Tatort "Gier" aus Wien: Inglorious Bibi
Zum 950. Tatort haben sich Bibi (Adele Neuhauser) und Moritz (Harald Krassnitzer) fein gemacht. Und einen Piccolo kalt gestellt. © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg
Wenn man mehrmals in der Woche Tatort schaut, beobachtet man an sich selber mit der Zeit unwillkürliche Reaktionen. Vor allem in dem Moment, in dem man wahrnimmt, welche Stadt und welcher Kommissar als nächstes auf dem Plan stehen. Bibi Fellner und Moritz Eisner zaubern dabei fast immer ein Lächeln ins Gesicht. Doch beim neuen Tatort „Gier“ wird die Vorfreude bitter enttäuscht.
Worum geht’s?
Ihr Leben lang hat die pflichtbewusste Sekretärin Elisabeth Schneider (Johanna Mertinz) dem Chef des Familien-Konzerns Wendler treu gedient. Doch nun herrscht Chaos in der Firma: Junior-Chef Peter Wendler (Anian Zollner) vegetiert in der geschlossenen Psychiatrie, nachdem er seine Frau (Maria Köstlinger) angegriffen hat. Diese hat flugs ihren Lover Viktor Perschawa (Michael Masula) auf dem Chefsessel installiert, gemeinsam wollen sie das Firmengeflecht verkaufen und sich aus dem Staub machen.
Dummerweise stirbt ausgerechte kurz vor Vertragsabschluss die junge Roswita (Emily Cox) in einem Chemiewerk des Wendler-Konzerns. Sie war nicht nur schwanger, sondern auch die Nichte von Ernstl Rauter (Hubert Kramar). Dieser setzt Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) auf den Fall an.
Erste Spur ist der Schutzanzug der Toten: Minderwertige Qualität hat hochgefährliche Säure eindringen lassen und die junge Frau verätzt. Hersteller ist – wie könnte es anders sein – eine weitere Tochterfirma der Wendlers in Indien. Wird hier auf Kosten der Sicherheit gespart? Dann wird einer der Verdächtigen ermordet, und Moritz und Bibi dürfen auch offiziell ermitteln.
Worum geht es wirklich?
Viele Verhör-Szenen sind im Tatort nie ein gutes Zeichen. Das bedeutet – neben Sparzwang - vor allem, dass sich hier jemand eine so komplexe Story ausgedacht hat, dass die Figuren die Zusammenhänge in endlosen Dialogen erläutern müssen. " Gier" ist ähnlich undurchsichtig wie das Firmengeflecht der Familie Wendler. Dieser Wien-Tatort kann sich nicht entscheiden, was er sein will: Ein Industrie-Thriller, bei dem man unwillkürlich an Bhopal denken muss? Oder Familien-Drama mit einem Panoptikum an Figuren, wie sie nur in Österreich vorkommen können? Zu viele Ansätze, zu wenig roter Faden – das können die Wiener doch eigentlich besser.
Ist die Handlung glaubwürdig?
Übertrieben wird in Wien bekanntlich gerne, hier fehlt leider fast jegliche Verankerung in der Realität. Das beginnt bei der bizarren Familie Wendler und endet bei scheinbar kleinen Details. Oder wie viele Paare um die 30 kennt Ihr, die Roswita und Helmut heißen?
Bester Auftritt
Christoph Waltz lässt grüßen: Anian Zollner spielt den inhaftierten Konzern-Erben mit überdeutlicher Anlehnung an die Figur Hans Landa, die den Wiener Oscar-Preisträger in "Inglorious Basterds" weltberühmt machte. Optik, Duktus und nicht zuletzt die eiskalte Perfektion, die beide umgibt, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Brrr.
Ansonsten wirken leider fast alle anderen Figuren so, als würden die Darsteller ihren Text von einem Teleprompter ablesen. Dialoge und Spiel sind stellenweise dermaßen steif und hölzern, dagegen ist der Ludwigshafen-Tatort ein gelungener Improvisations-Workshop.
Was muss man sich merken?
Nichts, denn alles, was im Wiener Tatort als fortlaufende Handlung bislang thematisiert wurde – Moritz‘ Tochter, Bibis Alkoholsucht – findet in "Gier" nicht statt. Nicht nur deswegen kann man durchaus verzichten.
Soll man gucken?
Bibi, Moritz, was ist denn mit Euch los? Wenn Ihr einmal nicht gegen Seilschaften in den höchsten Kreisen zu Felde zieht, kommt offenbar bei allen um Euch herum schlagartig die Motivation abhanden. Klar, Ihr als Duo seid eigentlich perfekt eingespielt, dass Euch auch ein dermaßen wirres Drehbuch wie in diesem Fall nur ein "Ah, geh!" entlocken kann. Statt der halbgaren und – es kann nicht oft genug wiederholt werden – bis in die Haarspitzen des indischen (!) Gärtners (!!) mit Kaya-Yanar-Akzent (!!!) sinnlosen Familien-Geschichte hätten wir uns ein 90-Minuten-Duell mit Anian Zollner gewünscht. Das wäre mal wieder ein Kracher geworden. Aber vielleicht gibt es ja irgendwann "The Return of Peter Wendler"?