Melbourne-Tour im Krankenwagen

Die auto motor und sport Formel 1-Reporter berichten in ihren F1-Tagebüchern von ihren persönlichen Erlebnissen bei den 19 Grand Prix-Rennen der Saison 2014. In Teil 1 blickt Bianca Leppert hinter die Kulissen vom GP Australien.
Mit dem Grand Prix von Australien beginnt meine vierte Formel-1-Saison ausnahmsweise mal mit dem ersten Rennen. In den drei Jahren zuvor feierte ich meinen persönlichen Start in das Jahr meistens beim GP China, weil sich Kollege Tobias Grüner, der mit Dauerbrenner Michael Schmidt die meisten Rennen bestreitet, gerne die Rosinen rauspickt. Doch in diesem Jahr hatte er Gnade mit mir und schickte mich zum ersten Mal auf den fünften Kontinent.
Ich lasse mir die einmalige Chance nicht entgehen und fliege ein paar Tage früher ans andere Ende der Welt, um Melbourne zu erkunden. Bereits in der Woche vor dem Grand Prix starte ich am Donnerstag von München über Abu Dhabi mit Etihad nach Melbourne. Nach diversen "In-welcher-Position-schlafe-ich-in-der-Economy-am-besten"-Versuchen stehe ich nach 24 Stunden etwas zerknautscht auf australischer Erde.
Weil Taxis in Melbourne so verdammt teuer sind, nehme ich den Flughafen-Transfer-Bus bis ins Zentrum. Leider ist die Tram, die mich mitten in der Nacht direkt zu meinem Hotel fahren soll, nicht so leicht zu finden. Nach 20 Minuten Orientierungslosigkeit gebe ich schließlich auf und lasse mich doch per Taxi in mein Hotel im St. Kilda-Viertel chauffieren.
Und was soll ich sagen? Schon nach dem ersten Spaziergang durch den belebten Stadtteil in Richtung Strand bin ich hin und weg. Als Design-Liebhaberin pilgere ich von einem außergewöhnlich eingerichteten Café zum nächsten. Vor allem bei "Milk the cow", einem Restaurant mit Käsespezialitäten, muss ich schmunzeln. Die Lampen an der Decke haben die Form von Melkmaschinen.
Aber auch der Papaya-Salat bei "Sister of Soul" erobert mein Vegetarier-Herz. Das Fitzroy-Viertel wirkt im Gegensatz zu St. Kilda eher unaufgeräumt, ein wenig dreckig und rau. Bin ich hier in Berlin gelandet? Die vielen Flohmärkte und Second-Hand-Läden sind jedenfalls genau das Richtige für mich. Hier wirkt alles noch zufällig, kreativ und erfrischend.
Touri-Programm vor Formel 1-Wochenende
Bevor der Formel-1-Zirkus ruft, muss ich mir aber unbedingt noch das australische Wahrzeichen "12 Apostles" anschauen. Kollege Schmidt hatte mir in Deutschland gesagt, dass ich dieses Naturspektakel auf keinen Fall verpassen dürfe. Um in das rund 3 Stunden entfernte Port Campbell zu kommen, brauche ich aber erstmal einen Mietwagen. Nicht so einfach, wenn man keinen internationalen Führerschein besitzt.
Europcar vertröstet mich, doch eine kleine Mietwagenfirma hat Erbarmen mit mir und lässt mich hinters Steuer. Ein echtes Abenteuer, denn Rechtsverkehr ist mir neu. Auf den ersten Metern durch Melbourne läuft permanent der Scheibenwischer, obwohl ich eigentlich blinken will. Auch die Schalter sind alle auf der falschen Seite. Die Gänge mit links einzulegen, ist hingegen wesentlich einfacher als ich es mir vorgestellt hatte.
Die Fahrt zu den "12 Apostles" entschädigt für die anfängliche Nervosität. Die Great Ocean Road führt - wie der Name schon sagt - an der Küste entlang und bietet einen wundervollen Blick aufs Meer. Wer Glück hat, sieht auf dem Teilstück durch den Otway National Park sogar Koala-Bären. Nach 200 Kilometern und unzähligen Foto-Stopps erreiche ich schließlich die 60 Meter hohen Felsen, die ihre ungewöhnliche Form durch die Abschürfung des Meeres erhalten haben.
Am Dienstag ist das Touristenprogramm beendet. Erster Arbeitsschritt ist das Abholen des begehrten Formel-1-Passes bei der Akkreditierungsstelle. Weil es an der Strecke aber noch nicht viel zu sehen gibt, verabrede ich mich mit meiner Kollegin Nicola Pohl von der Bild-Zeitung und Tanja Bauer von Sky zu einem kleinen Kaffeekränzchen, um die letzten Neuigkeiten kurz vor dem Saisonauftakt zu besprechen.
