Racing Point als großer Gewinner?
Die Meinungen über die künftige Budgetdeckelung gehen weit auseinander. Hardliner wie McLaren oder Haas fordern 100 Millionen Dollar. Ferrari sind schon 145 Millionen zu wenig. Auch der Vorschlag, die Kundenteams schlechter zu stellen, findet nicht überall Zustimmung.
Die FIA ist nicht zu beneiden. Die Corona-Krise hat dem Weltverband die goldene Gelegenheit in die Hände gespielt, die Zukunft des Motorsports neu zu ordnen und allen Ballast über Bord zu werfen, der sich in den letzten 20 Jahren angesammelt hat. Sie hat auch die Chance, über die Reduzierung der Budgets die Chancengleichheit zu erhöhen.
Trotzdem ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Bei zu drastischen Einschränkungen könnte man die großen Teams überfordern oder verärgern. Und sie bis hin zum Ausstieg drängen.
Im Feld haben sich drei Lager gebildet. Da gibt es Hardliner wie McLaren oder Haas, die eine Grenze von 100 Millionen Dollar fordern. Ferrari tut sich schon mit dem Vorschlag schwer, die Budgetgrenze von 175 auf 145 Millionen Dollar abzusenken. "Was immer noch ein riesiger Einschnitt für Teams wie uns, Mercedes oder Red Bull wäre", heißt es aus Maranello.
Dann gibt es da noch die Gemäßigten. Red Bull und Mercedes könnten sich mit 145 Millionen anfreunden. 100 Millionen dagegen sind ihnen zu wenig. Da kommt dann sofort der Einwand, dass man die DNA der Formel 1 nicht verwässern dürfe.
Sechs Millionen für Abfindungen
Doch was ist diese DNA? Eigentlich nur, dass die Formel 1 die schnellsten Autos auf diesem Planeten bauen muss. Das ist nicht unbedingt abhängig vom Budget. Die Forderung, dass die Königsklasse den Vorreiter für die Entwicklung des Automobils spielen müsse, ist schon lange nicht mehr erfüllt.
Was soll die Serie von der Aerodynamik, dem Getriebe oder dem Fahrwerk der ultimativen Fahrmaschinen schon lernen? Nichts. Die Wahrheit ist viel bitterer. Noch nicht einmal beim Antrieb wird der Transfer zur Serie konsequent genutzt. Das Prinzip der Vorkammerzündung wurde bis heute von keinem der vier Hersteller für ihre Massenprodukte übernommen.
Eines der Argumente gegen einen zu dramatischen Einschnitt sind Entlassungen, die den Teams drohen, die derzeit mehr als 800 Mitarbeiter beschäftigen. Die FIA hat dafür aber eine Lösung angeboten. Wer Personal abbauen muss, darf einmalig eine Summe von maximal sechs Millionen Dollar in die Hand nehmen, um Verträge bis zum Ende der Laufzeit oder Abfindungen auszuzahlen. Dieser Betrag zählt nicht zu der anvisierten Budgetdeckelung von 145 Millionen Dollar für 2021.
Racing Point im Vorteil?
Noch steht nicht fest, ob es überhaupt 145 Millionen für den Einstieg werden, und ob diese Summe ein Jahr später auf 130 Millionen abgesenkt wird. Ferrari rät davon ab, schon ein Jahr später den zweiten Schritt zu tun. Im ersten Jahr mit den neuen Autos wünscht sich Ferrari mehr Bewegungsfreiheit.
Aus den Diskussionen um einen vernünftigen Kostendeckel hat sich ein echter Glaubenskrieg entwickelt. McLaren-Chef Zak Brown und Ferrari-Rennleiter Mattia Binotto feuern mit schweren Geschützen aufeinander. Der eine sieht die Chance, die Lücke zu den Topteams über eine drastische Abrüstung schneller zu schließen. Der andere fürchtet, dass die Privilegien der Topteams zu stark abgebaut werden und dass dadurch in Zukunft die Entscheidung um den Sieg nicht mehr nur zwischen Mercedes, Ferrari und Red Bull fällt.
Racing Point zählt auf dem Papier zu den kleinen Teams. Und man ist Kunde von Mercedes. Besitzer Lawrence Stroll wäre in der Lage, einen Budgetdeckel von 145 Millionen zu stemmen. Die Topteams hätten gegenüber Racing Point dann nur noch bei den Ausnahmen einen Vorsprung. In der Rundenzeit macht sich das aber nur bei den Fahrergehältern bemerkbar.
Mit Sergio Perez ist aber wenigstens ein Cockpit im Team gut besetzt. Racing Point wäre also ein Gewinner der Abrüstung. Wenn man nur auf sich schauen würde, müsste man die 100 Millionen Dollar-Lösung unterstützen: "Da wären wir die Besten", glaubt Teamchef Otmar Szafnauer. "Wir haben es jahrelang mit dieser Summe geschafft, gute Leistungen abzuliefern. Keiner hat darin so viel Übung wie wir."
Racing Point gegen Kundenteam-Regel
Szafnauer kann deshalb auch mit einem Budgetdeckel von 145 Millionen Dollar gut leben: "Wir müssen beide Seite betrachten. Mit 145 Millionen kommt man den kleinen Teams einen guten Schritt entgegen. Wir müssen aber auch auf die Interessen der Großen Rücksicht nehmen. Wenn wir sie zu stark bestrafen, laufen wir Gefahr, dass wir sie verlieren."
Der Amerikaner denkt dabei nicht unbedingt an Ferrari, die letzte Woche schon mal mit dem Säbel gerasselt haben. "Ferrari wird immer dabei bleiben. Die haben ja nichts anderes. Ich würde mir mehr Sorgen um Teams wie Mercedes machen. Wenn wir auf 100 Millionen runtergehen und dafür ein großes Team verlieren, haben wir nichts gewonnen."
Den zweiten Schritt auf 130 Millionen Dollar sieht Szafnauer nicht als kriegsentscheidend. "Wenn wir es für fünf Jahre bei der Summe von 145 Millionen belassen, sorgt die Inflation dafür, dass wir am Ende bei 130 Millionen ankommen. Jedes Jahr zwei Prozent bedeuten am Ende einen Verlust an Kaufkraft von 15 Millionen. Beträgt die Inflation nur ein Prozent, wären es immerhin noch 7,5 Millionen weniger."
Gar nichts hält Szafnauer von der Regelung, die Kundenteams finanziell zu bestrafen. Er besteht darauf, dass alle Teams mit dem gleichen Budgetdeckel arbeiten. Für den Antrag der Hersteller-Teams, den Kunden den Nominalwert der Entwicklungskosten aller eingekauften Teil vom Budgetlimit abzuziehen, gibt es nach Ansicht des Racing Point-Teamchefs aus zwei Gründen keine Berechtigung:
"Ferrari, Red Bull und Mercedes müssen die Teile so oder so entwickeln, ob sie die an Kunden verkaufen oder nicht. Sie könnten höchstens zusätzliche Produktionskosten einfordern. Doch die Kosten für Zulieferteile werden von der Budgetdeckelung gar nicht erfasst. Und wir bezahlen sie mit dem Kaufpreis mit." Ein Kollege wirft ein: "Die Kundenteams sparen sich Entwicklungskosten für Teile, die sie nicht selbst produzieren und können deshalb ihr gesamtes Entwicklungsbudget in die Aerodynamik stecken. Das ist unfair gegenüber den Teams, die jedes einzelne Teil selbst konstruieren."