"Zeit der Doppelsiege ist vorbei"
Ferrari forderte Mercedes in Bahrain schon in der Qualifikation heraus. Für das Rennen gelten die roten Autos als Favorit. Mercedes-Teamchef Toto Wolff hat den Ernst der Lage erkannt. Ferrari ist bei Mercedes voll auf dem Radar. "Die Zeit der leichten Doppelsiege ist vorbei."
Die Realisten bei Mercedes haben es schon vor dem vierten Grand Prix des Jahres gewusst. Ferrari ist ein ernsthafter Gegner. Nicht für das ein oder andere Hitzerennen, sondern für die gesamte Saison. Und damit auch für den WM-Titel. Auf bestimmten Rennstrecken werden die roten Autos sogar als Favoriten gehandelt. Immer dort, wo die Hinterreifen lange leben müssen.
Der Kurs von Sakhir ist so eine Strecke. Ferrari braucht nicht einmal Hitze, um Mercedes zu erschrecken. In der Nacht bleibt der Asphalt kühl. Sebastian Vettel sendete mit seinem zweiten Startplatz seinen Warnschuss schon im Training ab. Und das ist normalerweise die Domäne von Mercedes. Man darf sich vom Vorsprung von 0,411 Sekunden von Lewis Hamilton nicht täuschen lassen. Ferrari zeigte bei den Rennsimulationen am Freitag, dass sich das Kräfteverhältnis im Rennen Richtung Rot verschieben könnte.
Ferrari entwickelt besser
Mercedes-Teamchef Toto Wolff gibt sich keinen Illusionen mehr hin. "Im letzten Jahr hatten wir ein beruhigendes Polster auf unsere Gegner. Das ist jetzt weg. Ferrari spielt in unserer Liga. Die Zeit der leichten Doppelsiege ist vorbei." Das war nach den Wintertests und dem Saisonauftakt in Australien so nicht zu erwarten. "Es gab ein kleines Indiz in Melbourne. Wir konnten sehen, dass Vettel ohne Massa vor der Nase viel näher an uns dran gewesen wäre. Trotzdem war der Ferrari-Sieg von Malaysia eine Überraschung für uns. Das Trainingsergebnis hier in Bahrain nicht mehr."
Wolff führt das auf ein aggressives Entwicklungsprogramm im gegnerischen Lager zurück. "Ihr Entwicklungstempo ist wirklich beeindruckend. Das ist eine echte Herausforderung für uns." Auch Nico Rosberg wunderte sich: "Mann oh Mann. Das ist unglaublich, welche Schritte die machen. Wir müssen da jetzt echt aufpassen." Nur Außenminister Niki Lauda spielt den Optimisten: "Ferrari ist stark, ganz klar. Aber wir sind stärker hier. Ich bin überzeugt, dass wir aus unseren Fehlern vom Freitag gelernt haben und am Sonntag ein schnelles Auto haben werden."
Streckenlayout hilft Ferrari
Bei genauer Betrachtung hat Ferrari bis jetzt gar nicht so viel an seinem SF15-T verändert. Mercedes brachte seit Beginn des Testwinters mehr neue Teile an sein Auto. Die neue Qualität bei Ferrari ist es, dass die Ingenieure nicht mehr mit der Schrotflinte auf das Ziel schießen, sondern das Auto in Mikroschritten entwickeln.
Der größte Fortschritt entspringt dem besseren Verständnis des Autos und der Abstimmung. Eben, weil man nicht mehr blind Upgrades bringt. In Bahrain kommt noch hinzu, dass die Strecke dem Ferrari liegt. Das Auto ist schnell auf der Geraden und gut auf der Bremse.
Das reifenschonende Fahrzeugkonzept verschafft Ferrari im Rennen eine Trumpfkarte, die man auch aus der zweiten Startreihe ausspielen kann. Doch jetzt steht Vettel wie in Malaysia neben Hamilton ganz vorne. Was ihn noch gefährlicher macht.
Mercedes treibt Ferraris Stärke im Rennen immer öfter in die Enge. Am Freitag hatten die Ingenieure das Auto zu sehr Richtung Reifenschonen eingestellt. Und prompt fielen die Reifentemperaturen aus dem Fenster. "Es geht da um das komplizierte Zusammenspiel zwischen Oberflächen- und Walktemperatur", erklärte Wolff.
Mercedes war daraufhin gezwungen sein Auto für den Renntag wieder umzubauen. Es konnte am Samstag aber kaum ausgetestet werden, ob die Änderungen erfolgreich waren. Im dritten Training war es zu heiß. Q1 ist zu kurz, um einen Longrun einzubauen. Technikchef Paddy Lowe traut sich anhand der Daten dennoch zu sagen: "Die Reifen sind wieder in ihrem Fenster. Die Ergebnisse, die wir im Q1 gesehen haben, sind ermutigend."
Lewis Hamilton wollte den Tag nicht vor dem Abend loben: "Es geht nicht um ein längeres Leben der Reifen, sondern darum, dass wir im Stint schneller fahren können. Ich traue mir keine Vorhersage zu. Bei den letzten beiden Rennen lag ich mit meiner Prognose daneben."
Hamilton erinnert das Duell an 2007 und 2008
Toto Wolff fordert das Team dazu auf, die neue Herausforderung anzunehmen: "Vielleicht hatten wir uns zu sehr an ein leichtes Leben gewöhnt. Wir stehen jetzt vor einer neuen Situation. Das darf nicht dazu führen, dass wir überreagieren und zu vorsichtig sind."
Der Österreicher erwartet für den Sonntag wieder eine lange Strategie-Sitzung. "Es gibt noch mehr Rennszenarien als in China. Ich erwarte, dass die zwei Ferrari und zwei Mercedes eng zusammenliegen werden. Dann wird es noch mehr darauf ankommen, bei der Strategie die richtigen Entscheidungen zu treffen."
Hamilton erinnert der Zweikampf an die Jahre 2007 und 2008. "Damals habe ich mit McLaren gegen Ferrari gekämpft. Auch seinerzeit war es ein Duell zweier ganz unterschiedlicher Autos. Der Ferrari tendierte 2007 zum Untersteuern, unser McLaren war ein übersteuerndes Auto. Wir waren in langsamen Kurven schnell, Ferrari in schnellen."
Auch der damalige McLaren-Ingenieur Paddy Lowe schwelgte in den alten Zeiten: "Diese Konstellation führte dazu, dass mal McLaren, mal Ferrari gewonnen hat. Mit einem ganz engen WM-Finale. Und im Jahr darauf hatten sich die Qualitäten der beiden Autos genau ins Gegenteil verschoben. Weil jeder an seinen Schwächen gearbeitet hat."