Notfall im Pressezentrum
Am Donnerstag stehen dann endlich die ersten Pressekonferenzen auf dem Programm. Doch so richtig in Schwung kommt die Nummer nicht. Als unser Kollege Roger Benoit vom Schweizer Blick ins Pressezentrum kommt, befindet sich die Schweizer Reporter-Legende in keiner guten Verfassung. Innerhalb weniger Sekunden verschlechterte sich sein Gesundheitszustand und wir müssen einen Arzt rufen. Ich begleitete ihn im Krankenwagen ins Medical Center, dort entscheidet man, ihn in ein nahegelegenes Krankenhaus zu transportieren.
Während Roger mich als persönliche Krankenschwester auserkoren hat, hält Michael an der Strecke die Stellung. Die Organisation des Krankentransports ist äußerst spannend. Am Ausgang der Strecke müssen wir noch einmal in einen anderen Krankenwagen umsteigen, bevor es schließlich zur Notaufnahme des nahegelegenen Krankenhauses geht. Dort harre ich mit dem Patienten noch so lange aus, bis klar wird, dass er stationär aufgenommen werden muss. Sein Magen macht größere Probleme als zunächst angenommen.
Am Abend geht es zu Fuß zurück zur Strecke, die glücklicherweise nur 20 Minuten entfernt lag. Dort wartete noch jede Menge Arbeit auf mich. Die große Zeitverschiebung hilft zwar ein wenig, aber selten kostete mich ein Arbeitstag in der Formel 1 so viel Kraft wie dieser. Da war es nur noch Nebensache, dass das traditionelle Essen unserer Reisegruppe am Donnerstag beim "besten Chinesen in ganz Australien. ausfiel, weil Roger fehlte.
Defekt-Chaos in Australien bleibt aus
Weil Kollege Grüner die Testfahrten übernommen hatte, sehe ich die neuen Autos im Freien Training zum ersten Mal auf der Strecke. Ein Ereignis, dem alle entgegengefiebert haben. Das erwartete Defekt-Chaos blieb jedoch aus. Trotzdem sollten meine Nerven auch an diesem Tag nicht verschont bleiben. Red Bull-Berater Helmut Marko wollte lieber über die Besonderheiten Australiens plauschen als über Sebastian Vettels Unterboden. Als ich nicht locker lasse, fragt er mich etwas unwirsch, warum ich denn so aggressive Fragen stelle. Es ist mir aber neu, dass eine Frage nach dem Unterboden als aggressiv gilt.
Kurz darauf versuche ich bei Adrian Sutil in Erfahrung zu bringen, wo die Probleme im Training liegen. Aber auch diese Antwort fiel ungewöhnlich harsch aus: "Das kann ich dir nicht erklären, das verstehst du nicht." Im Verlauf der Saison stellt sich heraus, dass die komplexe Technik die Fahrer selbst oft vor Rätsel stellt.
Die Pole Position von Lewis Hamilton am Samstag lässt noch niemanden ahnen, wie sich der Mercedes-Durchmarsch über die ganze Saison ziehen würde. Neuling Kevin Magnussen überrascht bei seinem Debüt mit Startplatz 4. Weil das Rennen am Tag darauf erst um 17 Uhr startet, statten wir unserem Patienten Roger am Sonntagmorgen noch einmal einen Krankenbesuch ab. Aber Vorsicht, es herrschte akuter Kontaminations-Alarm! Nur mit weißen Kitteln und blauen Handschuhen ist der Zutritt zu seinem Zimmer erlaubt. Ich komme mir vor wie in einem Seuchen-Gebiet. Aber wenigstens geht es Roger mittlerweile besser. Er darf ein paar Tage später das Krankenhaus verlassen.
Ricciardo-Ärger sorgt für späten Feierabend
Das Rennen selbst verläuft turbulent. Bis um 4 Uhr morgens harren wir im Pressezentrum aus. Die Regelhüter diskutieren noch lange darüber, ob Daniel Ricciardo der zweite Platz aberkannt wird, weil die Benzinfluss-Begrenzung überschritten wurde. Letztlich kommt es tatsächlich zur Disqualifikation, die noch einige Tage für Diskussionsstoff sorgt. Ich will aber einfach nur noch ins Bett.
Am nächsten Morgen geht es schließlich zurück nach Hause. Natürlich wieder nicht ganz ohne Komplikationen: Weil es bei meinem Anschlussflug von Abu Dhabi nach München einen medizinischen Notfall gibt, müssen wir über zwei Stunden im Flugzeug warten, bis es endlich in Richtung Startbahn geht. 30 Stunden nach dem Abflug in Melbourne bin ich schließlich zu Hause. Und von medizinischen Notfällen hatte ich erst einmal genug.
In unserer Bildergalerie nehmen wir Sie mit hinter die Kulissen des GP Australien.