Stuttgart-Tatort "Eine Frage des Gewissens" im Kreuzverhör
Im neuen Stuttgart-Tatort "Eine Frage des Gewissens" stehen Sebastian Bootz (Felix Klare) und Thorsten Lannert (Richy Müller) vor einer Zerreißprobe. © SWR/Johannes Krieg
Während in Hamburg, Münster oder Wiesbaden mit großem Hype Tatort-Superlative geschaffen und übertroffen werden, hat sich das Team aus Stuttgart in den letzten Jahren klammheimlich zu einem echten Kleinod entwickelt. Lannert und Bootz haben alles, was den Tatort im klassischen Sinne ausmacht: Spannende Fälle ohne verkrampften ideologischen Überbau, stimmige Figuren und gute Drehbücher. Außerdem gibt es mehr Lokalkolorit als anderswo, es wird teils heftig geschwäbelt. Kann auch der neue Stuttgart-Tatort "Eine Frage des Gewissens" überzeugen? Wir klären es im Kreuzverhör!
Worum geht’s?
Raubüberfall auf einen Supermarkt, ein Angestellter ist als Geisel genommen. Weil Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) zufällig in der Nähe sind, greifen sie ein. Die Situation ist angespannt, der Räuber droht die Nerven zu verlieren. Da fällt ein Schuss: Lannert hat den Geiselnehmer erschossen.
Bei der anschließenden Untersuchung versucht der schmierige Anwalt Dr. Pflüger (Michael Rotschopf) dem Stuttgarter Kommissar Absicht in die Schuhe zu schieben. Weil Bootz seinen Kollegen schützen will und sich in Widersprüche bei seiner Aussage verstrickt, droht eine Anklage. Entscheidende Zeugin ist Alice Gebauer (Luise Berndt) – doch als Bootz sie spät abends aufsuchen will, findet er sie tot in ihrer Wohnung.
Lannert und Bootz übernehmen die Ermittlungen und müssen sich gleichzeitig wegen des Todesschusses im Supermarkt beim Staatsanwalt verantworten. Besonders Bootz wird in die Mangel genommen und trifft so manche unkluge Entscheidung. Für die Kommissare wird der Fall zu einer Zerreißprobe – bis sie ungeahnte Verbindungen zwischen den Zeugen entdecken.
Problem-Krimi oder Spaß-Tatort?
Ein bisschen Buddy-Romantik ist ja quasi ein Muss im Stuttgarter Tatort. Auch wenn die Bootz’sche Scheidung mal wieder zu sehr ausgerollt wird und langsam nervt, lebt "Eine Frage des Gewissens" vor allem von den beiden Kommissaren. Die haben es mit einem spannenden, aber nicht überkandidelten Fall zu tun. Kein übertriebener Pathos, kein zwanghafter moralischer Überbau. Und wer genau aufpasst und richtig kombiniert, kann selber die Lösung herausfinden.
Ist die Handlung glaubwürdig?
Ja, weil dieser Tatort dankenswerterweise auf plötzliche Wendungen kurz vor Schluss und weitgehend auch auf zufällig auftauchende Hinweise verzichtet. Am Ende ergibt alles einen Sinn, und die entscheidenden Details sind lange bekannt. Dabei ist "Eine Frage des Gewissens" – trotz des wenig inspirierten Titels – fast durchgängig spannend. Dass einige Aspekte vorhersehbar sind (Was macht man als suspendierter Polizist? Klar: Weiter ermitteln!), fällt da fast gar nicht auf. Bemerkenswert ist auch das Erzähltempo: Was dieser Stuttgart-Tatort in den ersten 15 Minuten rüberbringt, schaffen andere Teams im ganzen Film nicht.
Bester Auftritt
So richtig heraus ragt keiner der Darsteller. Felix Klare und Richy Müller machen ihre Sache gut und spielen die aus verschiedenen Gründen verzweifelten Kommissare glaubhafter als so mancher andere Tatort-Kollege. Die beiden fühlen sich in ihren Rollen sichtbar wohl, Charakter und Darsteller passen zueinander. Dass Sebastian Bootz seine After-Scheidungs-Depression langsam mal überwinden darf, finden aber viele Fans schon seit den letzten Folgen aus Stuttgart.
Sehenswert ist auch Michael Rotschopf als Anwalts-Kotzbrocken Dr. Pflüger. Mögen dessen Motive durchaus edel sein, mit dem unsympathischen Auftreten brilliert er als Antagonist zu Lannert und Bootz. Die Präferenz der Zuschauer ist dabei klar verteilt – obwohl die Sachlage deutlich ambivalenter ist.
Was muss man sich merken?
Das Verhältnis der beiden Kommissare zueinander könnte nach diesem Fall eine neue Qualität erreichen. Seit Bootz geschieden ist, werden die beiden Ermittler immer mehr zu einer Symbiose der geschädigten Familienväter. Aber um nicht stehenzubleiben und stimmig zu bleiben, müssen sich die Figuren langsam weiterentwickeln. Hauptsache, das Privatleben nimmt nicht Überhand.
Soll man gucken?
Gerne! "Eine Frage des Gewissens" kommt recht unspektakulär daher, bietet aber genau das, was viele von einem Tatort erwarten: Ein spannender Krimi, der nicht unnötig mit Bedeutung aufgeladen ist und über 90 Minuten lang fesselt. Lannert und Bootz haben sich ohnehin längst zu einem der besten Tatort-Teams gemauster. Rätselfreunde können in diesem Fall mit auf Mördersuche gehen, und die Twitter-Community freut sich über das soziale Netzwerk "Stutt-Net" und die Tatsache, dass bei Bootz‘ Sauf-Exzessen gut sichtbar (das bekanntermaßen alkoholfreie) Clausthaler auf der Theke steht.