeutsch-wortkarg und gebärden sich reichlich sonderbar, eine heiße Spur finden Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) hier jedoch nicht. Die Obduktion ergibt, dass der junge Mann durch Erwürgen starb und der Kopf erst danach abgetrennt wurde, außerdem war er abhängig von Crystal Meth.
Die junge Rita (Elisa Schlott) kennt den Toten: Es ist ihr Ex-Freund Mike (Joel Basman). Bei Mike kam Rita zum ersten Mal in Kontakt mit Crystal Meth, gemeinsam sind die beiden tief in die Kieler Drogen-Szene abgerutscht. Den Entzug hat Mike abgebrochen und ist verschwunden, Rita hingegen ist mittlerweile clean und will neu anfangen. Kann sie Borowski und Brandt zu Mikes Mörder führen?
Doch Rita wird schnell von ihrer Vergangenheit eingeholt: Junkies, die den Absprung nicht geschafft haben, bedrängen sie ebenso wie der finstere Dealer Furkan (Matthias Weidenhöfer). Borowski hingegen fühlt sich von Rita an seine eigene Tochter erinnert. Kann er sie vor einem erneuten Absturz schützen?
Problem-Krimi oder Spaß-Tatort?
So gruselig der Auftakt mit dem geköpften Opfer auch ist, der eigentliche Mordfall ist in diesem Tatort aus Kiel zweitrangig. Ein wenig Ermittlung hier, die eine oder andere Befragung dort – das wars. Im Mittelpunkt steht die Droge Crystal Meth, ihre Konsumenten, Erzeuger, ihre Wirkung. Und das sogar weitgehend ohne billige Effekt-Hascherei, sondern mit toll gefilmten Bildern. Nach dem Nazi-Tatort aus Dortmund zeigt dieser Kieler Fall wieder einmal, wie man den berühmt-berüchtigten "gesellschaftspolitischen Anspruch" filmisch und erzählerisch toll umsetzt!
Ist die Handlung glaubwürdig?
Dass Crystal Meth kein Randproblem mehr ist, sollte inzwischen allen klar sein. "Borowski und der Himmel über Kiel" ist der bislang wahrscheinlich beste und authentischste deutsche Spielfilm über die Droge. Die Wirkung von Crystal Meth wird, abseits von Horror-Bildern und "Breaking Bad", äußerst realistisch dargestellt – von totaler Euphorie und unbändiger Energie bis hin zu körperlichen und psychischen Wracks. Dass sich dabei auch hinter einer bürgerliche Fassade Abgründe verbergen können, ist spätestens seit dem Fall Hartmann bekannt. Die Suche nach Mikes Mörder tritt in diesem Fall in den Hintergrund, nicht alle Wendungen erscheinen logisch. Doch das starke Spiel aller Beteiligten und die skandinavisch-kühlen Bilder machen diesen Tatort absolut sehenswert!
Bester Auftritt
Im Mittelpunkt steht Elisa Schlott in ihrer Rolle als Rita. Sie verkörpert in allen Facetten, was die Droge Crystal Meth mit den Konsumenten macht. In drastischen Gegensätzen wird ihre Geschichte erzählt: Die cleane Rita malt in einem grauen und tristen Verhör-Raum sitzend das Bild eines Wundermittels, dass der zuvor recht braven Abiturientin eine neue Welt eröffnet. Wilde Partys, wummernde Musik, hemmungsloser Sex – das alles in bunt schillernden Flashbacks. Irgendwann wird nicht mehr nur geraucht, sondern gespritzt und das Verlangen nach dem nächsten Kick wird nahezu unstillbar, der Verfall setzt ein. Vom Drogen-Trip bis zum kalten Entzug, Elisa Schlott spielt eindringlich, mitreißend und authetisch, aber niemals plakativ. Borowski und Brandt hingegen nehmen sich sehr zurück - dieser Tatort gehört Elisa Schlott!
Was muss man sich merken?
Lineare Erzähl-Stränge werden in Kiel ohnehin nur sparsam eingesetzt, in "Borowski und der Himmel über Kiel" sind langfristige Entwicklungen kaum zu finden. Borowski, in den mehr als zehn Jahren seiner Tätigkeit ja ohnehin vom Misanthropen zum durchaus sympathischen Kauz entwickelt, wird durch Rita an seine eigene Tochter erinnert – gut möglich, dass diese bald mal in Kiel auftaucht.
Soll man gucken?
Unbedingt! So soll es bestenfalls aussehen, wenn sich der Tatort mit einem aktuellen, gesellschaftlichen Problem auseinandersetzt. Die große Stärke von " Borowski und der Himmel über Kiel" ist, dass nicht einseitige Klischees im Mittelpunkt stehen, sondern die gesamte Bandbreite von Crystal Meth gezeigt wird. Man sieht blutige Gesichter, doch Rita ist ausgesprochen hübsch. Man sieht fertige Junkies, aber auch großes Glück eines jungen Paares. Das ist mutig, für diesen Mut gebührt Machern und Sender ein großes Lob. Dass die Auflösung des Falles am Ende dann ein bisschen simpel gestrickt ist und die Ermittlungen generell ein wenig nebenherlaufen, ist deswegen durchaus zu entschuldigen! Dieser Tatort ist ein eindrucksvolles Zeugnis der Wirkungen und Auswirkungen von Crystal Meth – es wäre kaum verwunderlich, wenn der Film bald auch in Schulen zur Aufklärung gezeigt wird.