"Deckname Kidon" im Kreuzverhör: Ein Hauch von James Bond
Was im Tatort "Deckname Kidon" zunächst wie ein Selbstmord aussieht, führt Bibi (Adele Neuhauser) und Moritz (Harald Krassnitzer) in die Welt der Waffengeschäfte und Atom-Deals. © ORF
Es ist fast schon Tradition, dass Eisner und Fellner am Tatort Wien sich die höchsten Kreise zu Feinden machen. Nach Crystal Meth-Rentnern im letzten Fall geht es jetzt um nichts Geringeres als den Mossad und die iranischen Atom-Pläne. Eine Nummer zu groß für die BKA-Majore aus Österreich?
Worum geht’s?
Baujahr 1977, 900.000 Kilometer – und die Leiche von Wissenschaftler Dr. Bansari auf dem Dach: Der alte Mercedes 200D haucht zu Beginn auf tragische Weise sein Leben aus. Zunächst sieht alles wie ein Selbstmord aus, doch schon wenig später steht ein iranischer Diplomat vor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und beschlagnahmt Laptop und Handy. Der Tote war ein ranghoher Beamter im iranischen Atomprogramm, sein Tod alarmiert die höchsten Schichten der Wiener Politik - nicht nur der gute Ernstl (Hubert Kramar) ist nervös.
Eisner und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) versuchen herauszufinden, was Bansari in Wien wollte und mit wem er zuletzt Kontakt hatte. Da ist die geheimnisvolle Sara Gilani (Angela Gregovic), die behauptet ein Verhältnis mit Bansari gehabt zu haben. Angeblich wollte der Atomphysiker aus dem Iran flüchten, doch er wusste zu viel und fürchtete um sein Leben.
Doch gleichzeitig traf sich Bansari auch mit dem Grafen Trachtenfels-Lissé (Udo Samel), einem berüchtigten und äußerst einflussreichen Waffenhändler. Er besitzt, was dem iranischen Atomprogramm zum Durchbruch verhelfen könnte. Haben die beiden einen entscheidenden Deal eingefädelt? Wegen Bansaris Geschäften ist ihm der israelische Geheimdienst Mossad schon länger auf den Fersen. Steckt er hinter dem Anschlag?
Problem-Krimi oder Spaß-Tatort?
Ein wenig lakonischer Humor gehört in Wien dazu, ansonsten haben wir es bei "Deckname Kidon" mit einem knallharten Thriller zu tun. Stellenweise weht dabei ein Hauch von James Bond durch Wien. Will heißen: Wirklich realistisch ist das alles nicht, Sozialkritik sucht man vergeblich. Aber dafür ist dieser Tatort über weite Strecken sehr spannend und unterhaltsam!
Ist die Handlung glaubwürdig?
Beim nächsten Mal darf es gerne ein bis zwei Nummern kleiner sein. Mossad und andere Geheimdienste, München 1972, iranisches Atomprogramm – streckenweise wäre es kaum verwunderlich, wenn Eisner und Fellner auch gleich noch das Lindbergh-Baby und das Bernstein-Zimmer finden. Der Wiener Tatort dreht weltpolitisch gerne das ganz große Rad, das ist aber dann nicht immer realistisch (Moritz: "Wir müssen mehr über das iranische Atomprogramm wissen. Woran sie arbeiten, wie weit sie sind, was sie brauchen…" – Bibi: "Okay."). Auch beim manipulativen Großindustriellen, dem korrupten Dorf-Gendarmen und vielen anderen Details galt offenbar das Motto: Übertreibung macht anschaulich.
Bester Auftritt
Bibi und Moritz sind bestens aufgelegt, Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer zeigen so viel Motivation, wie man es eigentlich von allen Darstellern einer Reihe wie dem Tatort erwarten sollte. Besonders gut hat uns aber Udo Samel als Graf Trachtenfels-Lissé gefallen. Das Barock-Kostüm, in dem der Großindustrielle zum Verhör gebeten wird, ist weniger Verkleidung als vielmehr eine Lebenseinstellung des Grafen "Jolly", der seine Finger überall im Spiel hat. Auch nett: Eisners Kleinkrieg mit einem Kremser Dorf-Polizisten.
Was muss man sich merken?
Wie so häufig in Wien kann das Dickicht aus Vetternwirtschaft und Kungelei nicht ganz ausgehoben werden, Eisner und Fellner können maximal an der Oberfläche kratzen. Eine Anknüpfung wäre theoretisch möglich, dafür gibt es jedoch keine Anzeichen. Eisners Tochter Claudia (Tanja Raunig) sitzt nach ihrem Unfall in "Abgründe" im Rollstuhl, scheint jedoch Hoffnung auf Genesung zu haben. Doch keine Angst: Allzu groß sind die Ausflüge ins Privatleben nicht – dazu ist der Fall viel zu aufreibend.
Soll man gucken?
Unbedingt! Zwar gab es auch aus Wien schon überzeugendere Geschichten, doch mit ein bisschen gutem Willen wird " Deckname Kidon" zu einem spannenden Thriller. Verfolgungsjagd mit einem Zug, zu Fuß durch Wien, dazu reizvolle Schauplätze, tolle Bilder und üppige Ausstattung – den Sparzwang beim Tatort sieht man zumindest diesem Fall nicht an. Nur was die IT angeht, müssen wir wieder ganz stark sein...