Wie lange dauert die Eingewöhnungszeit?
Lewis Hamilton führt im Mercedes-Duell gegen Nico Rosberg mit 99:84 Punkten und nach Trainingsergebnissen 6:3. Trotzdem behauptet der Engländer, dass er sich immer noch nicht 100-prozentig im Silberpfeil-Cockpit zuhause fühlt. Wie lange darf so eine Eingewöhnungsphase für einen Spitzenfahrer dauern?
Eigentlich könnte Lewis Hamilton./span> zufrieden sein. Er ist zum richtigen Zeitpunkt von McLaren abgesprungen und sitzt bei Mercedes in einem Auto, mit dem er Rennen gewinnen kann. Er führt im Trainingsduell gegen Nico Rosberg mit 6:3 und nach Punkten mit 99:84. Aber er hat in diesem Jahr noch kein Rennen gewonnen. Sein Teamkollege dagegen schon zwei.
Hamilton kann drei dritte Plätze für sich verbuchen und acht Zielankünfte in den Punkterängen. Konstanz ist in diesem Jahr seine Stärke. Und die schnelle Runde im Training. Wie Sebastian Vettel und Nico Rosberg startete Hamilton bereits drei Mal von der Pole Position. Trotzdem sieht der WM-Fünfte noch Verbesserungsmöglichkeiten und wartet auf den Tag, an dem ihm der Silberpfeil wie ein Maßanzug passt.
Hamilton mit Setup-Problemen
In Silverstone und am Nürburgring wachte Hamilton erst in letzter Minute auf. Beide Male schien ihn Rosberg bis zum dritten freien Training im Griff zu haben. Doch dann kopierte Hamilton einfach das Setup des Stallrivalen und stellte seinen Mercedes auf den besten Startplatz. "Mein Problem ist, dass ich immer noch zu lange brauche, bis ich die richtige Abstimmung treffe. Im McLaren war ich zuhause. Den Mercedes muss ich noch lernen."
Trotzdem lobt der Weltmeister von 2008 seinen neuen Dienstwagen: "Es ist ein unglaubliches Auto. Eines, mit dem man sogar die Weltmeisterschaft gewinnen könnte. Es ist nur schwierig, die optimale Balance zu finden. Deshalb ist es ein anderes Auto als das, was ich bislang gewohnt war. Im McLaren habe ich blind mein Setup gefunden. Um das Beste herauszuholen, müssen dein Auto und Du eine Einheit sein."
Alonso und Räikkönen aus dem Stand schnell
Sollte das nach 5.800 Test- und Trainingskilometern sowie 2.715 Rennkilometern nicht langsam der Fall sein? Oder sind die modernen Formel 1-Autos so kompliziert geworden, dass selbst ein Fahrgenie wie Hamilton ein Jahr braucht, um sich einzugewöhnen?
Fernando Alonso ist 2010 in seiner ersten Ferrari-Saison gleich um den Titel gefahren. Das gleiche gilt für 2007, als Alonso von Renault zu McLaren wechselte. Kimi Räikkönen gewann 2007 nach sechs Jahren bei McLaren in seinem ersten Dienstjahr für Ferrari den Titel. Und Jenson Button fuhr bei seinem Arbeitsantritt bei McLaren 2010 aus dem Stand auf Augenhöhe mit Hamilton.
Der Engländer selbst brauchte 2007 null Anlaufzeit. Das Greenhorn forderte sofort Alonso und Räikkönen im Kampf um den Titel heraus. "Das lässt sich nicht vergleichen“, winkt Hamilton ab. "Damals war ich unvoreingenommen. Der McLaren war mein erstes Formel 1-Auto. Es hat nur acht Testtage gedauert, und ich hatte den Speed."
McLaren und Mercedes mit unterschiedlichen Konzepten
Der größte Schritt für Hamilton liegt wahrscheinlich im Fahrzeugkonzept. Seine McLaren waren vom Fahrwerk her stets auf hart getrimmt, um sie im aerodynamisch günstigsten Fenster zu halten. Der Mercedes AMG W04 ist wie der Red Bull stark nach vorne angestellt, was an der Hinterachse relativ viel Federweg bedeutet. Deshalb die gute Traktion. Doch die Balance ist damit auch eine komplett andere als jene, die er von McLaren gewohnt war. Und damit das Fahrgefühl.
Das zweite Problem sind die Bremsen, obwohl da laut Hamilton langsam eine Lösung in Sicht ist. Auch da geht es um Nuancen. "Wie sich der Pedaldruck aufbaut, wie die Bremse zupackt, wie das Auto reagiert, wenn du in die Bremse steigst." Hamilton kann trotzdem zufrieden sein.
Wenn er mit Problemen schon 99 Punkte auf dem Konto hat, wie stark muss er dann erst sein, sollte einmal alles für ihn passen. Ex-Teamkollege Jenson Button ist sich sicher: "Dann wird er alle mit seinem Speed schockieren." Für den WM-Titel kommt die Wende aber vermutlich zu spät. Auf Sebastian Vettel fehlen bereits 58 Punkte.