Tatort aus Bremen: Der Kampf gegen Windmühlen

Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) sind verwirrt: Wer ist der Gute, wer ist der Böse? © Radio Bremen
"Warum ist man als Umweltschützer gegen Windmühlen?" fragt Stedefreund zu Beginn des Bremer Tatorts. "Wer Wind erntet, sät Sturm" findet auf diese Frage viele gute Antworten, die weit entfernt sind von schwarz-weiß-Malerei und idealistischem Sozialkitsch. Die Bremer zeigen, wie ein Tatort anspruchsvoll, spannend und überraschend zugleich sein kann.
Worum geht’s?
Ein Aktivist wird erschossen, ein anderer ist spurlos verschwunden. Unter dem Motto "Wer Wind erntet, sät Sturm" kämpfen Henrick Paulsen (Helmut Zierl), Kilian Hardendorf (Lucas Prisor) und ihre Truppe gegen Windparks in der Nordsee. Besonders auf Lars Overbeck (Thomas Heinze) und seine Firma haben sie es abgesehen. Deswegen droht die Bank Overbeck den Geldhahn abzudrehen, die Zukunft der Firma steht auf dem Spiel.
Beim Bau der Anlagen leiden Schweinswale unter dem Lärm, im Betrieb geraten Zugvögel in die Rotoren, lautet die Anklage der Umweltschützer. Paulsen dokumentiert die Vorwürfe mit Guerilla-Videos, von seiner letzten Tour zu den Windrädern kehrte er nicht zurück. Dennoch tauchen im Netz neue Clips auf, die Beweise gegen Overbeck liefern. Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) vermuten, dass der redegewandte Unternehmer seinen Widersacher beseitigt hat.
Doch auch die Umweltschützer sind gespalten: Während Paulsen und Kilian auch vor radikalen Methoden nicht zurückschrecken, hat sich ihre ehemalige Mitstreiterin Katrin Lorenz (Annika Blendl) für den politischen Weg entschieden. Mit Ihrer Organisation verteilt sie ökologische Gütesiegel für Windparks, ein wichtiges Aushängeschild, für das die Betreiber viel Geld zahlen. Overbeck bettelt um solch ein Siegel, um seine Firma in letzter Minute vor dem Aus zu retten. Lürsen und Stedefreund lernen nach und nach, wie es hinter den Kulissen der "grünen" Industrie zur Sache geht…
Worum geht es wirklich?
Nach dem Familien-Drama im letzten Fall steht in Bremen wieder Sozialkritik auf dem Stundenplan. Schön, dass das auch ohne ein plakatives "Wir die Guten, ihr die Bösen"-Schema geht. Fast jede Haltung ist ein Stück weit nachvollziehbar, fast jeder Charakter hat seine Schattenseiten. Eine Ambivalenz, die man in den meisten anderen Tatorten mit Anspruch vermisst. Autor Wilfried Huismann ist schon mehrfach investigativ unterwegs gewesen, hier zeigt er, dass man anspruchsvolle Stoffe auch in hochwertige Drehbücher einarbeiten kann. Ein kleines, aber immens wichtiges Detail: Inga Lürsen rückt das Thema am Ende ins richtige Verhältnis.
Ist die Handlung glaubwürdig?
Hier und dort wurde dramaturgisch zugespitzt, ab und an wird ein bisschen verdichtet – ansonsten beruht "Wer Wind erntet, sät Sturm" auf den Recherchen des Autors. Dass er das dann auch noch in ein spannendes und gut geschriebenes Drehbuch verpackt hat, verdient Respekt. Die alte Tatort-Regel "Je hehrer der Anspruch, desto mieser die Umsetzung" sieht sich hier mit ihrer Ausnahme konfrontiert. Allein der vampireske Investment-Banker aus dem Baukasten für Tatort-Bösewichte ist überflüssig.
Bester Auftritt
Auch wenn sich Stedefreund und Overbeck in manchen Szenen beinahe ein Duell liefern, agieren die Kommissare die meiste Zeit eher zurückhaltend. Die Bühne gehört dem Thema. Als jovialer, charmierender, aber dennoch aufrichtiger Windmühlen-Manager gefällt vor allem Thomas Heinze. Man nimmt ihm die gespaltene Figur ab – als Pionier der Erneuerbaren Energien von vielen Seiten gefeiert, im gleichen Atemzug ist er aber für eine kleine Splittergruppe aber auch der Schurke.
Was muss man sich merken?
Im Universum des Tatort Bremen passiert nicht viel. Kommissare ganz ohne Privatleben, die sich auf den Fall konzentrieren, das hat man lange nicht gesehen.
Soll man gucken?
Auf jeden Fall! Der vielzitierte gesellschaftspolitische
Anspruch des Tatort, der jahrelang in platten und dumpf
inszenierten Mitleids-Fällen durch den Dreck gezogen wurde, kommt
hier mal wieder in vollem Glanz zur Geltung und spielt die Stärken
des Formats aus. Trotzdem bleiben die Figuren ambivalent und
verkommen nicht zu Stereotypen, für sich genommen taugt jeder
Handelnde als Sympathieträger. Tolle Bilder sind sowieso
garantiert, Locations und Bild-Komposition sind absolut sehenswert.
"
Wer Wind erntet, sät Sturm" zeigt, was
mit engagierter Recherche und einem guten Drehbuch möglich ist, da
wird der Tatort seinem Ruf gerecht!